Süddeutsche Zeitung

Kultur:Bereichernde Aneignung

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Politische Korrektheit hat seine Berechtigung, aber sie kann auch ins Gegenteil umschlagen. Die Adaption anderer Kulturen bereichert beispielsweise die eigene.

"Mach mal sauber" vom 29. März:

Alles nur geklaut

Aus meiner Sicht ist der Begriff "kulturelle Aneignung" nicht nur völliger Blödsinn, sondern auch zutiefst reaktionär, wenn nicht gar faschistisch. Fakt ist, dass es ohne kulturelle Aneignung in vielen Ländern gar keine Kultur gäbe, die diesen Namen verdient, schon gar nicht in Deutschland. Denkt man eine so überzogene Form politischer Korrektheit konsequent zu Ende, kommt man aus den Absurditäten überhaupt nicht mehr heraus: Italiener dürften keine Spaghetti (von einem Italiener den Chinesen geraubt) mit Tomatensoße (von spanischen Kolonialherren den Azteken abgeschaut) mehr essen, Deutsche keine Kartoffeln (von spanischen Kolonialherren den Inka gestohlen) und Bayern keine Weißwürste (den Franzosen geklaut). Die Tonträger sämtlicher weißer Blues- und Jazzmusiker müssten dem Feuer übergeben werden (von Schwarzen gemopste Musik). Wir dürften nicht mehr tanzen, weil sämtliche Gesellschaftstänze (Tango, Rumba, Foxtrott, Walzer) aus anderen Kulturkreisen importiert sind. Die Briten müssten sich vom Five o'Clock Tea verabschieden (von britischen Kolonialherren aus Indien adaptiert). Wir dürften nicht mit dem Dezimalsystem (auch aus Indien) und arabischen Zahlen rechnen und als Deutsche nicht in lateinischen Buchstaben schreiben, sondern in germanischen Runen. Außerdem müsste unser Land von Stammesfürsten regiert werden, statt von demokratisch gewählten Volksvertretern (das Copyright haben die Griechen). Und darf sich überhaupt Christ nennen, wer nicht selbst schon mal am Kreuz gehangen hat und die Leiden Christi nachvollziehen kann? Kurz: Das Unwort "kulturelle Aneignung" gehört schleunigst auf den Müllhaufen der Geschichte, und wenn ich mir damit George Orwell und Leo Trotzki angeeignet habe - meinetwegen.

Jürgen Ahrens, München

Wege zum Rassismus

Einige Aktivisten von Fridays for Future gehen gegen "kulturelle Aneignung" vor. Also dagegen, dass man sich von anderen Kulturen inspirieren lässt. So sollen Dreadlocks Menschen bestimmter Hautfarbe vorbehalten bleiben. Dadurch konserviert man aber die Einteilung der Menschheit in Rassen. Klischees werden verstärkt, weil man das Bild von Schwarzen und Weißen noch fester mit bestimmten Kulturen verbindet. Positive Zuschreibungen werden gefährlich (wie: "Schwarze haben viel Rhythmusgefühl, gehen emotionaler an die Sache ran") und schlagen leicht ins Negative um ("Schwarze sind für intellektuelle Dinge weniger geeignet"). Schwarze werden animiert, sich gegen Weiße abzuschotten und sich mit ihrer Armut zufriedenzugeben (schlechte Jobs, aber eine unverfälschte eigene Kultur).

So machen sich linke Aktivisten zu nützlichen Idioten des Rassismus. Fraglich ist, ob eine Bewegung wie Rastafari mit ihren Symbolen (Dreadlocks) überhaupt zum Vorbild für Antirassisten taugt. Ein afrikanischer Herrscher als Messias, Schwarze sollen sich an Afrika orientieren. Bei allen Religionen gilt: Wer will, mag daran glauben. Den Fehler der pauschalen Einteilung begeht aber auch Hilmar Klute, nämlich durch einen Vorwurf an die junge Generation, für die er den Identitätskult als typisch ansieht.

Henning Fritsches, Rothenburg

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Quelle:
SZ vom 27.04.2022
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