Süddeutsche Zeitung

Kirche:Hoffen und glauben - trotz allem?

Lesezeit: 4 min

Manche Leser haben kein Verständnis mehr für Gläubige, die Steuer zahlende Mitglieder vor allem der katholischen Kirche bleiben, andere verteidigen ihr Bleiben trotz der Skandale. Haben wir die Osterbotschaft missverstanden?

Zu: " Kraft der Zuversicht" und zu " Ich bleibe", beide vom 3./4./5. April:

Falsche Vorstellungen

Es ist eben die Frage, ob die Christenheit zu Ostern "eine einzige Unmöglichkeit" feiert. Könnte ein solches Denken davon kommen, dass man die "Osterzuversicht" zu sehr an die Vorstellung bindet, "dass dieser Jesus leibhaftig auferstanden ist", was nur noch eine Minderheit glaube? Die Analyse "Kraft der Zuversicht" über den Zustand der Kirchen (einen konfessionellen Unterschied vermag ich dabei nicht zu sehen), dass "die Grabesstimmung" über den Karfreitag hinaus weiterginge, und sie von "schleichender Auszehrung" und dem "großen Egal" betroffen seien, mag richtig sein. Aber rührt dieser Zustand neben allen aktuellen Problemen nicht auch daher, dass die kirchliche Verkündigung den rechten Glauben zu sehr an gegenständlichen Vorstellungen misst?

Nicht umsonst sprechen wir von Erzählungen und nicht von Berichten über die Auferstehung. Das kann gar nicht anders sein, weil wir weiterhin über Jenseitiges - auch bei den Erlebnissen nach dem Tod Jesu - nur in "Bildern und Gleichnissen" sprechen können.

Wenn alle Religionen dies beherzigen würden, müssten sie nicht um unterschiedliche gegenständliche Vorstellungen streiten. Die Kirchen könnten darin eine bescheidene, nicht siegreiche Vorreiterrolle einnehmen, weil von Jesus ganz ausdrücklich gesagt wird: "Ohne Bilder und Gleichnisse redete er nicht zu ihnen." Wenn gegenständliche, weltbildlich bedingte Vorstellungen zum Maßstab des rechten Glaubens gemacht werden, kann es leichter geschehen, dass Zeitgenossen die Osterbotschaft abtun. Geschieht nicht gerade auf diesem Weg die "Musealisierung des Christlichen"? Vor allem aber: Die Osterbotschaft wird gar nicht mehr in einen praktikablen Zusammenhang gebracht mit gegenwärtigen Problemen wie Pandemie-Bewältigung, Kampf gegen Erderhitzung und für eine gerechtere Welt. Und diejenigen, die sich dafür einsetzen, können nicht mehr darauf kommen, aus der Osterbotschaft Kraft und Zuversicht zu gewinnen und in den Kirchen eine Herberge (Paroikia-Pfarrei) auf ihrem Weg der Nachfolge zu sehen. Unsere Altvorderen sprachen "vom geistlichen Verständnis" der Frohbotschaft. In diesem Sinn kann man auch heute antworten: "Ja, er ist wahrhaftig auferstanden", klugerweise heißt es nicht: leibhaftig.

Lic. theol. Josef Göbel, Berlin

Austreten und zahlen ist zweierlei

Die Kirchen in Deutschland haben es geschafft, das Bezahlen von Kirchensteuern mit der Bekenntnis zum christlichen Glauben zu verschmelzen. Dieser für die Institution Kirche segensreiche Schachzug wird in Deutschland kaum hinterfragt. Niemand, der keine Kirchensteuer zahlt, "tritt aus der Kirche aus". Das Sakrament der Taufe oder das Glaubensbekenntnis beruhen nicht auf Steuern, die gezahlt oder nicht gezahlt werden. Ein Wechsel der Konfession ist in Deutschland wie im Rest der Welt dann möglich, wenn man sich zu einem anderen Glauben oder zum Beispiel zum Atheismus bekennt. Ansonsten bleibt man (katholischer oder evangelischer) Christ. Zu einem Verschwinden des Glaubens, wie im Artikel von Matthias Drobinski befürchtet wird, braucht und wird es nicht kommen, denn die Mehrheit derer, die "der Kirche" den Rücken zuwenden (keine Kirchensteuer mehr bezahlen), wendet sich deshalb nicht vom Glauben an Jesus Christus ab, sondern von Menschen, die denken, diesen Glauben vollziehen zu müssen.

Werner Wagner, Fischbachau

Die Angst vor dem letzten Schritt

Reisende kann man nicht aufhalten, meint Birthe Mühlhoff in "Ich bleibe". Sie plädiert aber dafür, in der Kirche zu bleiben. Ihre Gründe haben mich interessiert, schmecken freilich fad. Ein Argument macht besonders stutzig. Der Erfolg von Kirche bemesse sich nicht "an der moralischen Integrität ihrer Mitglieder". Der Satz schreckt Moralisten ab und lässt christliche Pragmatiker aufatmen. Ich lese daraus: Sich die Finger schmutzig machen dürfen und trotzdem ein Gläubiger bleiben. Das Ideal der Nächstenliebe gäbe jedoch keinen Sinn, wenn man Missbrauchstäter und deren Opfer gleichermaßen achten würde. Kirchenaustritte sind in diesem Zusammenhang mehr als ein naiver Reflex unbedachter Mitläufer. Die Autorin verengt überdies Kirche auf eine "geistige Gemeinschaft". Deren Mitglieder könnten aber das christliche Wertepotenzial für verantwortungsgerechtes Tun breit umsetzen. Propagierte Normen überzeugen dann eher. Das spornt Nachahmer an.

Kirche möchte durch Eucharistie und Gebete für Geborgenheit sorgen. Das Glaubensgespräch kann Irritierendes in unserer Welt zur Sprache bringen. Empörendes darf weder kleingeredet noch verdrängt werden. Niemand ist jedoch verpflichtet, Irritationen bis ins Letzte auszuhalten oder in allverzeihende Demut zu verfallen. Manche Entscheidung für einen Austritt ist Ergebnis eines langen, zähen und überlegten Ringens. Ich verstehe die Angst vor dem letzten entscheidenden Schritt.

Ulrich Schreiber, Detmold

Weltweit in der Kirche zu Hause

Auch ich bleibe. Dieser Artikel ist mir so recht aus dem Herzen gesprochen. Man kann nur noch hinzufügen, dass die Katholische Kirche ja ein internationaler Verein ist und damit auf alle Menschen dieser Welt Rücksicht nehmen muss und sich nicht nur am deutschen Geschmack orientieren kann. Deutschland tritt ja auch nicht aus der UN aus, weil nicht alle Länder nach unserer Pfeife tanzen. Dafür fühle ich mich weltweit zu Hause, sobald ich eine katholische Kirche betrete, weil ich die Symbolik kenne und dem Gottesdienst allein aufgrund des Rhythmus der einzelnen Gebete folgen kann. Dafür bin ich der Kirche dankbar.

Felicitas Berta, Offenbach

Steuern und Zuschüsse skandalös

Frau Mühlhoff schafft es, die Titelseite des SZ-Feuilletons zu füllen, ohne strukturellen Missbrauch, Allmachtansprüche, Exzesse aller Art oder Hexenverfolgung, Inquisition, Schande, Sünde und das durch die "Missionierung" herbeigeführte unendliche Leid vieler Hundertmillionen von Menschen auch nur zu erwähnen. Stattdessen beschreibt sie die Kirche als netten, manchmal natürlich nicht mehr zeitgemäßen Opa, bei dem man brav seine Gebete abgibt, damit er diese "nach ganz oben" leiten kann, bei dem man nette, interessante Leute kennenlernen kann und der ganz viel Lebenserfahrung hat. Und ein Unternehmen ist Opa natürlich nicht, wie auch?

Dass in einem säkularen Staat Steuern für ein religiöses Unternehmen eingezogen werden, ist ein Skandal, dass diese Organisation zusätzlich mit erheblichen öffentlichen Mitteln gespeist wird, ein noch größerer!

Raimund Lampert, Berlin

Wer glaubt, ist nie allein

Auch ich werde immer wieder gefragt: Warum bist du noch in der katholischen Kirchen, du müsstest es doch wissen. Ja, ich weiß, was das heißt. Strenge klösterliche Schulen, anders als Schulfreundinnen, die zurückblieben und Party feierten, wo ich täglich den Rosenkranz und das Ave Maria mittags betete, beten musste. Trotzdem! Ich bleibe. Den Glauben kann man nicht ablegen wie ein altes Kleid. Wer glaubt, ist nie allein. Ich habe mir trotz vieler schwierigen Situationen als Kind und junges Mädchen meinen "Kinderglauben" bewahrt, heute bin ich froh darum und habe viele Lebenssituationen mit einem Gebet und meinem Glauben meistern können. Ich kann es nicht so ausdrücken wie die Autorin. Aber eines haben wir gemeinsam: Demut und Nächstenliebe, also warum sollten wir nicht dabeibleiben. "Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln" sagte Dietrich Bonhoeffer.

Veronika Schmid, Miesbach

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Quelle:
SZ vom 20.04.2021
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