Süddeutsche Zeitung

Klimawandel:Die bitteren Lehren aus der Flutkatastrophe

Ignorierte Warnrufe, das Ende des Credos vom ewigen Wachstum und Laschets Ausrutscher: Was SZ-Leserinnen und -Leser nun von der Politik erwarten.

Kommentar "Klimakrise: Höchste Zeit, mehr zu tun" vom 15.

Juli, "Und morgen" vom 16. Juli sowie Editorial "Nach der Flut" vom 17./18. Juli: Bis vor wenigen Tagen sind diejenigen, die vor den Ereignissen im Westen Deutschlands gewarnt haben, als Spinner oder bestenfalls des Alarmismus bezichtigt worden. Auf einmal scheinen viele wie aus einem Schlaf zu erwachen und festzustellen, dass die schlimmsten Albträume von der Realität noch weit übertroffen werden. Wie immer bei einer solchen Gelegenheit werden die Rufe nach Konsequenzen und Änderungen laut, aber Corona zeigt, dass nichts wichtiger zu sein scheint, als wieder in den Trott von Arbeit und Urlaub einzutreten. Nachdem die Hoffnung zuletzt stirbt, drücke ich hiermit meine Hoffnung aus, dass nicht einerseits "Benzin ins Feuer gegossen wird", sprich: die Entwicklung der Klimakatastrophe massiv angeschoben wird - aber andererseits die Auswirkungen (die heute noch einigermaßen moderat sein dürften) vehement bedauert werden und nach Anpassungs-/Schutzmaßnahmen gerufen wird.

Übrigens: Falls jemand zu viel Geld haben sollte, die Aufräumarbeiten beziehungsweise der Vermögensschaden dürfte in die Zighundert Millionen gehen, bis das Wasser das Meer erreicht hat. Es gibt genügend "Anlagemöglichkeiten" abseits von neuen Autos oder teuren Urlaubsreisen.

Erich Würth, München

Letzte Mahnung

Jahrzehntelang wollten wir es nicht wahrhaben, haben geleugnet, abgelenkt und abgewiegelt, getrickst und verschoben. Was wir uns aktuell noch abschminken müssen, sind Begriffe wie "Jahrhundertflut", "Jahrtausendkatastrophe". Wir sind in einer Zukunft angekommen, in welcher der Homo sapiens um Lebensräume kämpfen muss.

Die Zeit der Rücksichtnahme auf Demoskopie und jede Art von Partikularinteressen ist vorbei. Die Regierungen dieser Erde müssen Folgendes erreichen: Reduzierung des Bevölkerungswachstums auf null, Nutzung der Wüstengebiete zur Energieerzeugung, Verbot der Produktion von umweltschädlichen Luxusgütern und Mode-/Wegwerfartikeln, Verbot nicht notwendiger Transporte aller Art, Einschränkung der Fleischproduktion, weitgehende Entsiegelung des Bodens, und falls möglich: Beseitigung umweltfeindlicher Regime (Brasilien). Die Liste lässt sich natürlich beliebig verlängern.

Wer frühmorgens trödelt, erreicht seinen Bus entweder außer Atem oder verpasst ihn - fatal, wenn eine Prüfung oder ein Vorstellungsgespräch ansteht.

Die Natur vergibt nur noch überlebenswichtige Termine!

Helmut Knett, Regensburg

Notwendiger Vizekanzlerbesuch

Im Beitrag "Nach der Flut" führt Kurt Kister aus, dass es angemessen sei, wenn sich Amtsträger in Katastrophengebieten zeigen, sie müssten sich ein eigenes Bild machen. Dem stimme ich vorbehaltlos zu, verstehe aber nicht, warum die Anwesenheit von Olaf Scholz in Rheinland-Pfalz eine Geschmacksfrage sei. Herr Scholz ist in seiner Eigenschaft als Vizekanzler von der in Amerika weilenden Kanzlerin gebeten worden, seinen Urlaub zu unterbrechen und in ihrer Vertretung in die Katastrophengebiete zu fahren. Außerdem konnte er auch in seiner Eigenschaft als Finanzminister schnelle finanzielle Hilfe für die schwer getroffene Bevölkerung in Aussicht stellen. Sein Besuch war also keine Geschmacksfrage, sondern politisch geboten und notwendig.

Prof. Christian Flamme, Hamburg

credos

Meinetwegen können die Kandidaten auch dieses Ereignis im Wahlkampf benutzen. Das hat mit der notwendigen Hilfe für die Betroffenen nichts zu tun. Wenn Herr Schröder die Wahl gewonnen hat, weil er im richtigen Moment die Gummistiefel angezogen hatte, sagt das weniger über die Politiker als über die Wähler aus. Es ist also nicht entscheidend, was ein Kandidat tut, sondern was er vorgibt zu tun.

In diesem Wahlkampf geht es vorwiegend um die Frage, ob wir etwas verändern wollen oder ob wir meinen, alles beim Alten lassen zu können, weil es ja bisher immer gut ausgegangen ist. Dann ist natürlich Herr Laschet mit seiner rheinischen Frohnatur genau der Richtige. In der akuten Lage den betroffenen Ministerpräsidenten mimen und Hilfe versprechen, aber wenn es nach der Beseitigung der schlimmsten Schäden darum geht, Konsequenzen zu ziehen, ist zu viel Zeit vergangen, die Schlagzeilen sind ganz andere und das Ganze landet dann im Jahresrückblick der Fernsehsender.

Anfang des Jahrhunderts hatten wir eine vergleichbare Katastrophe in Ostdeutschland. Erinnert sich da jemand noch dran? Gab es damals bis heute irgendwelche Anstrengungen, die Ursachen der Auswirkungen zu analysieren und zur Vermeidung künftiger Schadensereignisse Maßnahmen einzuleiten? Wir müssen akzeptieren, dass wir immer wieder mit Überschwemmungen zu rechnen haben werden. Die Auswirkungen werden umso schlimmer, je stärker wir die Flüsse regulieren, wenn wir keine menschenferne Überschwemmungsfläche haben und wenn wir immer mehr Flächen versiegeln. Das ist alles nichts Neues. Zur Vermeidung von hohen Schäden und Menschenopfern würde es aber bedeuten, dass sich der Mensch nicht mehr ohne Rücksicht - möglichst bis an den Fluss - ausbreitet, sondern eher zurückzieht, dass nicht jede freie Fläche auf dem Lande mit Industrieparks, Neubausiedlungen zugepflastert werden darf, dass wir in letzter Konsequenz unseren Anspruch auf ewiges Wachstum aufgeben müssen.

Thomas Spiewok, Hanau

Zu viele versiegelte Flächen

Jahrzehntelang andauernde überdimensionale Flächenversiegelung wird in keiner Weise eingeschränkt, Begradigung von noch so kleinen Flüsschen oder Bächen immer noch zugelassen, längst notwendige Schutzmaßnahmen werden seit Jahren von genau den Politikern auf Kreis-, Bezirks-, Landes- und Bundesebene ignoriert oder gar verhindert, die sich jetzt wieder einmal mit Besuchen in den derzeitigen Katastrophengebieten profilieren. Welch ein Hohn! Und die Geschädigten müssen noch dankbar sein, dass ihnen vor Ort wieder einmal alles Mögliche und auch Unmögliche versprochen wird. Aber die Politiker wollen ja schließlich wieder gewählt werden. Also dann, bis zum nächsten Hochwasser!

Heinrich Schwab, Stockdorf

Globales Gegensteuern

Diese Katastrophe kostet viele Milliarden, so wie die vorhergehenden Sintfluten in der BRD. Diese enormen Kosten werden noch steigen, wenn im Vorfeld zu wenig Geld in den Klimaschutz fließt. Statt stetigen Wachstums bedarf es stetiger Sicherung. Wir versinken im Wasser, den Amerikanern brennt die halbe Westküste ab. Es geht also um globale Strategien. Deutschland und seine neue Regierung muss seinen Beitrag leisten. Nehmen wir die Parteien mit ihren Wahlprogrammen beim Wort.

Herbert Terhag, Köln

Laschets Ausrutscher

Wenn Herr Laschet und seine angesichts Zerstörung und Tod scherzende Entourage Rückgrat hätten, dann würde jeder von ihnen zur Buße spontan 50 000 Euro Soforthilfe überweisen. Wer mit Herrn Laschet scherzen darf, dem fällt das leicht.

Prof. Dr. Jörg Ihringer, Tübingen

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Quelle:
SZ vom 20.07.2021
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