Universitätsporträt:Forschen und Feiern unter Hochöfen

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Wo sich heute Wissenschaftler und Hochschüler mit den neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der digitalen Transformation oder der Medizin beschäftigen, schufteten einst Arbeiter im Stahlwerk. (Foto: Agora)

Industriedenkmäler und moderne Architektur schaffen an der Universität Luxemburg eine besondere Atmosphäre. Was dort im Kulturhauptstadtjahr Esch-sur-Alzette geboten ist.

Von Antje Rößler

Als wollten sie dem industriellen Wandel trotzen, recken sich die Hochöfen in den Himmel. Ihre eisernen Silhouetten überragen moderne Universitätsgebäude, schicke Apartment-Häuser und die Konzerthalle Rockhal. Belval, ein Teil von Luxemburgs zweitgrößter Stadt Esch-sur-Alzette, war einst ein Zentrum der Stahlindustrie. Aus der Industriebrache ist ein lebendiges Stadtviertel geworden. 2015 verlegte die Universität Luxemburg ihren Hauptsitz hierher.

"Belval hat in den vergangenen 20 Jahren eine beispiellose Wandlung durchgemacht", stellt Anouk Wies fest. Sie ist Beraterin des Rektors in kulturellen Angelegenheiten. "Es handelt sich um eines der größten städtebaulichen Umstrukturierungsprojekte in Europa. Belval ist ein großartiger Ort zum Arbeiten, Studieren und Wohnen geworden."

Französisch, Englisch und Deutsch sind an dieser Uni die wichtigsten Sprachen

Die eisenhaltige "Rote Erde" im Süden Luxemburgs begründete einst den Reichtum des Landes. Hochöfen und Stahlfabriken sorgten für Wachstum und Beschäftigung. "Nach dem industriellen Niedergang suchte man neue Standbeine und konzentrierte sich auf Bankensektor und Wissensgesellschaft", beschreibt Wies die Hintergründe für die Veränderungen in Belval. "Das führte 2003 zur Gründung der ersten und einzigen Universität des Großherzogtums."

Deren Markenzeichen sind Internationalität und Mehrsprachigkeit; die Studiengänge werden in mindestens zwei Sprachen unterrichtet - meist Französisch, kombiniert mit Englisch und Deutsch. Es gibt aber auch rein englischsprachige Master-Studiengänge. Nicht mal 7000 Studenten sind hier eingeschrieben. Geboten werden 17 Bachelor- und 46 Master-Studiengänge sowie vier Programme für Doktoranden. Forschungsschwerpunkte sind digitale Transformation, Medizin sowie nachhaltige Entwicklung. "Die Studierenden profitieren von kleinen Seminaren und intensiver Betreuung", meint Hugo Parlier, stellvertretender Leiter des Fachbereichs Mathematik. "Zu den guten Bedingungen gehört auch, dass Luxemburg in den meisten Programmen keine Studiengebühren verlangt - das gilt auch für Deutsche."

Den städtebaulichen Neuanfang in Belval startete der niederländische Architekt Jo Coenen, der 2001 den wegweisenden Masterplan für eine "Cité des Sciences" auf der 125-Hektar-Brache vorlegte. Im Dunstkreis der Universität haben sich in der "Stadt der Wissenschaften" zahlreiche Forschungsinstitute und forschungsnahe Unternehmen niedergelassen; zum Beispiel aus den Bereichen Biomedizin oder künstliche Intelligenz.

Industriedenkmäler und moderne Bauten schaffen in Belval spannende Kontraste. Rohrleitungen schlängeln sich an modernen Fassaden entlang. Historische Silos sind von neu angelegten Brunnenbecken und jungen Bäumen umringt. Beliebter Treffpunkt ist ein Café im Fuß eines Hochofens.

Zwischen den beiden Hochöfen des Universitätsgeländes steht die Maison du Savoir, das Haus des Wissens: Die österreichischen Architekten Baumschlager & Eberle schufen einen 18-stöckigen Turm, in dem die Verwaltung ihren Sitz hat. Zwölf Hörsäle und 60 Seminarräume kommen in einer Art riesigem Schwebebalken unter, der über den Platz ragt. Das Metallgitter der Fassaden erzeugt faszinierende Schimmereffekte.

Wo einst Eisenerz lagerte, werden jetzt Ausstellungen veranstaltet

Als "Herzstück" von Belval bezeichnet Wies die alte Möllerei, die von Valentiny HVP Architects aus dem nahe gelegenen Schengen zur Universitätsbibliothek umfunktioniert wurde. "In der 170 Meter langen Halle lagerten einst Koks und Eisenerz zum Befeuern der Hochöfen", erzählt die Beraterin des Rektors. "Die alten Stahlgerüste sind als Zwischengeschosse in eine neue, hohe und lichtdurchflutete Halle integriert." Ein Teil der Möllerei wurde für das Programm zur Kulturhauptstadt "Esch 2022" zum Ausstellungsort umgewandelt.

Nachdem Esch-sur-Alzette zur Kulturhauptstadt gekürt wurde, machte man sich auch an der Universität Gedanken, in welcher Weise man sich an dem Programm "Esch 2022" beteiligen könne. So stellte das interdisziplinäre "Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History" das Projekt "Remixing Industrial Pasts" auf die Beine. "Unser Team von sieben Historikern, Anthropologen und Designern beschäftigt sich mit der Transformation der hiesigen Eisenerz-Region seit Beginn des 20. Jahrhunderts", erklärt Stefan Krebs, Assistenzprofessor für Zeitgenössische Geschichte. "Der Abbau von Eisenerz lockte unzählige Gastarbeiter aus der Ferne an. Wir schauen aus verschiedenen Perspektiven auf den Austausch von Ideen, Menschen und Waren zwischen Luxemburg, Frankreich und anderen europäischen Ländern."

Krebs, der seine Doktorarbeit über die Geschichte der Eisenhüttenkunde geschrieben hat, findet es aufregend, in Belval zu arbeiten - an einem Ort, der eng mit dem Inhalt seiner Forschung verknüpft ist. "Unsere Ergebnisse präsentieren wir zunächst in der alten Massenoire von Belval. Hier entstand einst die schwarze Stopfmasse auf Teerbasis, mit der das Stichloch des Hochofens verschlossen wurde", so der Historiker. "Dann wandert die Ausstellung dauerhaft ins Internet."

Ein anderes Projekt, "The Sound of Data", bringt Datensätze zum Klingen. "Wir verwenden Daten von Körperscannern, aus dem Straßenverkehr, aber auch von Bildern, die wir landesweit auf Touchpads zeichnen lassen", erklärt der Mathematiker Hugo Parlier. "Dieses Material wird dann in Musik verwandelt."

Workshops machen mit Daten-Sonifikation und dem Komponieren mit Algorithmen vertraut. "In der Daten-Sonifikation geht es darum, Sammlungen von digitalen Informationen in bedeutungsvolle Klänge zu verwandeln", fährt Parlier fort. "Im nächsten Schritt werden diese Klänge als Bausteine für musikalische Kompositionen verwendet. Man entwickelt einen Algorithmus, der aus Daten Musik erzeugt."

Bei diesem Projekt kooperiert die Universität Luxemburg gleich mit drei Partnern: erstens mit dem Institute of Science and Technology, der landesweit größten öffentlichen Einrichtung für angewandte Forschung. Zweitens mit dem Nationalen Forschungsfonds, der als Geldgeber fungiert. Und drittens mit der Rockhal, wo die Workshops stattfinden. "Dass alle Partner hier in Belval sitzen, vereinfacht die Zusammenarbeit enorm", stellt Parlier fest.

Outreach, die Ansprache von Gesellschaftsgruppen jenseits des akademischen Elfenbeinturms, ist an der Universität Luxemburg ein wichtiges Thema. Und so wenden sich auch die "Esch 2022"-Projekte an eine breite Öffentlichkeit. "Vom Kulturhauptstadt-Jahr erhoffe ich mir eine höhere Sichtbarkeit unserer Universität; in der Luxemburger Gesellschaft und europaweit", sagt der Mathematiker Hugo Parlier. "Unsere Projekte werden auch die Identifikation von Studierenden und Mitarbeitern mit der Universität stärken."

Historiker Stefan Krebs zieht schon jetzt eine positive Bilanz: "Für uns haben sich viele neue Kontakte ergeben; vor allem zu regionalen Institutionen, Archiven und Zeitzeugen. Auf dieser Basis leiten wir neue Projekte und Kooperationen in die Wege."

Unterdessen wächst die "Stadt der Wissenschaften" in Belval weiter. So wurde im März der Grundstein für ein Gebäude gelegt, das von 2025 an das Nationalarchiv Luxemburg beherbergen soll. "Belval ist wie eine Insel, die sich weiter vergrößert und auf eine engere Verbindung zum Festland freut", meint Anouk Wies vom Rektorat.

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