Süddeutsche Zeitung

Kopftücher in Schulen:Ausgrenzung oder Integration?

Lesezeit: 2 min

Ein Verbot nur einer Kopfbedeckung benachteilige Muslime, hieß es in einem Gutachten, zu dem die SZ berichtete und auch kommentierte. Leserbriefschreiber sehen das anders, der Vergleich mit anderen religiösen Symbolen hinke.

Zu " Deshalb wird ein Verbot der Wirklichkeit nicht gerecht" vom 2. September und " Verbote helfen nicht" vom 30. August:

Rationale Normen beachten

Die Schule ist (wie die Familie) mit ihren zahlreichen Verboten Teil der Lebenswirklichkeit: Abschreiben verboten, nicht mit den dreckigen Schuhen auf den sauberen Teppich, Rauchen verboten, Durchfahrt verboten etc. Diese Verbote werden "der Wirklichkeit gerecht". Es ist klar: Grenzenlose Freiheit gibt es nicht, sie muss auf andere Rücksicht nehmen und ist ein Kompromiss. Die Einschränkung der Freiheit, das überlegte Verbot wird angewendet, wenn Überzeugungsversuche wie freundliches Zureden oder eindringliches Abraten nicht helfen. Sie fußt auf rationaler Argumentation gegen irrationale Gebräuche, Darlegung von Vor- und Nachteilen.

Ein besonderer Fall ist der Kopftuchkonflikt an Grundschulen, wie auch andere Bekleidungsvorschriften des religiösen Dogmatismus. Wenn diese entgegen modernen Erkenntnissen durchgesetzt werden sollen, darf man diesen Zwang im zivilisierten Mitteleuropa nicht zur Norm erheben. Umgekehrt gilt natürlich die "Lebensform der Mehrheit" als Norm, nicht die der Minderheit! Diese (zum Beispiel muslimische) Minorität darf ihre sonderbare, vor allem auf Emotionen basierende Lebensform selbstverständlich behalten, solange sie nicht unsere aufgeklärte, auf Vernunft basierende Gesellschaft in Frage stellt.

Diese sich selbst mit religiösen Erkennungsmerkmalen ausgrenzende Lebensform darf die der Mehrheit nicht gefährden, indem sie Normen missachtet wie Hygiene- und Gesundheitsregeln beim Sportunterricht, Transparenzgebote und Sicherheitsbedürfnisse beim Vermummungsverbot.

Dr. Dietrich W. Schmidt, Stuttgart

Symbol der Konditionierung

Das Kopftuch muslimischer Frauen mit anderen religiös konnotierten Kleidungsstücken, wie der Kippa oder der Tracht von Nonnen zu vergleichen, trifft das Problem nicht. Der sexistische Charakter, das Frauendiskriminierende, wird dabei völlig außer Acht gelassen. Den Mädchen wird die Möglichkeit genommen, sich frei und unbeschwert zu entwickeln. Wie verletzlich Kinderseelen sind, ist allseits bekannt. Und hier werden Kinderseelen konditioniert, sollen deformiert werden.

Das Dienende, Unterwürfige, der Blick zum Boden, Schweigen in der Öffentlichkeit, der unfreie, unreine Körper, all das wird den Mädchen mit dem Kopftuch anerzogen. Das Kopftuch ist das für alle sichtbare Symbol dieser Konditionierung.

Indem der Staat das Kopftuch stillschweigend duldet, nicht klar Position dagegen bezieht, unterlässt er es, diesen Mädchen eine freie Entfaltung zu ermöglichen. Der Staat verzichtet darauf, diese Mädchen zu schützen, ihre unantastbare Würde zu schützen. Die Väter diktieren für sie das Gesetz, nicht der staatliche Gesetzgeber.

Anita Sauber-Tanzini, Trier

Religionsfreiheit als Deckmantel

Das Kopftuch, bereits von jungen Mädchen in der Schule getragen, grenzt aus - und nicht etwa die Kritik daran oder ein Verbot. Es ist für unseren freien Rechtsstaat unerträglich, wenn unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit Menschen weiblichen Geschlechts unterdrückt werden. Wo sind denn heute die linken Kritiker, die (mit Recht) gesellschaftliche Auswüchse sowie Unfreiheiten der (hauptsächlich katholischen Religion) in den 1960er- und 70er-Jahren bekämpft haben?

Es geht nicht um religiöse Zeichen wie Kreuz oder Kippa, sondern um archaische Unterdrückungstraditionen von Frauen, die überhaupt nicht von der Religion abgedeckt sind. Was eine Tolerierung dieses Verhaltens im Schulalltag bedeutet, kann man beispielsweise bei Julia Wöllenstein nachlesen, nämlich eine Unterdrückung der anderen Schüler durch religiöse Traditionalisten. Einen Dialog und Umdenken erreicht man nicht per Kapitulation unseres Rechtsstaates, sondern das Gegenteil ist der Fall.

Gunar Ernis, Leverkusen

Reformbedarf im Islam

Das Tragen eines Kopftuches hat meines Erachtens nur am Rande etwas mit Religion zu tun, es stammt aus einem patriarchalischen System und aus Kulturkreisen, in denen Frauen nach wie vor eine untergeordnete Rolle spielen "müssen". Im Islam sollen Frauen ein Kopftuch tragen, weil die Haarpracht Männer verführt, das sollte ja bekannt sein. Auch Islamwissenschaftler betonen immer wieder (unter Gefahr für ihr eigenes Leben) dass der Islam dringend einer Reformation bedarf. Zu große Toleranz kann auch in die falsche Richtung gehen. Ich möchte nicht, dass unsere sehr schwer erkämpfte (und noch lange nicht zufriedenstellende) Gleichberechtigung in Gefahr gerät.

Gabriele Kapohl, Dachau

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4606495
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.09.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.