Hitze in der Wohnung:Erfrischend anders

Sommer in Österreich

Jeder geht anders mit der Hitze um: Diese Frau kühlt sich mit einer Fahrt durch einen Brunnen in Wien ab.

(Foto: Guo Chen/dpa)

Hitze, Dürre, Starkregen: Wegen des Klimawandels wird das Wetter immer extremer. Nie war eine kühle Wohnung wichtiger. Welche Konzepte gibt es, damit man den Sommer in der Stadt auch künftig aushält?

Von Lars Klaaßen

Das Jahr 2020 war nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes seit Beginn der Aufzeichnungen nicht nur das zweitwärmste in Deutschland, sondern auch weltweit. Was bedeutet das für den Wohnungsbau? Mit dieser Frage setzen sich auch die Planer des "Quartiers Leipzig 416" auseinander. Wo einst ein Bahnhof stand, wird nun ein komplett neues Stadtviertel gebaut. Auf 25 Hektar sollen mehr als 2000 Wohnungen entstehen. "Durch den Klimawandel stehen wir bei der Planung vor Aufgaben, die in unseren Breiten neuartig sind", sagt Roland Arno Müller vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). "Einerseits ist künftig mit sehr heißen Dürreperioden zu rechnen, andererseits mit immer wiederkehrendem Starkregen."

Müller leitet ein Forschungsprojekt, das einen Prototypen für klimaangepasstes Wasser- und Energiemanagement am Beispiel des Quartiers Leipzig 416 entwickelt - gemeinsam mit der Stadt, dem Investor, Wirtschaftsunternehmen und weiteren wissenschaftlichen Institutionen. Damit wird in Leipzig auch ganz konkret in die Praxis umgesetzt, was die im Juni vorgestellte Nationale Wasserstrategie der Bundesregierung zum Ziel hat: die Sicherung der Wasserversorgung für Mensch und Umwelt in ausreichender Menge und notwendiger Qualität - auch noch im Jahr 2050.

Starkregen, der künftig über dem Quartier niedergeht, wird nicht über die Kanalisation abgeleitet. Aufgefangen wird der Regen in verschiedenen dezentralen Elementen wie Mulden und Rigolen: unter der Geländeoberfläche angeordnete Auffangbecken, aus denen Regenwasser versickert, wenn die Speicherkapazitäten an ihre Grenzen stoßen. Oberirdisch wird das Wasser etwa über einen mit Kies gefüllten Graben dorthin geleitet.

Neu sind sogenannte blau-grüne Infrastrukturen wie Gründächer oder Baumrigolen in Kombination mit schattenspendenden Bäumen und Grünflächen, die ebenfalls als Wasserspeicher dienen, aber auch positiv auf das Mikroklima wirken. Dies entlastet die städtische Infrastruktur für Abwasser.

Wie kommt Mikroplastik ins Regenwasser?

Was an Regenwasser im Quartier verbleibt, kann in heißen Dürreperioden gezielt genutzt werden, um Grünflächen zu bewässern, das ganze Quartier oder auch einzelne Gebäude zu kühlen. Bepflanzung spielt hierbei eine wichtige Rolle. Der Anteil an Grünflächen, in denen Regenwasser versickern kann, ist im Quartier laut Planungsstand überdurchschnittlich hoch. Auch die Flachdächer der Häuser sollen begrünt werden. Dort gespeichertes Wasser kühlt das Gebäude im Sommer und versorgt bei Trockenheit zudem die Pflanzen. Hierfür kommen verschiedene Ansätze mit Blick auf Nutzen und Kosten in Betracht. Der Einsatz in der Praxis wird wissenschaftlich ausgewertet.

"Wir können das Regenwasser von der Straße nicht einfach weiterverwenden", sagt Müller. "Denn darin können Schadstoffe aber auch Mikroplastik vorhanden sein, das vom Reifenabrieb der dort passierenden Fahrzeuge stammt." Deshalb muss das Wasser vor der Speicherung behandelt werden. Welche Methoden sich dafür am besten eignen, ist eine weitere der vielen Fragen, die das Forschungsprojekt beantworten soll.

Das Quartier Leipzig 416 entsteht komplett vom Reißbrett. So können hier in vielerlei Hinsicht ganz neue Wege beschritten werden. "Im Bestand hingegen, der uns natürlich ebenso interessiert, kommt es schnell zu Nutzungskonflikten", so Müller. "Doch auch dort kann man die Stadt so umbauen, dass die Folgen des Klimawandels abgefedert werden." Die Wissenschaftler haben für das Umweltbundesamt ein an das Quartier Leipzig 416 angrenzendes Stadtviertel daraufhin untersucht. Luftbildaufnahmen zeigen, dass Innenhöfe und Dächer gezielt begrünt werden könnten, um Regenwasser aufzufangen oder versickern zu lassen.

"Die Kühlung unserer Städte ist nicht allein eine Frage der Stadtplanung", sagt Sebastian G. Nitsch, CEO des Immobilienentwicklers 6B47. "Der Stellenwert, den früher die Heizungsanlage innerhalb der Haustechnik eingenommen hat, kommt nun auch der Kühlung zu."

Das Wasser nimmt die Wärme auf und transportiert sie ab

Entwickler jedes einzelnen Immobilienprojekts müssten sich fragen, mit welchen Ansätzen sie einen größtmöglichen Erfolg bei gleichzeitig erschwinglichen Kosten und vor allem bei geringen Energieverbräuchen erhalten: "Die Wärme des Sommers und die Kälte des Winters kann etwa durch Sonden 100 Meter tief im Erdreich gespeichert werden." Das System funktioniert unter anderem mit Photovoltaikanlagen, aber auch mit der Abwärme von energieverbrauchenden Geräten - verbunden mit einer Wärmepumpe. "Bislang stehen diese vielversprechenden Ansätze aber noch am Anfang", so Nitsch.

In der österreichischen Hauptstadt Wien ist man damit schon weiter - wiederum auf Quartiersebene: Wien Energie betreibt ein etwa 19 Kilometer langes Fernkältenetz und versorgt mehr als 140 Gebäude mit umweltfreundlicher Klimatisierung. Fernkälte wird in eigenen Zentralen produziert, in Form von kaltem Wasser. Als Antriebsenergie dient neben Strom auch Wärme, im Sommer vor allem Abwärme aus den Müllverbrennungsanlagen.

"So wie der Wiener Müll im Winter die Stadt einheizt, so kühlt er sie also auch im Sommer", sagt Lisa Sophie Grohs, Sprecherin der Wien Energie. Die Nutzung dieser vorhandenen Energie sei besonders effizient. Über das Netz wird das auf etwa fünf bis sechs Grad Celsius abgekühlte Wasser direkt zu den Abnehmern transportiert und dort über hauseigene Kühlsysteme verteilt. Dabei, so Grohs, könne es sich etwa um Rohre in den Betonwänden eines Gebäudes oder auch um Gebläsekonvektoren in den Räumen handeln. Das Wasser nimmt die Wärme aus dem jeweiligen Gebäude auf und transportiert sie ab. Auch die Rückkühlung geschieht zentral, zum Beispiel über Flusswasser.

Eine Nachrüstung im Bestand ist sehr schwierig

Wien Energie hat heute 130 Megawatt installierter Kälteleistung. "Der Bedarf steigt jedes Jahr um zehn bis 15 Prozent", sagt Grohs. "Gerade im dicht verbauten Stadtzentrum ist Fernkälte gefragt." Das hat mehrere Gründe: Herkömmliche Klimaanlagen verbrauchen nicht nur mehr Energie, sie benötigen auch deutlich mehr Platz. Außerdem müssen für sie Rückkühler am Dach errichtet werden, die oft dem Denkmalschutz widersprechen und durch Abwärme die Umgebung erhitzen. Dazu kommt der Platz, den man auch für Pflanzen oder Photovoltaikanlagen nutzen könnte.

Fernkälte ist dort besonders sinnvoll, wo sie ganzjährig oder vollflächig genutzt werden kann. Deshalb liegt der Fokus des Netzausbaus bislang auf Krankenhäusern, Hotels und Büros - wo Labore, Großküchen und Rechenzentren betrieben werden.

2018 wurden mit dem Althan Park erstmals auch Privatwohnungen an das Fernkältenetz angeschlossen. Wien Energie liefert das kalte Wasser bis zur Übergabestation im von 6B47 neu gebauten Komplex. Die Aufteilung auf die verschiedenen Wohnungen und deren Steuerung erfolgt über das hauseigene Kühlsystem. Solche Installationen sind sehr komplex. "Für den Einbau von Fernkälte ist im Haus und in den einzelnen Wohnungen ein entsprechendes Lüftungs- oder Kühlsystem notwendig", sagt Lisa Sophie Grohs.

Eine Nachrüstung im Bestand sei deshalb sehr schwierig. Wien Energie setzt erste Projekte auch im Zuge von Kernsanierungen um. Dabei tendiert man zu Flächenkühlungen. Die Wohnungen sind dabei einzeln ansteuerbar. Mittlerweile versorgt Wien Energie mehrere Hundert Privatwohnungen mit klimafreundlicher Fernkälte.

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