Süddeutsche Zeitung

Komplementärmedizin:Gut, dass geforscht wird

In Tübingen soll eine Professur für Komplementärmedizin eingerichtet werden - und schon melden sich die Kritiker zu Wort. Warum eigentlich, fragen Leser. Die Erforschung alternativer Heilmethoden sei doch überfällig.

"Universitäre Weihen für Unbewiesenes" vom 29. Oktober:

Pauschal verurteilt

Einerseits wirft man der sogenannten Komplementärmedizin vor, sie sei nicht evidenzbasiert. Was nachvollziehbar ist, da ausreichend Studien darüber fehlen. Andererseits wirft man nun der Universität Tübingen vor, sich wissenschaftlich mit der Wirksamkeit dieser Verfahren auseinandersetzen zu wollen. Das erscheint mir doch ein wenig paradox. Forschung soll doch dazu beitragen, Wirksames von Unwirksamem abzugrenzen. Das kommt doch uns allen, Patienten und Behandlern, zugute. Befremdlich finde ich die vorauseilende Ablehnung aus den Reihen einiger Akademiker. Ist es nicht gerade die Stärke von Wissenschaft, unvoreingenommen und mit neugierigem, wachem Geist an Fragestellungen heranzugehen? Zumal es solche Lehrstühle in Deutschland längst gibt, etwa in München, Essen, Berlin, Witten/Herdecke. Soll diese mediale Aufregung um einen weiteren Lehrstuhl womöglich dazu dienen, mal wieder eine Breitbandsalve gegen Komplementärmedizin und insbesondere gegen ihre Anwender loszulassen? Man spricht von fragwürdigen Heilern, von Vertretern von "Homöopathie & Co.", Titulierungen mit pauschal abwertendem Tenor. Man stuft Komplementärmedizin pauschal als bedrohlich ein, ohne überhaupt zu definieren, was darunter verstanden wird oder welche therapeutischen Verfahren denn gemeint sein können. Komplementär heißt ergänzen, nicht ersetzen! Es gibt ausreichend empirische Kenntnis über Verbesserung der Lebensqualität bei schwerkranken Patienten durch Verfahren aus der sogenannten Komplementärmedizin. Vielleicht kann der neue Lehrstuhl das eines Tages auch wissenschaftlich belegen.

Ursula Hilpert-Mühlig, München

Was ist die richtige Wissenschaft?

Die Medizin ist auf ihrer praktischen, diagnostischen und technischen Seite insgesamt weit entwickelt und hier seit etlichen Jahren auch recht vielseitig - zum Wohle der Patienten. Man findet sehr viele Arztschilder, auf denen der Hinweis auf Naturheilwesen, Homöopathie oder Ähnliches steht. Das zeigt doch den Fortbildungswillen der Ärzte und die Offenheit für die Bedürfnisse der Patienten.

Umso bemerkenswerter ist es, dass die Medizin auf ihrer erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Seite offenbar im rein positivistischen und materialistischen Ansatz aus der Frühzeit der Entwicklung der Naturwissenschaft stecken geblieben ist und diesen immer noch verbissen verteidigt. Der Glaube an Statistik und an randomisierte Doppelblindstudien macht diese zur alleinseligmachenden Methode, die Erfahrung und Fachkenntnis einzelner Ärzte zählt gar nicht. Einseitigkeit wird gefordert und als Wissenschaftlichkeit unterstellt. Der "medizinische Fakultätentag und die Fachgesellschaften", beide natürlich bekannt für ihre ausschließlich objektiv-wissenschaftliche Grundlegung und ihre Freiheit von jeglicher Interessenvertretung, wird quasi als heilige Inquisition angerufen, die die ideologische Richtung sichern soll. Dass die Vertreter einer Medizin, die die Gesundheit längst zur profitträchtigen Ware gemacht hat, nur den "Esoterikern" finanzielle Interessen unterstellen, ist da fast nur noch eine Marginalie.

Dr. Gerhard Herz, Gröbenzell

Nur ergänzend tätig

Vielen Dank für diesen überaus interessanten Artikel von Werner Bartens, der ja eine zunächst positiv erscheinende Botschaft überbringt, dass die sehr umstrittenen alternativen Heilverfahren an einem universitären Lehrstuhl in Tübingen erforscht werden sollen. Ein bisschen widersprüchlich erscheint, dass diese Methoden ja seit langer Zeit schon als wissenschaftlich abgeurteilt gelten und man nur hoffen kann, dass auch die richtigen Fragen an diese Verfahren gestellt werden und man nicht lediglich mit dem Maßstab der statistischen Evidenz herangeht, sondern berücksichtigt, dass die Evidenzen sich aus anderen Quellen speisen könnten. Aber man zieht das wohl ins Kalkül, denn man hat immerhin noch das Ziel, "Unsinniges auszusortieren".

Für den Personenkreis, die sich dieser Methoden bedienen, hat der Autor ein Spektrum von unterschiedlichen Bezeichnungen bereit: "Homöopathie & Co, Alternative Heiler, Anhänger Alternativer Verfahren, Fragwürdige Heiler usw." Das führt ja doch bei den unvoreingenommenen Lesern zu Stutzigkeit und mir liegt besonders an der Klarstellung, dass diese Bezeichnungen nicht auf den Berufsstand der Heilpraktiker zutreffen, die schließlich auch mit sogenannten alternativen Verfahren arbeiten. Das, was hier unter diesen unterschiedlichen Bezeichnungen geschildert wird, ignoriert das berufliche Selbstverständnis der Heilpraktiker - ganz besonders in der Krebstherapie. Dazu gehört ganz klar, dass Heilpraktiker dieses Krankheitsbild nicht mit ihrer "selbständigen Behandlung in Eigenverantwortung" abdecken können, sondern eher ergänzend zu einer klinischen Therapie tätig werden.

Die Rolle des Heilpraktikers ist die des vertrauensvollen Beraters auf Wunsch seines Patienten. Er hilft begleitend, tröstend, eventuell auch lebensqualitätsverbessernd bei den zuweilen sehr belastenden klinischen Therapien mit - freilich in der Einsicht, dass diese zuweilen unumgänglich sind. Heilpraktiker haben die Fortschritte der klinischen Maßnahmen bei bestimmten Krebsarten durchaus anerkennend und erleichtert zur Kenntnis genommen und befinden sich diesbezüglich in der Realität unserer Medizinwelt.

Karl F. Liebau, Burglauer

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Quelle:
SZ vom 16.11.2018
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