"Diese Schachfigur ist wichtig für mich, obwohl sie eigentlich kaputt ist. Es ist ein weißer Läufer. Am Tag vor Kriegsbeginn entdeckte ich darin einen Riss. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, waren bereits feindliche Panzer in Kiew. Meine Eltern und ich waren völlig verwirrt und hoffnungslos. Vor den Bomben sind wir in den Keller geflüchtet. Dort habe ich Schach gespielt, Züge aus Büchern geübt. Ich liebe Schach, es ist ein Spiel für jedermann. Fair und geistreich, jeder kann es gewinnen - ob alt oder jung, Profi oder Beginner. Ich spiele schon seit meinem siebten Lebensjahr. Dort, im Keller unseres Hauses, bekam der weißen Läufer plötzlich eine andere Bedeutung. Vielleicht war der Riss ein Zeichen? Auf das, was uns bevorsteht? Für mich steht die Figur für das gequälte, aber nicht gesenkte Haupt des ukrainischen Volkes. Sie erinnert mich an unsere Soldatinnen und Soldaten, die mutig Widerstand leisten. Ich bewahre den Läufer in einer Kiste mit anderen Figuren auf. In Deutschland ist Fußball zwar populärer als Schach, aber ich kann trotzdem viele Turniere spielen. Bei der Deutschen Jugendmeisterschaft habe ich es sogar auf den dritten Platz geschafft."
KriegMitgenommen

Wer flüchtet, muss viel zurücklassen. Hier erzählen Kinder und Jugendliche, was sie retten konnten. Diesmal: Kemal, 16, aus Kiew in der Ukraine. Er lebt seit knapp zwei Jahren in Duisburg.
Protokoll von Nina Himmer