Süddeutsche Zeitung

Klimakrise:Nachhaltige Lösungen statt Panik

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Ein paar Gedanken zum Ernst der Lage, zu den Urvätern der Umweltpolitik und zu der Frage, wer die Mahnungen der Jugend ernst nehmen und das Ruder schnell und entschlossen herumreißen müsste.

Zu "Dreck ist Dreck" vom 24. September, zu "WHO empfiehlt viel niedrigere Grenzwerte für Luftschadstoffe" vom 22. September und zu "Mut durch Wut" vom 18. September:

Angst durch Angst?

Ich habe mich beim Lesen des Kommentars "Mut durch Wut" geärgert, weil er für mich so klingt, als würde Marlene Weiß jungen Leuten einen Vorwurf daraus machen, Angst zu empfinden: "Es macht die Sache allerdings nicht besser, wenn ausgerechnet diejenigen in Angst erstarren, die dringend gebraucht werden, um eine bessere Zukunft zu gestalten." Für sich allein genommen ist der Satz nicht falsch, mein Ärger rührt daher, dass das, was Sie sonst schreiben, insgesamt nicht wirklich stimmt. Es ist nicht zuerst an den jungen Leuten, die Zukunft zu gestalten, das ist zuallererst an denen, die in den nächsten vier Jahren an den Schalthebeln der Macht sitzen werden, dass heißt an einem der Kanzlerkandidaten, alles keine jungen Leute. Es ist an ihnen, denn bis 2030 müssen wir klimaneutral sein, um das 1,5-Grad-Ziel noch ungefähr einzuhalten. Im Prinzip kommt alles, was nicht von der nächsten Regierung getan wird, unweigerlich zu spät. Die Zukunft muss von den heute Erwachsenen gestaltet werden.

Die Jugendlichen von heute, die müssen in dieser Zukunft dann leben, die heute gestaltet oder eben nicht gestaltet wird. Sie, Frau Weiß, denken aufgrund der Prognosen, dass "die Menschen ihr Schicksal immer selbst in der Hand" haben werden, man kann aber durchaus auch ganz anderer Ansicht sein, wenn man an die Anzahl von Kipppunkten denkt, die offenbar so schnell erreicht werden, wie die pessimistischeren Prognosen es vorhersagten. Und Angst braucht man nicht nur vor einem Ende der Menschheit zu haben, dazu reicht auch schon die Vorstellung, bei einem Verfehlen des 1,5-Grad-Ziels in einer Welt der Flüchtlingskrisen, der Verteilungskriege, des vielfachen Todes durch Hunger, durch Hitze, durch Flut, durch Pandemien leben zu müssen.

Statt Angst schlagen Sie Trauer, Hoffnung oder Wut vor, woraus dann Mut entstehen soll. Mut aber zeigen die Jugendlichen bereits, zum Beispiel als "Fridays for Future" vor drei Jahren anfingen, trotz all des scheinheiligen Geheules über die Schulpflicht und ihre Bildung auf die Straße zu gehen. Nicht wenige Jugendliche engagieren sich im zivilen Ungehorsam von Extinction Rebellion. Extrem mutig ist es auch, wenn einige junge Leute jetzt vor dem Bundestag im Hungerstreik waren um darauf hinzuweisen, dass kein einziges Wahlprogramm auch nur annähernd ausreicht, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Dieser Mut entsteht aber gerade aus der Angst dieser jungen Leute - Mut gibt es überhaupt nur, wenn man Angst hat. Mut ist nicht wirklich das Gegenteil von Angst, dieses Gegenteil wäre Vertrauen. Vertrauen der Jugendlichen, aber natürlich auch all der Erwachsenen, die dieselbe Angst empfinden, dass, trotz aller Schwierigkeiten etwas getan wird, Vertrauen, dass man ihre Angst ernst nimmt, Vertrauen, dass die Verantwortlichen ihrer Aufgabe für die Zukunft gerecht werden.

Aber genau das ist ja nicht der Fall. Die Parteien schreiben ganz aktuell Wahlprogramme, die die Klimakatastrophe gerade nicht ernstnehmen, oder, was die weniger schlechten darunter angeht, immer noch nicht ernst genug. Viele Parteien, wenn nicht alle, haben in Wahrheit immer noch ganz andere Prioritäten, nämlich das Wohlergehen der Wirtschaft, der Energieunternehmen oder der Autoindustrie beispielsweise, oder das Funktionieren eines höchst fragilen Geldsystems. Wenn man dann darauf hinweist, wie XR etwa es tun, dass all das ein systemisches Problem ist, das nur auf der Ebene des Systems gelöst werden kann, dann gilt man schnell als Linksextremist und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Sie sagen, die Jungen werden gebraucht, um eine bessere Zukunft zu gestalten. Damit die Jungen den Eindruck haben können, gebraucht zu werden, müssen sie zunächst einmal den Eindruck haben, gehört zu werden, für voll genommen, ernst genommen zu werden. Aktuell haben die Jugendlichen stattdessen den Eindruck, sie müssten die Rolle der Erwachsenen übernehmen, der Wissenschaft zuhören, auf deren Umsetzung zu drängen.

Ernst Nehmen, Zuhören und vor allem Handeln durch diejenigen, deren Aufgabe es hier und heute ist, das schafft Vertrauen, das schafft Zukunft, sonst nichts.

Martin Gugg, Piding

Definitionsbedarf

Wie Marlene Weiß fühle ich Wut in mir, aber nicht auf die Lobbyisten, sondern auf die Art und Weise, wie das Thema "Klima" durch nichtssagende Floskeln ausgeschlachtet wird. Klima ist nämlich nach Wörterbuch "der für ein bestimmtes Gebiet charakteristische, durchschnittliche Ablauf der Witterung", abgekürzt also: eine Beschreibung der Witterungsverhältnisse. Die Beschreibung findet in Form (hochkomplexer) mathematischer Modelle statt. Diese bestehen aus Algorithmen. Dann retten oder schützen wir Algorithmen und erwarten passiv die Klimakatastrophe. Das wirkt absolut demotivierend. Nicht verwunderlich dann die Unsicherheit und Angst bei den jungen Menschen. Wenn es eine Klimakrise gibt, dann wohl bei den Algorithmen in unseren Köpfen. Die Erderwärmung ist eine Sache, aber nur den Gradienten +1,5 Grad als Ziel zu erwähnen hilft uns nicht, da er jegliche Interpretationen und ihre Gegenteile zulässt und dabei ganze Sachgebiete außer Acht lässt. Anstatt dessen könnte die Hauptaufgabe für die Menschheit heißen: Mit den auf der Erde erneuerbaren Ressourcen auszukommen; erneuerbar hier im menschlichen Maßstab, sagen wir drei Generationen. Ressourcen umfassen unter anderem Energien, Landwirtschaft, Rohstoff-Recycling. Für uns in Europa bedeutet es, ab jetzt die Regelungswut dauerhaft zu verlassen und viele neue, schonendere Technologien und Verfahren zu entwickeln, von denen wir in zwanzig Jahren (gut) leben können; tolle Aussicht für die Jugend. Lassen wir das Wort Klima in Ruhe und reden lieber altmodisch von Nachhaltigkeit oder Umweltschonung.

Bernard Formica, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Der Umweltpionier

Über die Ursprünge der Umweltpolitik in Deutschland lässt sich trefflich streiten. Unstrittig dürfte aber sein, dass der Umweltschutz unter Bundesinnenminister Genscher im wesentlichen nicht über Absichtserklärungen hinausgekommen ist. Der zitierte verdienstvolle Staatssekretär Hartkopf war es dann, der 1982 nach dem Antritt des neuen Bundesinnenministers Friedrich Zimmermann diesen veranlasste, den "Parteifreund Menke-Glückert" mit den Worten "ein Chaot" in den Ruhestand zu versetzen.

Unter Zimmermann begann eine Phase konkreter Handlungen: Mit der Großfeuerungsanlagenverordnung und der Technischen Anleitung Luft wurde eine messbare Reduzierung der Schadstoffe in der Luft erreicht. Die europaweite Einführung des Katalysators bei Kraftfahrzeugen und von bleifreiem Benzin wurde gegen größte Widerstände der Automobil- und Energiewirtschaft durchgesetzt. Alle EU-Staaten standen anfangs gegen die Bundesrepublik. Die Gesetze zum Bodenschutz, Gewässerschutz Abfallwirtschaft und Lärmbekämpfung will ich hier nicht länger ausführen. Es ist eine arge Verkürzung der Sachlage, so zu tun, als sei in den siebziger Jahren das hohe Lied des Umweltschutzes gesungen worden, dann die politische Wende von 1982 zu überspringen und erst "Ende der Achtziger" wieder "eine Welle des Umweltbewusstseins" zu erkennen. Zum Tode Zimmermanns 2012 bezeichnete Heribert Prantl ihn in der SZ als "Umweltpionier", der "die Einführung des Katalysators für Kraftfahrzeuge mit einem Eifer vorantrieb, als hätte er damals schon eine Koalition mit den Grünen im Auge gehabt."

Wighard Härdtl, Staatssekretär a.D., Bonn

Die Kirche im Dorf lassen

Reine Luft ist das Beste, so wie reich und gesund besser ist als arm und krank. Aber man sollte auch die Kirche im Dorf lassen und keine Prinzipienreiterei betreiben. Die Werte der WHO sind Empfehlungen, Qualitätsziele, kein Gefahrenalarm. Sie markieren nicht die Schwelle, ab der Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen, weil es um konkrete Gefahren für Leib und Leben geht. Eine einfache Kontrollüberlegung zeigt das: Unsere Lebenserwartung nimmt nicht ab, sie steigt fortwährend, und zwar so, dass sie der EU und vielen Anderen mächtig Sorgen wegen der Alterssicherungssysteme macht. Man sollte nicht noch einmal den Fehler begehen und die WHO-Werte zu EU- beziehungsweise deutschen Gefahrenschutz-Grenzwerten machen, ab denen schwerwiegende Eingriffe in das tägliche Leben der Menschen erfolgen müssten. Gegen Zielwerte für Verbesserungskonzepte ist nichts einzuwenden. Priorität haben allerdings im Moment ganz andere Sorgen. Wir müssen lernen, mit dem Klimawandel zu leben, von dessen Folgen das Bundesverfassungsgericht sagt, dass sie möglicherweise apokalyptisch sind, und dieses Gericht neigt nicht zu Übertreibungen. Da geht es wirklich um Schutz vor konkreten Gefahren. Und wir müssen aufpassen, dass es zu keinem flächigen, längeren Blackout bei der Stromversorgung kommt, der zum Zusammenbruch aller Systeme führt, von denen unser Zusammenleben inzwischen abhängt. Das könnte uns viel schneller an die Klippe führen als der Klimawandel. Es wird eng, und wenn es eng wird, sollte man ruhig werden, nicht hysterisch.

Georg Schmid-Drechsler, München

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Quelle:
SZ vom 30.09.2021
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