Klimawandel:Ist die Katastrophe noch abzuwenden?

Der jüngste Bericht des Weltklimarats IPCC lässt keinen Zweifel mehr daran, dass die Erderwärmung menschengemacht ist. Die Debatte kreist nun darum, wie radikal das Umdenken sein muss oder ob wir mit den Folgen leben müssen.

Kalifornische Waldbrände

Auch Waldbrände wie hier in Kalifornien sind dem Weltklimarat zufolge von der Erderwärmung begünstigt.

(Foto: Noah Berger/dpa)

Zu "Der Mensch war's" im Ressort Politik, "Der deutsche Widerspruch" im Meinungsressort, beide vom 10. August, und "Wir Versager" im Meinungsressort vom 9. August:

Es geht ums Ganze

Man liest, dass es überall brennt, vorher las man, dass alles überschwemmt ist. Es ist, als ob Regisseur Roland Emmerich seinen Weltuntergangsfilm "The Day After Tomorrow" als Serie in den Medien neu inszeniert - es ist schaurig schön auf unseren Sofas. Und egal wie klein die Änderung des Verhaltens wäre, man will sie nicht. Aber es geht nicht nur ums Klima. Es geht um die Umwelt und den Umgang mit ihr, es geht ums Ganze. Das ist auch nicht politische Kür. Es ist Verfassungsrecht, es ist Rechtspflicht.

Das hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Klimaschutzgesetz des Bundes mit teils drastischen Aussagen klargemacht: Klimaschutz ist nicht nur das Bemühen, den Wandel des Klimas zu begrenzen sondern auch, vor seinen Folgen zu schützen. Das Gericht nennt die sogar möglicherweise apokalyptisch. Weil aber jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann, konkurrieren beide Aufgaben miteinander um die nötigen Ressourcen. Wenn sich die Risiken schneller und bedrohlicher entwickeln, wie der jüngste Risikobericht des Bundesumweltministeriums zeigt, dann muss die Begrenzbarkeit des Klimawandels wenigstens realistisch sein und dafür soll Geld locker gemacht werden dürfen.

Und dann hat das Bundesverfassungsgericht noch etwas ganz Grundsätzliches gesagt: unsere Freiheit gibt uns nicht das Recht, den Menschen nach uns eine Welt zu hinterlassen, die eine Freiheit, wie wir sie uns - noch - nehmen können, nicht mehr zulässt. Business as usual geht dann nicht mehr. Das gilt für die Nutzung der Umwelt als Ganzes, für Luft und Wasser, für Grund und Boden und für die Nutzung der Biosphäre, für unsere Lebensgrundlagen, sollen künftige Generationen nicht in einer Wüste leben. Aber der fürsorgliche Schutz der Freiheit künftiger Generationen, ihr Leben zu gestalten, spielt nicht nur beim Geldausgeben, sondern auch im deutschen Umweltrecht von heute praktisch keine Rolle.

Darum ist es, am Maßstab des Grundgesetzes gemessen, erkennbar defizitär. Wie weit weg von der Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts die politische Realität ist, zeigt ein Blick auf Ereignis vor Kurzem im Bayerischen Landtag: Der Landeschef der SPD und heutige Fraktionsvorsitzende Florian von Brunn hatte gefragt, in wie vielen Fällen, in denen die bayerischen Umweltbehörden darüber zu entscheiden hatten, es zu einer Umweltverträglichkeitsprüfung gekommen ist. Ergebnis: in praktisch keinem Fall. Wer die Umweltverträglichkeit nicht untersucht, dem fehlt schon die Grundlage für das, was das Bundesverfassungsgericht für geboten hält. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, sagt der Volksmund. Es wäre also der Gesetzgeber gefordert, ein Umweltnutzungsrecht zu schaffen, das zum Schutz von Leben und Gesundheit künftiger Generationen echte Grenzen setzt. Die Frage lautet inzwischen: "Ist das das Ende der Freiheit, wie wir sie kennen?" Und die Antwort muss wohl sein: "Ja".

Georg Schmid-Drechsler, Ministerialrat i.R., München

Aussicht auf Positives geben

Trotz des neuen, noch alarmierenderen Bericht des Weltklimarates IPCC, der zeigt, dass die Erderhitzung schneller voranschreitet als bisher prognostiziert, ändert der Mensch anscheinend nichts. Dabei begreifen immer mehr Menschen die Lage und vor allem auch die Chancen, die sich uns für die Zukunft bieten. Denn - das ist die gute Nachricht des IPCC-Berichts - wir haben das Problem geschaffen und wir können es immer noch lösen. Es mangelt mittlerweile nicht an Technologien und Möglichkeiten, die Erhitzung zu begrenzen, es mangelt nur am Willen einiger Menschen. Auch die Wirtschaft fordert inzwischen immer häufiger mehr Ambition wie zuletzt in einem offenen Brief, den unter anderem BASF und Thyssenkrupp unterzeichnet haben.

Auch Automobilkonzerne überschlagen sich im Wettbewerb, wer als erster keine fossil betriebenen Autos mehr verkauft. Es stimmt nicht, dass Klimaschutz gegen Wirtschaft steht, ganz im Gegenteil. Wenn man den Menschen nur aufzeigt, was sie alles falsch machen ohne den Ausblick auf eine positive Veränderung, auf die enormen Chancen des aktuellen Wandels, welchen Grund sollten sie dann haben, sich zu ändern?

Dr. Magnus Wang, Heidelberg

Mit den Folgen leben

Acht Milliarden Menschen wollen ernährt sein und das kostet immens viel Energie, und die acht Milliarden wollen mobil sein und elektronisch kommunizieren. Und schließlich leben zwei Milliarden von den acht in Wohlstand und wollen diesen nicht schmälern. Fazit: Windräder und Photovoltaik werden für all dies bei weitem nicht reichen. Ohne fossile Brennstoffe wird die Menschheit nicht leben können! Dieser Tatsache ist ins Auge zu blicken, alles andere ist Utopie. Also worauf muss sich die Politik fokussieren? Auf Klimaschutz, aber nicht, um das Klima zu schützen, sondern um den Menschen vor dem Klima zu schützen. UNO, EU, ASEAN und alle sonstigen internationalen Organisationen müssen intensiv verhandeln, wie die Menschheit reagieren soll, wenn die Folgen schlimm sein sollten: Wohin mit den Menschen, wenn es bleibende Dürreregionen geben sollte oder wenn Überflutungen Landstriche auf Dauer unbewohnbar machen oder wenn Inseln versinken?

Und was tun Regionen, die womöglich einen Vorteil von der Erwärmung haben (dazu könnte Mitteleuropa zählen)? Wer nimmt die Flüchtlinge auf und integriert sie? Für all diese ungeheuer komplexen Szenarien haben wir 30, vielleicht 50 Jahre Zeit und wir müssen damit sofort anfangen. Wir sollten meines Erachtens nicht die politische Energie darauf verwenden, ein oder zwei Zehntel der Erderwärmung zu verhindern, was sowie aussichtslos ist, sondern der Fokus muss auf dem Umgang mit den schlimmen Folgen liegen: Wie kann die Menschheit insgesamt mit diesen Folgen überleben und leben?

Dr. Dieter Spies, Egmating

Alle können beitragen

Der neue IPCC-Bericht sollte nicht zur Resignation führen. Wir haben durchaus die Möglichkeit, unser alltägliches Verhalten sofort zu verändern und dadurch einen Beitrag zu leisten. Ohne großen Verlust an Lebensqualität können wir mindestens zehn Prozent Energie einsparen, bei Kurzstrecken auf den Pkw verzichten und ökologischer und bewusster konsumieren. Pflanzen wir ein Apfelbäumchen, statt zu lamentieren und die Ohnmacht zu kultivieren!

Rolf Sintram, Lübeck

Debatte nicht kontrovers genug

Das Klima ist bei den IPCC-Wissenschaftlern anscheinend eine Maschine, an der wir nur die Stellschrauben richtig einstellen müssen. Also hier die Kohlendioxidkonzentration und die Gradzahl von 1,5 dann läuft schon alles. Nein, so einfach geht das nicht. Eine kontroverse Diskussion und anhaltende Auseinandersetzungen in den Medien wie bei Covid-19 hätte ich mir in der Vergangenheit beim Klima gewünscht. Es gibt viele Naturwissenschaftler, die den Klimawandel nicht leugnen, aber an den IPCC-Berichten, dass dieser Wandel vom Menschen verursacht worden ist, stark zweifeln.

Dr. Wolfram Rodatz, Gröbenzell

Sofort und weltweit umdenken

Die Klimaforscher haben nicht erst seit gestern vor einem menschengemachten Klimawandel gewarnt und keiner darf jetzt noch sagen "Ich habe davon nichts gewusst!" Der Mensch muss endlich wach werden, es muss Schluss sein mit der Rodung des Regenwaldes, der grünen Lunge der Erde! Es bedarf auch eines sofortigen, weltweiten Umdenkens in der Nutzung der fossilen Brennstoffen. Hier sind alle Staatschefs gefordert, an einem Strang zu ziehen, und auch jeder einzelne ist gefragt, denn wir haben nur die eine Erde und das sollte uns spätestens jetzt bewusst sein!

René Osselmann, Madgeburg

Viel zu späte Maßnahmen

Ich bezweifle, dass man sich bei jahrzehntelangem Verweigern entschlossener Maßnahmen gegen die sich entwickelnde Klimakatastrophe (richtig: sie fällt nicht vom Himmel, sondern entwickelt sich) darauf hinausreden kann, dass es unabsichtlich und ohne bösen Willen geschah und geschieht. Solange wir die "heiße Kartoffel" herumreichen und jeder auf den anderen wartet, werden die Gegenmaßnahmen viel zu spät getroffen und das Ziel 2050 für Klimaneutralität wird meilenweit verfehlt (in Deutschland und anderswo) Wenn wir als Weltgemeinschaft gegen die Klimakatastrophe ähnlich entschlossen vorgehen, wie gegen die Corona-Pandemie, dann gute Nacht.

Erich Würth, München

Der Einzelne wird uns nicht retten

Zu "Die anderen machen's ja auch nicht" im Ressort Panorama vom 15. Juli: Der Artikel spricht das Problem an, dass Menschen klimaschädliches Verhalten mit ihrem schon vorhandenen klimafreundlichen Handeln rechtfertigen. Daraus geht hervor, dass sich ein Großteil der Bevölkerung ja bemüht, klimafreundlich zu leben, und erkennt, dass der Einzelne sich Gedanken um seinen Konsum machen muss. Es ist Zeit, dass Politikerinnen und Politiker die Initiative ergreifen. Sehr viele Menschen verzichten bereits freiwillig auf Komfort. Daher kann sich die Politik nicht damit herausreden, dass Klimagesetze nicht mehrheitsfähig sind. Wenn Deutschland seinen Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel erreichen will, wird nicht das Individuum den Klimawandel aufhalten, sondern die Politik. Die Erzählung, jeder Einzelne müsse seinen Beitrag leisten, zielt darauf ab, dass sich der Bundestag möglichst lange von verbindlichen Gesetzen fernhält, um Lobbyisten nicht zu verprellen. Aber das Individuum kann den Klimawandel nicht aufhalten, selbst wenn es wollte.

Selma Pißler, Hamburg

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