Kunst im Nationalsozialismus:Emil Nolde und andere neu bewerten - aber wie?

Die Kanzlerin hat kürzlich Bilder des deutschen Künstlers abgehängt, weil er sich im Hitlerregime antisemitisch äußerte. Dann müsste sie jetzt konsequenterweise auch den Bayreuther Wagner-Festspielen fernbleiben, meinen einige Leser.

Zu "Nolde, der Nazi" und "Verdrängte Mitschuld" vom 11. April:

Zweierlei Maß

Ein Rätsel: Wieso lässt unsere Kanzlerin - politisch korrekt - Gemälde des Antisemiten Emil Nolde abhängen, scheut sich aber nicht, jedes Jahr die Festspiele des Antisemiten Richard Wagner zu besuchen, der seinem jüdischen Kollegen Felix Mendelsohn-Bartholdy durch niederträchtige antisemitische Briefe schweren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schaden zugefügt hat?

Eva Kreuzer, Icking

Brief an Goebbels

Emil Nolde gehört in Deutschland sicher zu den populärsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Umso verstörender sind daher die jetzigen Erkenntnisse über seinen Antisemitismus. Allerdings wurde bereits im Jahr 1973 in der Ausstellung "Kunst in Deutschland 1898-1973" in der Hamburger Kunsthalle auf diesen Aspekt hingewiesen. Diese legendäre Ausstellung unter Leitung des damaligen Direktors Werner Hofmann (1928-2013) wurde anschließend im Münchner Lenbachhaus gezeigt.

Unter dem Jahr 1938 wurde im Katalog ein Brief Noldes an den Propagandaminister Goebbels abgedruckt, in dem Nolde unter Hinweis auf seine NSDAP-Mitgliedschaft die im Rahmen der Aktion "Entartete Kunst" beschlagnahmten Werke zurückerbittet. In diesem Brief brüstet er sich "als fast einziger deutscher Künstler in offenem Kampf gegen die Überfremdung der deutschen Kunst, gegen das unsaubere Kunsthändlertum und gegen die Machenschaften der Liebermann- und Cassirerzeit gekämpft" zu haben..., und wies abschließend darauf hin, dass er "von der Weltbedeutung des Nationalsozialismus zu überzeugen vermochte". (!) Der Brief endet mit "Heil Hitler." Wenn die Bundeskanzlerin aufgrund dieser Erkenntnisse in ihrem Büro die Nolde-Bilder konsequent abhängen lässt, stellt sich die Frage, ob Nolde-Werke in den Museen weiter hängen bleiben sollen.

Thomas Topp, München

Was ist mit Fontane?

Wann wird Fontane aussortiert? Nolde wird abgehängt - im Kanzleramt. 1937 wurden seine Werke als "entartete" Kunst abgehängt - in den Museen. Einer der Hauptmeister des Expressionismus als Nazi und Antisemit geortet. Das waren doch damals Pluspunkte bei den Nazis, aber das Künstlerische passte ihnen nicht.

Heute goutiert die Kunst aber die Gesinnung nicht. Und was ist zum Beispiel mit Fontane? Der große Romancier, Reiseschriftsteller und Journalist. Im Dezember ist er vor 200 Jahren geboren. Da werden doch einige ganz spitzfindige herausfinden, dass auch bei Fontane in Briefen und manchen Äußerungen einiges an antisemitischen Hinweisen "anzuklagen" ist. So schreibt er aus Krummhübel zum Beispiel an seine Frau "Juden sind wenige hier, was merkwürdig angenehm berührt", oder wenn Martha (Tochter) äußert "Papa ist etwas unsicherer Stimmung und schimpft mehr als schön ist auf die Juden." (Fontane Biografie, Regine Dieterle). Hoffentlich gibt es in der Bibliothek des Kanzleramtes oder in großen Leseeinrichtungen nicht bald zu viele Werke zum aussortieren.

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Udo Ricke, Vaterstetten

Spiegelbild der Geschichte

Es waren nicht die Nazis, die den Antisemitismus erfunden haben. Er war in der Kaiserzeit schon gesellschaftsfähig. Nach Darwins revolutionären Theorien von der Abstammung des Menschen bildeten sich sozialdarwinistische Weltanschauungen. So gründete sich die Gesellschaft für Rassenhygiene mit einer Sektion in Berlin und München unabhängig von den Nazis und propagierte eine Selektion der Stärkeren und Ausschaltung der Schwachen der Gesellschaft. Zwangssterilisation waren milde Forderungen, Euthanasie wurde von einem harten Kern der Gesellschaft weit vor den Nazis gefordert. In dieser illustren Gesellschaft, der nicht nur Ärzte angehörten, waren Mitglieder aus allen Parteien. Anitjüdische Ressentiments waren also vor der Machtergreifung durchaus gesellschaftsfähig. Rassenhygiene war Forschungsschwerpunkt der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Insofern ist die Schilderung über den Antisemitismus Noldes nur plausibel.

So wichtig die Aufarbeitung der historischen Bezüge ist, Noldes Werk bleibt bestehen. Die Amerikaner haben schon während des Vietnamkrieges die besten Antikriegsfilme gedreht und sich zeitnah mit ihren eigenen Traumata auseinandergesetzt. Die massive Zeitverzögerung in Deutschland zeigt mir, dass wir eben leider doch keine wirklich demokratische rechtsstaatliche Tradition haben und uns nur mühsam dem annähern. Wenn Merkel jetzt Nolde abhängt, ist das so leichtfüßig wie seinerzeit die Einstampfung des mühsam aufgebauten Musikpreises Echo, nur weil zwei Idioten Mist gesungen haben. Trotz unserer schrägen undemokratischen und teils furchtbaren Geschichte haben wir genug, um auch stolz sein zu können. Und da ist ein nationaler Musikpreis wichtiger als ein Fehltritt einzelner Musiker. Dasselbe gilt für einen Maler, der offenbar im Übermaß in seiner Zeit gefangen war.

Dr. Klaus Dierlich, Düsseldorf

Bald leere Museen

Auf der berühmten "Seite Drei" der SZ wird dargestellt und durch zahlreiche Zitate beeindruckend belegt, dass Emil Nolde ein schlimmer Antisemit war, und es ihm darüberhinaus nach dem Krieg gelungen ist, - nicht zuletzt mithilfe von Siegfried Lenz' "Deutschstunde" - sich als Opfer der Nazis darzustellen. So what? Darf man deshalb, wie die Autorin andeutet, als Betrachter eines Nolde-Gemäldes, als Besucher einer Nolde-Ausstellung nicht mehr in der "Pracht der Farben" schwelgen? Müssen deshalb Nolde-Gemälde aus dem Kanzleramt abgehängt werden?

Immerhin fährt dieselbe Kanzlerin jedes Jahr zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele, obwohl Richard Wagner in seinem Buch "Das Judentum in der Musik" ebenfalls schlimmen Antisemitismus geradezu gepredigt hat. Oder weitere Beispiele: Sind Richard Strauss, Wilhelm Furtwängler, Gustav Gründgens wegen ihrer engen Verbindung zum NS-Regime weniger große Komponisten, Dirigenten, Schauspieler? Es gibt, so meine ich, nur eine Antwort: Bei Künstlern muss man ihre Person und ihr Werk trennen. Sonst sind unsere Museen, Opernhäuser, Bibliotheken bald halb leer.

Nolde

Da hing der Nolde noch – bis vor kurzem: Angela Merkel im Kanzleramt vor einem Bild des Künstlers 2011.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Dr. Klaus von Lindeiner, München

Einseitiges Bild Niemölllers

Friedrich Wilhelm Graf bezieht sich in "Verdrängte Mitschuld" auf eine Arbeit von Benjamin Ziemann mit dem Titel "Martin Niemöller als völkisch-nationaler Studentenpolitiker in Münster 1919-1923", ohne genau kenntlich zu machen, wo er Ziemann referiert und wo er eigene Positionen vorträgt. Niemöller, der Antikommunist und Antisemit! Zwar gesteht Graf zu, dass dies Niemöller von 1919 bis 1923 ist. Dass dieser Mensch sich gewandelt haben könnte? Dazu Niemöller selber: "Daß ich meine Überzeugungen in meinem Leben geändert habe, ich glaube, nicht aus Charakterlosigkeit, sondern weil ich etwas dazu gelernt habe, dessen schäme ich mich nicht" (vgl. Schmidt, Dietmar (1959) Martin Niemöller, Reinbek: Rowohlt).

Der Niemöller, Gründer des Pfarrernotbunds, im September 1933 entstanden aus dem Widerstand gegen den Ausschluss jüdischer Pfarrer aus der Evangelischen Kirche, kommt bei Graf nicht vor, auch nicht Niemöller, der Mitbegründer der Bekennenden Kirche, die gegen die nationalsozialistische Ideologisierung der Kirche kämpfte. Graf geht nicht darauf ein, was Niemöller in der Zeit des Nationalsozialismus gesagt und getan hat. Worum es Graf eigentlich geht, teilt er im letzten Satz seines Artikels mit: "Seine eigene Mitschuld aber und speziell seinen zunächst biologistisch begründeten Hass auf die Juden machte der Theologe, der seit Herbst 1933 zwar gegen die Übernahme des staatlichen 'Arierparagrafen' in das kirchliche Dienstrecht kämpfte, aber an einer sozial-kulturellen Judenfeindlichkeit festhielt, niemals zum Thema." Belege?

Dr. Ingo Roer, Frankfurt

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