Kinder und digitale Medien:Handy, Computer und Tablet -  Fluch oder Segen?

Grundschulkinder soll man nicht zu lange vor Medien setzen. Umstritten ist, wie viel Digitalzeit für ältere Schüler gut ist. Sie darf persönliche Begegnungen nicht ersetzen, meint eine Leserin.

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Handy gucken mit dem Papa: Wieviel Digitalzeit ist für junge Kinder bis ins Grundschulalter überhaupt sinnvoll?

(Foto: imago/PhotoAlto)

Zu "Verdammen und verdummen" vom 15./16. Juni:

Die Schlagzeile führt in die Irre. Mit einer derart polarisierenden, emotionsgeladenen Entweder-oder-Fragestellung kann man dem Thema nicht gerecht werden. Sie verhindert eine vernunftorientierte Auseinandersetzung. Michael Winterhoff, Kinder- und Jugendpsychiater, verdammt in seinen Ausführungen nicht ein einziges Mal einen vernünftigen Umgang mit Smartphone, Computer oder Tablet.

Er will den Gebrauch dieser Technik auch nicht grundsätzlich vorenthalten. Er weist allerdings nachdrücklich auf die psychischen Veränderungen bei Kindern und deren gesellschaftliche Folgen hin. Und er benennt die gravierenden wirtschaftlichen Interessen bei der Einführung dieser Geräte in Schulen. Fränzi Kühne, Chefin einer Digitalagentur, sieht hingegen kein Problem darin, wenn sie jeden Abend eine App benötigt, um ihrer Tochter das Einschlafen schmackhaft zu machen. Auf diese Weise würden Kinder "so früh wie möglich für die Werte dieser Technik sensibilisiert", hofft sie. Frau Kühne beschreibt damit eindrücklich eines von vielen Beispielen, in denen selbst die einfachsten menschlichen Tätigkeiten an technische Geräte delegiert werden. Dass der Gebrauch solcher Spielzeuge eine Energiewirtschaft beschleunigt, die einen immer höheren Stromverbrauch verursacht, wird dabei verdrängt. Die euphemistische Bewertung dieses Prozesses als Fortschritt oder "Teilhabe" ist hochgradig verharmlosend und verantwortungslos. Sie zeigt, mit welchen Strategien die fortschreitende gesellschaftliche Verdummung befördert wird.

Luise Rudnick, Tübingen

Herr Winterhoff hat recht. Grundschulkinder sind von digitalen Medien fernzuhalten. Und nicht nur sie, auch Jugendliche. Denn ein großer Teil der Erwachsenen ist ebenso nicht in der Lage, mit diesen Medien sinnvoll umzugehen. Menschen brauchen echte Begegnungen. Es ist ein Verbrechen an den Kindern und Jugendlichen, ihnen diese Geräte in die Hand zu geben. Wenn jetzt die Digitalisierung in die Schulen kommt, wird eine ganze Generation verheizt, von Politikern, die es besser wissen müssten, aber nicht wissen wollen, und einer Industrie, die gewissenlos ist.

Als Lehrerin kenne ich viele Jugendliche, die verbringen jede freie Minute mit ihren Smartphones, die eigentlich Dummphones heißen müssten und die ganz offensichtlich süchtig machen. Sie sprechen kaum noch mit Gleichaltrigen. Sie sind apathischer und fügsamer als früher. Sie brauchen viel länger, um ein Gemeinschaftsgefühl aufzubauen. Sie können die Natur nur noch mit dem Handy in der Hand, Selfies machend, erleben. Viele haben größte Probleme, die wichtigsten Aussagen einfacher Texte oder inhaltliche Zusammenhänge zu erkennen. Wir sollten endlich aufwachen, statt uns von Leuten wie Frau Kühne und ihrer "Schlaf-Gut-App" einlullen zu lassen.

Claudia Schilling, Dornach

Vielen Dank für die Pro-und-Contra-Diskussion zur Digitalisierung unserer Kinder, die eigentlich auf die Titelseite gehört hätte. Die Digitalisierungsbefürworter sind uns bisher den Nachweis schuldig geblieben, dass frühe Beschäftigung mit Medien Intelligenz, Kreativität, Gesundheit, körperliche Aktivität oder auch nur Lebenszufriedenheit steigert. Wo bleibt die Diskussion darüber, wie die aktuellen Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO im Alltag umzusetzen sind? Beispielsweise für Vierjährige täglich 180 Minuten (drei Stunden!) Bewegung und zehn bis 13 Stunden Nachtschlaf.

Meines Erachtens ist die Diskussion interessengesteuert (es geht nicht um die Interessen der Kinder) und geht am Thema vorbei: Die Menschen leiden und sterben an den Folgen des (vor dem Bildschirm) sitzenden Lebensstils, nicht am Mangel an Medienexposition.

Dr. med. Dorit Maoz, München

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