Süddeutsche Zeitung

Kirche:Viel Ärger, kaum Fortschritte

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Nach dem Missbrauchsskandal haben viele Gläubige auf Strukturreformen in der katholischen Kirche gehofft. Doch 2020 war für einige Leserinnen und Leser eher das Jahr der Verzögerung - um den Willen des Machterhalts.

Zu " Der Zeuge" vom 19./20. Dezember, " Kirche im Dunkeln" vom 16. Dezember, " Wieso hat der so viel Geld" vom 15. Dezember sowie zu " Heilige Unmoral" und " Papst: Kirche ist keine Partei" vom 26. November, " Die Erkenntnisse müssen toxisch sein" vom 19. November und " Wer sind hier die Laien?" vom 18. November:

Mehr Seelsorger, weniger Ämter

Ein autoritäres System, das sich von Gott erwählt betrachtet, den Schatz der unveränderlichen Wahrheit hütet und von oben nach unten Gottes Anweisungen, das heißt die eigenen Anweisungen durchzusetzen versucht. Was dabei herauskommt, zeigt bis zum heutigen Tag die oft kriminelle Geschichte. Viele Rechtgläubige allerdings sind blind gegenüber der Geschichte, sehen unbeeindruckt von den sogenannten Zeitströmungen "ein Haus voll Glorie schauet". Nur mit grundlegenden Änderungen und neuem Schwung besteht eine Chance für die Zukunft. Salbungsvolles Reden reicht nicht.

Als Erstes müsste die offizielle Kirche die Charta der Menschenrechte anerkennen. Das hätte viele Konsequenzen. Vor allem die uneingeschränkte Anerkennung der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Und zweitens die Abschaffung der Zweiklassengesellschaft zwischen Geweihten und Ungeweihten. Solange es die Magie der Weihe gibt, glaubten viele Geistliche, bei persönlichen Bedürfnissen keine Rücksicht nehmen zu müssen.

Solange es das Wort Laien gibt, haben die Geweihten von ihrem Gründer Jesus aus Nazareth meines Erachtens nichts kapiert. Und speziell die Bischöfe und Kardinäle, die führenden Bremsklötze des Vereins: Diese obersten Repräsentanten sind weder gutausgebildete Führungskräfte noch haben die meisten eine längere Erfahrung mit den konkreten Problemen der Gläubigen beziehungsweise der Pfarreien. Realistische Seelsorge betreiben sie kaum.

In Theologie, speziell in der Erklärung der meist in altorientalischer Mythologie geschriebenen Bibel haben sie in den letzten 70 Jahren nichts dazugelernt. Ihre Verantwortung sehen sie primär gegenüber Rom und nebenbei sind sie hoch dotierte Gehaltsempfänger des Staates, ohne eine ernsthafte Leistung erbringen zu müssen.

Und nur für mittelalterliche Repräsentation sind sie zu teuer. Also überflüssig. Seelsorger bräuchten die Menschen!

Lorenz Huber, Altomünster-Asbach

Machterhalt um jeden Preis

Man könnte die Botschaft des Kardinals zum Adventssonntag "Gaudete" auch als Musterbeispiel für Chuzpe interpretieren. Unter den gegenwärtigen Umständen wird aber aus dem Unbehagen, das die Autorin Annette Zoch empfindet, bloßes Entsetzen. Handelt der Dr. theol. Woelki nur unbedacht, oder muss man ihm Weltfremdheit, gar Dummheit konzedieren?

Man fragt sich, ob diesem Oberhirten eigentlich bewusst ist, dass er zu den Totengräbern seiner Kirche zählt. Dass er den Betroffenen-Beirat mühelos über den Tisch gezogen hat, wirft allerdings auch ein bezeichnendes Licht auf dieses Gremium. Für Woelki ist das Verharren in konservativen Grundpositionen nicht nur theologische Überzeugung, sondern Conditio sine qua non für den Machterhalt um jeden Preis. Sein Versprechen schonungsloser Aufklärung und Wahrung des Rechts erweist sich als medienwirksame rhetorische Seifenblase. Wenn Woelki, wie es heißt, jetzt tatsächlich auch unter Kardinalskollegen an Vertrauen verloren hat, so muss man dringend anmahnen, dass daraus auch endlich Konsequenzen gezogen werden.

Robert Tomaske, Bochum

Marx' Beispiel folgen

Ich schlage folgendes Gedankenexperiment vor: Die 27 Bischöfe Deutschlands, mit und ohne Kardinalsprädikat, folgen dem Beispiel ihres Amtsbruders Kardinal Marx und bringen einen Gutteil ihres Vermögens in die Stiftung "Spes et salus" für die Opfer sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche ein. Kardinal Marx selbst verband mit der Veröffentlichung seines Schritts den Wunsch, dass weitere seinem Beispiel folgen möchten.

Gleichzeitig erklärten sich die deutschen Bischöfe einig darin, den systemischen Ursachen des Missbrauchs nachzugehen. Sie wären konkret sich mit Marx einig, dass das klerikal Männerbündische mit Hirten und Schafe-Einteilung zu diesen Ursachen zählt, der Ausschluss der Frauen aus vielen Leitungsebenen gar zu einer Verdummung derselben führt. Sie wären sich auch darin einig,dass im Unterschied zu den Aussagen von Papst Johannes Paul II die Frage "Frauen im Priesteramt" offenbleiben muss, am besten allerdings nicht für alle Zukunft, sondern im Sinne einer baldigen und absehbaren Abschaffung der bisherigen, dogmatisch zementierten Praxis.

Die Äußerungen Kardinal Marx' sind vielleicht ein Funken in der katholischen Dunkelheit oder biblisch ausgedrückt ein "Senfkorn". Käme jedoch das Gedankenexperiment in der Realität zustande, müsste schon von einem kleinen, lichtgebenden und wärmenden Feuer gesprochen werden.

Dr. Ludwig Zwack, Buchenberg

Steuerzahler spenden doch mit

So bemerkenswert das finanzielle Engagement von Herrn Marx ist, so sollten seine Aussagen zu den systemischen Mängeln der Weltkirche im Mittelpunkt stehen. Welche Veränderungen werden in diesem von Männern bestimmten, klerikalen, hierarchischen und intransparenten Kastensystem ermöglicht, in dem die Hirten leiten und die Schafe folgen müssen? Hinsichtlich der Spenden für die Opfer von sexueller Gewalt durch Priester der Kirche sei angemerkt, dass der Staat (= die Gemeinschaft der Bürgerinnen und Bürger) sich über die steuerliche Behandlung von Spenden und Stiftungseinlagen durch eine dem Progressionssatz entsprechende Rückerstattung der Einkommensteuer an diesen beteiligt.

Johannes Lakes, Oberhausen

Gläubige nicht mit verunglimpfen

Bei dem Rundumschlag gegen die Kirche und ihre Amtsträger in "Wer sind hier die Laien" entfaltet Autor Esslinger eine Schelte, die durch unsachgemäße Wut auf ihn zurückfällt. Da wird das menschliche Eingeständnis von Überforderung des Bischofs Mussingshoff behandelt, als ob menschliches Einfühlungsvermögen in die leidtragenden Opfer mechanisch sachlich abgewickelt werden könnte wie die Herrichtung einer Haarfrisur; anstatt seiner Betroffenheit einer Person gerecht zu werden, die ihre Grenze eingestanden hat.

Kirche ist nicht ein Verein von Klerikern und/oder Laien, sondern eine lebendige Gemeinschaft als Volk Gottes, und die hier vorgetragene Verunglimpfung durch mangelnde Differenz darf nicht zu einer Mitverhaftung aller Christen durch das Handeln Einzelner führen, ist doch Kirche jeder, der im Christusbund steht.

Dieses Sammelsurium von Anspielungen, um der Kirche eine Breitseite zu verpassen, von Inquisition, angerissenen Sex-Beispielen, Beichte. Liebe wird verwechselt mit Ordnung eines Lebensstandes, zum Beispiel der Ehe. Dann noch das Bild vom Hirten und den Schafen verzerrt. Warum so ein Schmäh in einer Tageszeitung?

Michael Rudolf, Aindling

Schuld eines unmündigen Staates

Zur Causa Woelki: Es ist schon starker Tobak, wie unsere Kirchen mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder - mit Verbrechen - umgehen. Das wird sich nicht grundlegend ändern, auch nicht nach den angemahnten kirchlichen "Systemänderungen". Verbrechen geschehen, es wird sie weiterhin geben, auch in der Kirche. Kirchenrecht statt deutschen Strafrechts, das ist der Konstruktionsfehler. Diesen Fehler gilt es zu beseitigen, es handelt sich hier um eine nicht vertretbare Privilegierung.

Der Staat kann Aufgaben übergeben, zum Beispiel Prüfaufgaben an den TÜV, nicht aber die Verfolgung und Ahndung von Verbrechen. Eine Fortgeltung der Privilegierung von Kirchenrecht vor Strafrecht bedeutet auch unser aller Mitschuld, Schuld eines unmündigen Staates.

Knut Emeis, Schinkel

Befreiungstheologie verkehrt

Die Kirche predigt Wasser und trinkt Wein. Mit den Spenden, die für die Armen gedacht sind, lässt es sich die Kirche gut gehen, wie in "Heilige Unmoral" thematisiert. Der Vatikan dreht somit die Befreiungstheologie zu eigenen Gunsten einfach um.

Artur Borst, Tübingen

Beamtentum statt Christentum

Christ oder Amtsträger der Institution Kirche zu sein, ist leider nicht identisch, sondern unterscheidet sich in manchen Aspekten höchst schmerzlich voneinander.

Wenn einer ein wirklicher Christ wäre (ich wähle hier bewusst nur die männliche Form), dann würde er sich bedingungslos auf die Seite der Opfer sexueller Gewalt stellen. Er würde sie hören, die Institution Kirche zur Seite schieben und das Leiden ins Zentrum rücken. Er würde bedingungslos dafür Sorge tragen, dass ein Täter keine weitere Möglichkeit mehr hat, ihm Anvertraute zu Opfern zu machen. Und er würde kein Opfer durch Missachtung weiter beschädigen.

Und dann? Dann würde er sich auch dem Täter zuwenden, der Opfer seiner eigenen Bedingtheit und Gefangenschaft ist, und würde ihm, soweit er es vermag, zur Seite stehen und ihn nicht verlassen. Das wäre christliche Kirche. Dagegen bei Entscheidungen mit ängstlichem oder berechnendem Blick auf die Institution Kirche zu schauen in der Hoffnung, sie möge keinen allzu großen Schaden nehmen, strategisch zu denken und zu hoffen, der Balanceakt zwischen Schuldeingeständnis und Vertuschen möge gelingen, oder gar das eigene Pöstchen allzu wichtig zu nehmen, ist Beamtentum, aber kein Christentum.

Silvia Berger, München

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Quelle:
SZ vom 22.12.2020
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