Klimadebatte:Verzicht oder Zuversicht?

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(Foto: Karin Mihm)

Noch eine Kreuzfahrt, noch eine Ölheizung, noch ein Verbrenner? Viele Deutsche sind nicht bereit, sich fürs Klima einzuschränken. Leserinnen und Leser diskutieren, was aus den Ergebnissen einer SZ-Umfrage folgt – und was nicht.

Kommentar „Verzichten? Nein“ vom 28. Juni:

Verzicht muss gerecht sein

Es überrascht überhaupt nicht, dass für einen Großteil der Bevölkerung ein Verzicht fürs Klima nicht infrage kommt. Denn viele Menschen müssen täglich zwangsweise auf Dinge verzichten, die sie sich aufgrund der sozialen Ungerechtigkeit, der zunehmenden Armut in unserem Land nicht (mehr) leisten können.

Gestiegene Lebensmittelpreise, überteuerte Mieten, eine desolate Infrastruktur und teurer, nicht funktionierender öffentlicher Nahverkehr, ein geringer (Mindest-)Lohn, zu wenig Kitaplätze und kaputte Schulen. Wohneigentum kann sich ein Normalverdiener mit Familie schon längst nicht mehr leisten: Die Bewältigung dieser Einschränkungen fordert die Menschen in ihrem Alltag heraus und zehrt verständlicherweise an den Nerven. Die Folge ist eine Verweigerungshaltung im Hinblick auf einen Verzicht fürs Klima. Es entsteht berechtigte Wut. Denn gleichzeitig führt die obere Einkommensschicht ihr Konsumleben weiter wie bisher, mit klimaschädlichen Schiffs- und Flugreisen, Restaurantbesuchen, Luxusshopping, SUV-Wahn. Klimawandel funktioniert nur mit sozialer Gerechtigkeit. Drastische Aufrufe und Warnungen vonseiten der Politik werden nichts nützen, solange das Gemeinwohl nicht alle BürgerInnen einschließt.

Gabriele Lauterbach, Überlingen

Falsche Fragen im Konjunktiv

Nach einer Meinungsumfrage wäre ein Großteil der Bevölkerung nicht bereit, für mehr Klimaschutz auf Wohlstand zu verzichten. Dies entspricht dem aktuellen Trend zu einer immer egoistischeren Gesellschaft. Allerdings bleibt unklar, was sich die Meinungsforscher mit ihren Fragen gedacht haben, die im Konjunktiv formuliert sind. Das heißt: Die Frage ist an den Eintritt einer Bedingung geknüpft, die sich die Befragten selbst dazudenken müssen. Der Klimawandel als hypothetisches Modell – weit weg, vielleicht so: „Worauf würden Sie verzichten, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, wenn irgendwann der Klimawandel erfunden würde?“ Wenn 55,7 Prozent der Antwortenden auf Kreuzfahrten verzichten „würden“, warum tun sie es dann nicht? Was sollen die Menschen antworten, die bereits einen derartigen Verzicht üben?

Unerklärlich bleibt auch die Frage nach der Bereitschaft, für Strom aus erneuerbaren Energien mehr zu zahlen? Noch nichts davon gehört, dass Strom an der Börse immer dann besonders günstig ist, wenn viel Strom aus erneuerbaren Energien produziert wird? Schon vergessen, dass die Strompreise vor zwei Jahren deswegen so stark gestiegen sind, weil sich Gas und Kohle drastisch verteuert hatten? So möchte man die Meinungsforscher fragen: Wären Sie bereit, folgende Fragen zu stellen, um einen Beitrag zur Meinungsbildung zu leisten? „Sind Sie bereit, für die Beseitigung von Klimafolgeschäden auf einen Teil Ihres persönlichen Wohlstands zu verzichten?“ Oder: „Sind Sie bereit, mehr für Strom aus Kohle zu zahlen als aus erneuerbaren Energien?“ Nur mal nachgefragt. Im Konjunktiv.

Dirk Langer, Rosenheim

Überzeugen Sie die Regierung

Sehr geehrte Frau Bund, Sie irren sich. Nicht wir Bürger müssen von mehr Klimaschutz überzeugt werden – sondern die Regierung. Denn wir hatten bei der letzten Bundestagswahl ja dafür gestimmt. Danach leitete Kanzler Scholz aber eine „Zeitenwende“ ein: Der Hauptfeind ist nicht mehr der Klimawandel, sondern Putin! Ein neuerliches Wettrüsten konterkariert doch jeglichen globalen Klimaschutz. Unsere Regierung hat die Prioritäten verschoben – und damit unsere Steuergelder. Wir klimabewussten Wähler fühlen uns komplett verraten. Wir können doch gar nicht mehr so viel vegan anessen gegen den immens steigenden CO₂-Ausstoß durch Wettrüsten, Krieg und Zerstörung.

Sabine Matthes, München

Positiv argumentieren

Die Politik müsse „den Menschen klarmachen, dass Klimaschutz nicht zum Nulltarif zu haben ist“, sagt die Demoskopin Janina Mütze. Das klingt vernünftig, aber so, glaube ich, funktioniert es gerade nicht. Man darf nicht defensiv, sondern muss positiv argumentieren: Ein Elektroauto ist schicker als ein Verbrenner, und wer Photovoltaik auf dem Dach hat, ist schlauer als der Nachbar mit seinem ollen Ölkessel. Und Deutschland ist spitze, weil es alles das schneller und besser herstellen und haben wird als andere Länder.

Natürlich kostet Klimaschutz etwas. Aber wer sagt denn, dass unverzichtbar nur das Altbekannte ist? Früher hatten Autos keine Sicherheitsgurte, kein ABS, keinen Katalysator. Auch heute noch könnten sie ein paar Euro billiger sein ohne alle diese Annehmlichkeiten. Aber wer wollte das?

Leider gibt es zu viele Politiker, die es zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben, die Schutz- und Trotz-Reflexe des Publikums zu kitzeln. Dagegen kommt man nur an, wenn man das Denken und Fühlen wieder in eine positive Richtung lenkt. Statt den Leuten einzureden, die „multiplen Krisen“ berechtigten sie zu Selbstmitleid, könnte man auch herausstellen, dass wir einige Krisen bereits abgeräumt haben und andere demnächst meistern werden: Finanzkrise? Der Beginn eines langen Booms. Coronakrise? Vorbei. Energiemangellage? Abgewendet. Ukrainekrise? Für Putin nicht so toll gelaufen, und demnächst vielleicht noch schlechter.

Axel Lehmann, München

Klimapolitik ist eine Wahl

Ein Grund für diese Umfrageergebnisse könnte sein, dass die Menschen glauben, sie als Einzelperson können ohnehin nichts bewirken. Und sie zweifeln auch daran, ob sie wirklich das bekommen werden, was die Klimapolitik verspricht. Was man den Menschen aber ins Bewusstsein bringen könnte: Klimapolitik ist wie eine Wahl. Die einzelne Stimme bewegt nichts, aber die Gesamtheit aller Stimmen können eine Regierung stürzen oder bestätigen.

Peter Fendt, Marktoberdorf

Träge in beide Richtungen

Sehr geehrte Frau Bund, grundsätzlich kann ich Ihre Logik ja nachvollziehen, was die Kritik an der gegenwärtigen Kommunikation zum Klimawandel und die Kritik an der Verzichtsdebatte angeht. Aber seien wir ehrlich: Das Klimasystem ist träge, in die eine wie in die andere Richtung. Selbst wenn wir jetzt die CO₂-Emissionen global auf null bringen (was nicht passieren wird), so werde zum Beispiel ich als Frau mit Anfang 50 nicht mehr erleben, dass es besser wird. Dass Dürre, Hitze und allgemein Extremwetter noch mal weniger werden. Ich werde nur erleben, dass es noch schlimmer wird, und das gilt auch für alle, die älter sind als ich. Und das ist nun mal die Mehrheit der Wahlberechtigten.

Was wollen Sie uns also als positive Vision verkaufen? Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin Mitglied der Grünen und unterstütze selbstverständlich alle Bemühungen um Klimaschutz. Ich habe auch mit Verzicht kein Problem, praktiziere das schon lange, allein weil ich weiß, dass das Blut der Opfer von Hitze und Überschwemmungen überall auf der Welt auch an meinen Händen klebt, und weil ich Angst um die Zukunft meiner Kinder habe.

Aber sehr viele Leute in unserem Land haben weder Kinder noch Enkel. Sie wollen Spaß jetzt und keine Belohnungen in ferner Zukunft, von denen nur andere profitieren. Viele sind auch gar nicht mehr in der Lage, einen Zusammenhang herzustellen zwischen den merkwürdig verschobenen Blühphasen von Pflanzen in ihrem Garten und dem Klimawandel. Die haben aber auch alle noch das Wahlrecht. Was wollen Sie all denen als positive Vision verkaufen?

Susanne Petersen, Weinheim

Wissen sie, was kommt?

Vom Ansatz her ist es natürlich gut und richtig, was Kerstin Bund in „Verzichten? Nein“ schreibt. 30 Prozent der Bevölkerung sagen also, dass sie auf nichts verzichten wollen, um der Klimakatastrophe entgegenzuwirken. Wenn sie allerdings wüssten, was auf sie zukommen wird, fiele die Entscheidung ganz anders aus. Ich empfehle absolut jedem das Buch „Handeln statt hoffen“ von Carola Rackete zu lesen, der beherzten, mutigen Seenotretterin. Das ist Klartext, ganz leicht verständlich und seine Botschaft – so sie denn beherzigt werden wird – wird in eine wunderbare und längst überfällige sanfte Revolution münden.

Gabriele Rohlfes, Tübingen

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