Klimaschutz-Urteil:Großer Auftrag, große Last

Das Verfassungsgericht verpflichtet die Regierung, bei der Umweltpolitik stärker die Belange künftiger Generationen zu berücksichtigen. Ein Erfolg für Klimaschützer, den Leser begrüßen. Aber auch eine Last, jetzt handeln zu müssen.

Klimaschutz-Urteil: SZ-Zeichnung: Michael Holtschulte

SZ-Zeichnung: Michael Holtschulte

Zu "Deutschland soll 2045 klimaneutral sein" vom 6. Mai, "Die Klimawahl" und "Plötzlich Klimaretter" vom 3. Mai sowie zu "Zum Klimaschutz gezwungen", "Im Freitagssturm" und "Richter und Retter", alle vom 30. April/1./2. Mai:

Keine "Klima-Brosamen" mehr

Was mussten sich engagierte Klimaschützer bei ihrem Kampf gegen die Erderwärmung in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht alles von Politikern, Wirtschaftsvertretern und Medien anhören: "Spaßbremse, Ökodiktatur, Verbotspartei", um nur einiges zu nennen. Am 29. April wurde nun vom höchsten deutschen Gericht festgestellt, dass "in Verantwortung für die künftigen Generationen" der Schutz "der natürlichen Lebensgrundlagen" nach Artikel 20a des Grundgesetzes ein justiziables Recht ist.

Durch dieses Urteil wird offensichtlich, wer hier die Grundfreiheiten seiner Mitmenschen, insbesondere der jungen Generation, beschneidet: Es sind die Vielflieger, die SUV-Fahrer, die Freie-Fahrt-für-freie-Bürger-Politiker und deren Wähler, die Massentierhalter und deren Kunden, die ihre "Freiheiten" bislang hemmungslos auf Kosten ihrer Kinder und Enkel ausgelebt haben. Ab sofort muss die junge Generation nicht mehr um die "Klima-Brosamen" betteln, die von den Konferenztischen der Politiker und der sie "beratenden" Lobbyisten zu ihnen herabfallen. Sie haben nun einen einklagbaren Anspruch darauf, dass ihre Freiheitsrechte von morgen nicht zum Zweck der Profitmaximierung heute buchstäblich verheizt werden dürfen.

Petra Hemptenmacher, Troisdorf

Verfassungsgericht ging zu weit

Das Bundesverfassungsgericht hat sich meines Erachtens zu weit in einen Bereich hineinbegeben, welcher unbedingt der politischen Auseinandersetzung vorbehalten sein sollte. Die Frage, ob und welche Unterziele und operationale Schritte zu Erreichung von langfristigen Oberzielen realistisch, angemessen und praktikabel sind: Das sollte der Auseinandersetzung zwischen den politischen Parteien, Umweltverbänden und anderen NGOs, wissenschaftlichen Instituten, den Medien, Bürgerinitiativen etc. vorbehalten bleiben. Und dabei spielen noch hinein: EU-Rechte und Strategien, Weltklimaschutzvereinbarungen und die Frage, wie man mit global relevanten, unkooperativen Playern wie Brasilien umgeht. Das ist der global-operationale Bereich für das generelle Klimaschutzziel, und es ist kein Feld für ein Karlsruher Verfassungsgericht.

Dr. Dierk Peters Hamburg

Weitere Urteile könnten folgen

CDU/CSU, SPD und FDP haben über viele Jahrzehnte die Zerstörung der Umwelt zugelassen, Wirtschaftswachstum, mehr Wirtschaftswachstum, noch mehr Wirtschaftswachstum, hoch die Tassen. Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt beim Klimaschutz dankenswerterweise eine rote Linie gezogen, die Richterinnen und Richter können sich zukünftig zu weiteren Weichenstellungen bewogen fühlen.

Dr. Jens Brökelschen, Schwerte

Das Ziel ist nicht zu schaffen

Annalena Baerbock ist nicht zu beneiden. Das Bundesverfassungsgericht hat die wahrscheinliche nächste Bundeskanzlerin meines Erachtens dazu verdonnert, 2022 den Offenbarungseid abzulegen, dass wir die im Pariser Abkommen zugesagten Maßnahmen zur Reduktion der Erderwärmung auf plus zwei Grad Celsius bis 2050 nicht schaffen werden. Als Annalena Baerbock geboren wurde, sagten wir: Der Klimawandel ist das Problem unserer Enkel. Als Greta Thunberg geboren wurde, sagten wir: Das ist das Problem unserer Kinder. Heute sagt uns das Bundesverfassungsgericht: Das ist euer Problem! Die nächste Bundeskanzlerin ist nicht zu beneiden.

Raimund Poppinga, Hannover

Erfolg für "Fridays for Future"

Ganz offensichtlich haben die engagierten und hochmotivierten jungen Menschen von "Fridays for Future" (FFF) im Lockdown nicht resigniert, sondern intensiv und zielstrebig an ihrem Anliegen eines nachhaltigen Klimaschutzes weitergearbeitet. Es hat sich gelohnt, das Verfassungsgericht hat in wichtigen Teilen ihrer Klage Rechnung getragen, die unzureichende Klimapolitik der Regierung massiv infrage gestellt. FFF hat den Parteien gezeigt, wohin die Reise gehen muss! Hut ab!

Egon Goldschmidt, Mainz

Nun braucht es Vorschläge

Jetzt geht es darum, die Herausforderungen praktisch zu bewältigen. Da hätte ich mir von den Klägern Hilfestellung erwartet. Nur zu schreien, dass die Katastrophe unaufhaltsam wäre, reicht nicht, auch nicht, wenn sich das Verfassungsgericht mit dieser Frage befasst. Zu fordern, der Kohleausstieg müsse schneller kommen, reicht nicht. Wo sind die trag- und machbaren Vorschläge der Kläger, wie man die Ziele erreichen kann? Nur fordern, andere müssten machen, handeln, sich etwas einfallen lassen, ist schlicht zu einfach.

Natürlich ist zum Beispiel das Thema Speicherung des höchst unzuverlässig generierbaren erneuerbaren elektrischen Stromes vernachlässigt worden, auch war der überstürzte Atomausstieg falsch, denn mit den vorhandenen Kernkraftwerken als Brückentechnologie wären der Zeitraum bis zur vollständigen Versorgung mit Erneuerbaren und der Kohleausstieg einfacher zu bewerkstelligen gewesen. Von alledem war von den "Fridays"-Anhängern, der Deutschen Umwelthilfe oder Greenpeace als Kläger nichts zu hören.

Dr. Gunter Alfke, Hamburg

Klimaschutz zu Lasten anderer?

Für mich ist das ein merkwürdiges Verständnis von Demokratie, wenn das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber zu konkreten Maßnahmen im Gesetzgebungsprozess verpflichtet. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Judikative den Gesetzestext für den Gesetzgeber verbindlich vorschreibt, um dann rechtskonform urteilen zu können. Für mich beginnt hier die Erosion der Demokratie.

Wie irrelevant die sogenannte Klimapolitik betrieben wird, lässt sich an einigen Beispielen erläutern: Der Beschluss bezieht sich auf lokale CO₂-Last und wird daher in seiner globalen Wirksamkeit nicht von elementarer Bedeutung sein. Dazu die merkwürdige Aussage von Herrn Kaiser, Greenpeace: "Wer soll auch verstehen, dass ein einzigartiger Wald (Hambacher Forst) der Braunkohle zum Opfer fallen soll...; und gleichzeitig werden in Grünheide für Tesla Tausende Quadratmeter Wald gerodet und Millionen Kubikmeter dem Grundwasser entzogen. Heißt das, der Wald in Grünheide war weniger erhaltenswert, da E-Autos und Batterien produziert werden? Nach weiterer Aussage des Herrn Kaiser "Letztendlich war das die Wiege (Hambacher Forst) der Klimabewegung in Deutschland" kann man davon ausgehen, dass es nach Greenpeace erhaltenswerte und nicht erhaltenswerte Wälder gibt. Verstöße gegen Umweltauflagen, Arbeitsbedingungen, lässt Herr Kaiser unerwähnt.

Ein steigender Bedarf an Kupfer (80 Prozent mehr gegenüber den letzten drei Jahren) erfordert immer tieferen Tagebau (in Chile momentan bis in Tiefen von fast 1000 Metern) und somit einen nicht reparierbaren Schaden an der Umwelt. Steigender Bedarf an Lithium (momentan zeigt sich eine Verknappung am Markt) geht mit gravierenden Schäden an der Umwelt einher. Wenn ich mir die letzten beiden Absätze des Themas der Woche vom 30. April betrachte, komme ich zur Erkenntnis: Klimaschutz in Deutschland geht zu Lasten der anderen Länder. Ein Entsorgungskonzept zu veralteten E-Autos, Solarpaneelen und Rotorblättern ist nicht in Sicht, dies bringt uns identische Probleme wie bei der Entsorgung von Atommüll.

Helmut Schuessler, Augsburg

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