Martin Kurzhals kennt sich aus. Mit Bibi, die hexen, und Tina, die reiten kann. Auch weiß der 46-Jährige einiges über den Elefanten Benjamin Blümchen. Und was ist mit den drei Detektiven, also den drei ???, deren Spürsinn noch jeden Kriminalfall gelöst hat? "Das ist weltweit das erfolgreichste Kinderhörspiel", sagt er und schnalzt dabei kaum hörbar mit der Zunge. "Mit inzwischen mehr als 50 Millionen verkauften Tonträgern."
Als Familienvater interessieren Kurzhals die Helden aus seiner Kinderzeit nicht unbedingt. Seine Tochter hat mit 13 nun ganz andere Idole. Sein 18-jähriger Sohn lebt für Fußball. Und Martin Kurzhals hofft, dass er damit einmal weiter kommt als er selbst. In Frankfurt an der Oder galt er einst als eines der größten Fußballtalente des ortsansässigen FC Vorwärts. Eine schwere Verletzung brachte das Ende seiner Fußballerkarriere. Zugleich war es der Start für eine berufliche Laufbahn, die ihn zuletzt an die Spitze von Tigermedia geführt hat.
Tigermedia ist ein Start-up, das Kurzhals 2018 gemeinsam mit Till Weitendorf über ein Management-Buy-out gegründet hat. Es bringt alte und neue Geschichten für Kinder in die digitale Welt. Womit auch geklärt ist, warum sich Kurzhals so gut mit Bibi und Tina oder eben Benjamin Blümchen auskennt. "Sie sind, neben ein paar anderen Geschichten, immer noch die Renner in unserem Digital-Geschäft", sagt Kurzhals. "Dabei haben wir jetzt mindestens 10 000 andere Kindergeschichten und auch schon mehr als 500 Lieder im Angebot."
Privat liest der umtriebige Manager mit dem immer "übervollen Terminkalender" höchstens drei bis vier Bücher im Jahr, wie er gesteht. Darunter sei zumeist auch ein Thriller von Bestsellerautor Sebastian Fitzek. "In seinen Büchern tauchen häufig Typen auf, die sich immer wieder neu erfinden müssen", findet er. "Und genauso ist es immer wieder auch mir ergangen."
Kinder sollen eigenständig in eine Geschichtenwelt eintauchen - und zwar digital
Stimmt. Erst Studienbeginn an der TU Cottbus mit dem Ziel, Wirtschaftsingenieur zu werden. Als er aber in der Zeit des Neuen Marktes die Chance bekam, beim Hamburger Internet-Dienstleister Ision AG einzusteigen, schmiss er kurzerhand hin, um zwei Jahre später "reumütig" zurückzukehren.
Das vom Verlagserben Alexander Falk zwischenzeitlich zum Börsen-Star gepushte Unternehmen ging mit dem Börsencrash am Neuen Markt in die Insolvenz. Kurzhals ist heute noch froh, dass er damals in Cottbus die Chance bekam, sein Masterstudium zu beenden. "Erfolgreich", wie er betont. Was folgte, war nach der Jahrtausendwende ein Engagement bei den berühmten und später auch berüchtigten Samwer-Brüdern, die in Berlin gerade die Jamba GmbH gegründet hatten - ein Internet-Unternehmen, das rasch zum größten Anbieter von Klingeltönen und anderen Mobilfunkdienstleistungen aufstieg. "Ich habe dort Tag für Tag digital Klingeltöne und Spiele verkauft", erinnert sich Kurzhals. "Schier ohne Pause, die Arbeit hat mich beinahe plattgemacht. Da bin ich weg."
Die Inhalte sollen altersgerecht sein und werbefrei
Über berufliche Zwischenstationen bei diversen Buch- und Spieleverlagen landete er beim altehrwürdigen Hamburger Verlag Friedrich Oetinger. Dort traf er dann auch auf Till Weitendorf, der als einer der Oetinger-Chefs gerade dabei war, für den Traditionsverlag digitale Vertriebskanäle zu erschließen. "Damals eine schwierige Aufgabe für Till ", sagt Kurzhals. "Tradition und disruptive Technologien blieben bei Oetinger einfach zweierlei."
Mit dem eigenständigen Start von Tigermedia begründete das Unternehmerduo für sich eine Erfolgsgeschichte, die, wie Kurzhals glaubt, "noch lange nicht auserzählt ist". Angetreten sind sie mit dem Ziel, den Kindern eine Plattform zu schaffen, von der aus sie eigenständig in eine Geschichtenwelt digital eintauchen können. Und das in einem geschützten Raum, der altersgerechte und werbefreie Inhalte parat hält. Zunächst entwickelte Tigermedia eine App für Hörmedien. Dabei stellten sie bald fest, dass es ein kindergerechtes Endgerät braucht, damit die Kinder ihr Hörvergnügen wirklich unabhängig von ihren Eltern ausleben können.
Es gibt einen Zeitmesser, der die Box nach einer bestimmten Spieldauer stoppt
Das Smartphone oder Tablet der Eltern eignet sich nur bedingt dafür. Erwachsene geben sie nicht gern unbeaufsichtigt an ihre Kinder weiter. "Schon gar nicht für längere Zeit", sagt Kurzhals und holt dabei einen bunten Würfel mit einer Kantenlänge von zwölf Zentimetern hervor. "Das ist unsere Alternative - die Tigerbox Touch, die wir 2019 auf den Markt gebracht haben", sagt Kurzhals. "Passend zu unserem Streamingdienst Tigertones, den es schon seit Ende 2017 gibt."
Das Unternehmen bietet mehr als 10 000 Hörspiele, Hörbücher sowie Lieder und Musik aller für die Kinderwelt relevanten Autoren und Verlage, Komponisten und Sänger an. Hinzu kommen mittlerweile auch Eigenproduktionen für Kinder zwischen drei und zehn Jahren. Darunter internationale Produktionen von Konzernen wie Disney oder Sony. Ganz zu schweigen von den beliebten Klassikern aus dem Oetinger-Verlag, von das Sams bis hin zu Tintenherz.
Der Würfel gebe Kindern ab drei Jahren ohne fremde Hilfe die Chance, sich unbeschwert in ihre Hörspiel-Abenteuer zu stürzen, sagt Kurzhals. Der Bildschirm sei kinderleicht zu bedienen: "mit Tigercards, Wildcards oder Tigertickets", die jeweils in die Box gesteckt werden müssen.
Eine "Tigercard" beinhaltet ein Hörbuch, Hörspiel oder auch Songs, die nach dem Einstecken automatisch abgespielt werden. Aktuell sind rund 100 buntbemalte in den verschiedensten Formen und mit unterschiedlichen Inhalten im Angebot. "Sie eignen sich gut zum Sammeln und Tauschen", sagt Kurzhals.
Die Lektoren des Unternehmens prüfen jedes Stück
Die "Wildcard" wiederum bringt selbst aufgenommene Nachrichten oder selbst erfundene Geschichten, Erzählungen oder selbst gesungene Lieder auf das Bedienungsfeld. Und das "Tigerticket" eröffnet per Wlan den Zugang zu Hörbüchern, -spielen oder Kinderliedern - je nach Abonnement zeitlich befristet von einem Monat bis einem Jahr.
Mit der Digitalisierung der Geschichten verschafft das Unternehmen Hörerlebnisse, die im besten Fall auch die Fantasie der Kinder anregen. Das ist jedoch ein Balanceakt, weil mit dem Würfel auch die Gefahr besteht, Kinder einfach über Stunden nur ruhigzustellen. Zumal, wie Kurzhals findet, 50 Prozent aller am Markt befindlichen Geschichten "Schrott" sind. Darum gehören zum Unternehmen auch Lektoren, die vor der Aufnahme jedes Stück prüfen. Es bleibt den Eltern zudem vorbehalten, altersgerecht Inhalte freizuschalten und andere auszuklammern. Und es gibt einen Zeitmesser, der die Box nach einer bestimmten Spieldauer stoppt.
Der bunte Würfel, der knapp 100 Euro kostet, ist seit November 2019 auf dem Markt und hat sich bis heute laut Kurzhals mehr als 150 000 Mal verkauft. Die einsetzende Pandemie hat den Firmengründern geschadet und wiederum auch geholfen. Geschadet, weil man geplante Händler-Vertriebswege, wie zum Beispiel den Buchhandel, durch lange Schließzeiten nicht ausbauen konnte. Genutzt, weil der Online-Verkauf stark angewachsen ist. "Viele Eltern sind auf der Suche nach einer passenden Heim-Beschäftigung für ihre Kinder in der Quarantänezeit online auf uns gestoßen", sagt sich Kurzhals zufrieden. Seine Box kommt an. Mit der Pandemie habe sich die durchschnittliche tägliche Laufzeit in den Kinderzimmern von drei auf viereinhalb Stunden erhöht, rechnet er vor.
Mehr als 100 000 Boxen wollen die inzwischen 20 Tigermedia-Leute in diesem Jahr verkaufen und beim Umsatz "auf die zehn Millionen Euro zugehen", wie Kurzhals erklärt. Auf dem Markt für Hörspielwürfel sieht er sein Start-up jetzt auf dem zweiten Platz. Allerdings noch meilenweit von Marktführer Tonies entfernt. Das von Düsseldorf nach Luxemburg umgezogene börsennotierte Unternehmen hat im vergangenen Jahr 2,4 Millionen seiner Boxen verkauft und damit 185 Millionen Euro umgesetzt.
Der Tigermedia-Chef ist dennoch zuversichtlich. Mit dem Unterhaltungselektroniker Lenco hat man bereits einen versierten Kooperanten in Sachen Boxenfertigung bei sich. Und mit der Pro-Sieben-Sat-1-Tochter Seven Accelerator sowie mit Sony Music Entertainment Germany hat Tigermedia gerade zwei neue finanzstarke Partner ins Boot geholt. "Wir holen auf ", sagt Kurzhals. "Schneller als gedacht."