Krankenhäuser:Mehr Güte, weniger Rendite

Wie viel Zuwendung kann und soll sich der moderne Klinikbetrieb noch leisten? Viele Leser teilen die Meinung des SZ-Kolumnisten. Bei betriebswirtschaftlich durchkalkulierter Personalplanung in Gesundheitskonzernen bleibt kaum Zeit für Zwischenmenschliches.

Zu "Kranke Häuser" vom 17./18. August:

Blick in die Bilanzen

Heribert Prantl beklagt und prangert an, dass Krankenhäuser und ihr Personal den Patienten "Zeit, Geborgenheit und Barmherzigkeit" verweigern; "Einfühlsamkeit" gehöre aber unbedingt ins Gesundheitswesen. Wichtig sei, nicht nur zu diagnostizieren, zu therapieren und zu operieren, sondern auch "(zu) erdulden, aus(zu)halten, (sich) Zeit (zu) lassen, abzuwarten und vorerst nichts zu tun". Prantl prangert das privatisierte Gesundheitssystem an, das unter dem Diktat von Wettbewerb und Kostensenkung stünde.

Da empfehle ich Herrn Prantl einen Blick in die Bilanzen der kirchlichen Krankenhäuser (Diakonie und Caritas), die die Verweildauer "ihrer" Kranken auf 7,3 Krankenhaustage gesenkt haben. Auch da bleibt wahrscheinlich keine Zeit, "sich nur zu kümmern, zu trösten und einfach mal abzuwarten". Auch die Kirchen rechnen, obwohl sie sich etwas mehr Empathie leisten könnten. Ihre finanzielle Bilanz für 2018 umfasst unter anderem: 791,8 Millionen Euro Kirchensteuer, 35,9 Millionen Zuschüsse von Dritten, 67,9 Millionen Erträge aus kirchlich/diakonischer Tätigkeit, 27,9 Millionen aus Vermögensverwaltung, 30,7 Millionen sonstige Erträge - alle Einnahmen sind steuerbefreit. Das würde sich so manches private Krankenhaus auch wünschen.

Dr. Ingrid Scherzer-Hartz, Buxtehude

Auf die Qualität kommt es an

Die Ausführungen zum Thema Kommerzialisierung des Gesundheitswesens in dem Artikel teile ich (auch als ehemaliger Krankenkassenvorstand) voll und ganz. Auch die zugespitzte Bemerkung vom Triumph der Betriebswirtschaft über das Stethoskop und die Hinweise auf fehlende Einfühlsamkeit im Gesundheitswesen und dass für Kranke Faktoren wie Zeit, Geborgenheit und Barmherzigkeit wichtig sind und sich im betriebswirtschaftlichen System nicht wiederfinden.

Bei dem Thema der zu hohen "Krankenhausdichte" in Deutschland und der Empfehlung aus der Bertelsmann-Studie, die Hälfte der Krankenhäuser zu schließen und auf Großkliniken zu setzen, halte ich allerdings die Definitivaussage des Autors "Das ist falsch" für voreilig. Hier fehlt die Sichtweise der Betrachtung der Qualität der Behandlung. Auch dies ist ein Wunsch des Patienten: Behandlung und Therapie nach höchster Qualität und aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Und dies ist nachweisbar eben nur bei einer Konzentration in spezialisierten Zentren möglich.

Krankenhäuser: Patienten gut betreuen heißt auch Zeit mitbringen. Doch oft ist für Zuwendung das Personal zu knapp kalkuliert.

Patienten gut betreuen heißt auch Zeit mitbringen. Doch oft ist für Zuwendung das Personal zu knapp kalkuliert.

(Foto: picture alliance/dpa)

Natürlich muss deshalb nicht jedes zweite Krankenhaus in Deutschland geschlossen werden. Aber es sollte nicht mehr jede Erkrankung dort behandelt werden. Das würde bedeuten, dass im "Heimatkrankenhaus" Notfälle erstversorgt werden können, einfachere Therapien durchgeführt und Nachbehandlungen bei schwereren Erkrankungen in Abstimmung und im Auftrag des spezialisierten Zentrums erfolgen können. Wenn bei einer Umsetzung die Qualität der Versorgung und nicht betriebswirtschaftliche Aspekte oder politische Hintergründe eine Rolle spielen, würden wir einen großen Schritt zu einer besseren Versorgung in Deutschland machen.

Rudolf Hauke, Eching

Abfertigungsjob Pfleger

Die Kolumne packt das Problem des Pflegenotstands und der entmenschlichten Medizin bei seinen Wurzeln. Das sind meines Erachtens glasklar die Ursachen der derzeitigen Misere in Kliniken, die ich jeden Tag genauso erlebe. Ich bin selbst seit über 30 Jahren Fachkrankenpfleger und arbeite als Atmungstherapeut in einer Klinik, in der schwerst kranke Patienten mit neurologischen Erkrankungen (amyotrophe Lateralsklerose) behandelt werden.

Als ich mich 1983 zum Krankenpfleger umschulen ließ, waren Kostendruck, rote Zahlen, Relativgewicht, Bettendichte für Pflegende noch kein Thema. Der Pflegeberuf war umfassend, man kümmerte sich von A bis Z um "seine" Patienten, hat gewaschen, beim Essen geholfen und hatte dadurch einen kompletten Überblick über die gesamte Problematik.

Das hat sich gewandelt. Aus einer individuellen Pflege ist ein Abfertigungsprozess entstanden. Immer mehr Patienten, am besten noch solche, deren Krankheiten gut abzurechnen sind, werden durch die Kliniken geschleust. Therapie findet nur unzureichend oder gar nicht statt, der Stellenplan gibt nicht mehr her. Zuwendung ist bei extrem knapp bemessener Zeit so gut wie nicht möglich, man versucht zu verhindern, dass nichts Schlimmes passiert.

Wer sich noch etwas Empathie seinen Patienten gegenüber bewahrt hat, muss verzweifeln oder man überlastet sich selbst bis zur Erschöpfung. Das ist der wahre Grund, warum Pflegekräfte in Scharen die Kliniken verlassen. Zwischenzeitlich werden Pflegekräfte und Ärzte nur noch als Kostenfaktor wahrgenommen, Anerkennung ist seitens der Geschäftsführung, so wie ich es erlebe, und auch vieler Pflegedienstleiter ein Fremdwort. Stellenpläne werden immer weiter ausgedünnt oder mit Personal besetzt, das aus dem Ausland kommt oder kurz nach der Ausbildung eingesetzt wird und somit keine Berufserfahrung hat. Bestehende Teams werden auseinandergerissen und bewusst zerstört, damit sich kein Widerstand mehr regen kann. Das Ideal ist die universell einsetzbare Pflegekraft, die heute auf der Intensiv, morgen in der HNO und übermorgen in der Urologie eingesetzt werden kann.

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Was die Akademisierung der Pflege oder die Zusammenlegung der Ausbildung von Alten- und Krankenpflege daran ändern soll, ist mir schleierhaft. Sinnvoll wäre, die Pflege "am Bett" stärker zu machen, den Pflegenden mehr Zeit einzuräumen und so den früher schon mal angedachten ganzheitlichen Pflegeansatz durchzuführen. Was zur Zeit in vielen Kliniken abläuft, halte ich für Betrug am Patienten.

Frank Willkomm, Beimerstetten

Daseinsvorsorge, nicht Dividende

Als Stadt- und Kreisrat beobachte ich seit Langem, dass es völlig normal ist, wenn Hallenbäder, Büchereien, Musikschulen und Kindergärten hohe Defizitquoten haben. Das gehört zur allgemeinen Daseinsvorsorge und ist hinzunehmen. Nur bei Krankenhäusern werden alle möglichen betriebswirtschaftlichen Maßnahmen angewandt, um sie aus der Verlustzone zu bringen. Dazu gehört auch die Schließung ganzer Häuser. So wurde das Krankenhaus Marktoberdorf geschlossen, welches ein Defizit von etwa 200 000 Euro hatte, weil man meinte, man könne damit ein Defizit von über sechs Millionen Euro des übergeordneten Kommunalunternehmens verringern, was sich mir als Betriebswirt nicht völlig erschloss. Bei immer älter werdenden Menschen ist es unverantwortlich, komplette Häuser zu schließen. Kliniken sind nicht dazu da, Dividenden zu erwirtschaften. In Krankenhäusern soll geheilt und getröstet werden, wie Herr Dr. Prantl wunderbar ausführte.

Peter Fendt, Marktoberdorf

Mangel an Barmherzigkeit

Barmherzigkeit kann und darf nicht auf palliative Behandlung beschränkt sein. Allerdings verschwindet dieser Begriff in der Hektik und Funktionalität eines Krankenhauses zumindest teilweise aus dem Verständnis der Ärzte und Pfleger. Es bräuchte ein Qualitätsmanagement-System, das diesen Punkt gezielt aufnimmt und thematisiert. Dann gäbe es sicherlich auch ein Argument, eine Abrechnung nach Fallpauschalen zukünftig zu unterbinden.

Ich behaupte nicht, dass Funktionalität herzlos ist. Das wäre absurd. Eine moderne Medizin, die weiß, was in welcher Situation adäquat zu tun ist, ist ein Segen für die Menschheit. Trotzdem brauchen wir mehr Zuspruch als Patienten. Vermutlich ist der Mangel an Barmherzigkeit auch einer der Gründe, warum Menschen lieber gar nicht mehr zum Arzt gehen, obwohl es nötig wäre. Einfach, weil sie die Kälte, die sie da oft umgibt, nicht mehr ertragen können.

Dr. Berthold Häßlin, Leverkusen

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