Süddeutsche Zeitung

Katholische Kirche:Was sagt eigentlich Gott dazu?

Erst der weltweite und von den Kirchenoberen massiv vertuschte Missbrauchsskandal, und nun das: Der Papst sagt, Abtreibung sei wie Auftragsmord. Viele Leser sehen das als Angriff auf die Frauen und Ablenkungsmanöver. Andere verteidigen Franziskus.

"Papst: Abtreibung ist wie Auftragsmord" vom 11. Oktober und "Sich selbst zum Hohn" vom 12. Oktober:

Angriff auf Frauen

Gehen wir unserem Papst Franziskus doch nicht auf den Leim. Mit seinem Auftragsmordvergleich bezüglich Abtreibung will er doch nur von der Missbrauchsdebatte in der katholischen Kirche ablenken. Kleriker, die Kinder und Jugendliche menschenverachtend sexuell und sonstwie körperlich missbraucht haben, aus der Schusslinie nehmen, durch einen machohaften, unentschuldbaren Angriff auf Frauen, der ihn als moralische Leitfigur unmöglich macht und zeigt, dass der katholischen Amtskirche der Schutz ungeborenen Lebens wichtiger ist als der des geborenen. Dieses darf zur Befriedigung des durch den Zölibat fehlgeleiteten Sexualtriebs des geweihten Kirchenpersonals missbraucht werden. Straftätern wird durch Vertuschung ihrer Taten geholfen. Abtreibenden Frauen, die sich mehr Gedanken und Gewissensbisse darüber machen, wie sie mit ungeborenem Leben umgehen sollen, als Priester und Bischöfe, die ihre sexuellen Übergriffe am geborenen Leben sogar noch theologisch legitimieren, wird nicht geholfen. Sie werden moralisch niedergemacht. Vom Stellvertreter Gottes. Was sagt der eigentlich dazu?

Josef Gegenfurtner, Schwabmünchen

Mutiger Mann

Es ist sehr begrüßenswert, dass sich der Papst nicht dem Zeitgeist beugt. Auch wenn es nicht der aktuell herrschenden politischen Korrektheit entspricht, bleiben die Worte des Pontifex wahr. Er ist ein mutiger Mann, der sich dem Shitstorm bewusst aussetzt, um seines Auftrages willen. Natürlich wird kaum eine Frau eine Abtreibung unüberlegt vornehmen lassen. Und es gibt die Fälle, in denen das Leben der Mutter bedroht ist oder eine Vergewaltigung vorliegt, auch wenn diese Fälle laut offiziellen Statistiken im Promillebereich liegen. Niemand sollte auch leichtfertig über die soziale, finanzielle Not oder kaputte Beziehungen urteilen.

Im Kern bleibt es in der Abwägung aber bei der Frage von Papst Franziskus: Ist es gerecht, ein menschliches Leben zu beenden, um ein Problem zu lösen? Und aus christlicher Überzeugung, die sich im Übrigen mit der des Grundgesetzes deckt (Die Würde - eines jeden! - Menschen ist unantastbar), ist eine Abtreibung falsch. Die Tat ist also zu verurteilen.

Die Aufgabe der Kirche sehe ich in der tatkräftigen Hilfe für verzweifelte Frauen, damit diese Ja zum Kind sagen können, und in der liebevollen Seelsorge für diejenigen, die abgetrieben haben und darunter leiden.

Ralf Tange, Hamburg

Ein glücklicher Zufall

Bei einer Frau, die schwanger werden möchte, dauert es im Durchschnitt sechs Monate, bis eine Schwangerschaft eintritt. Das bedeutet, dass fünf befruchtete Eizellen nicht zu einer Schwangerschaft reifen. Das kann an Fehlern der Eizellen, Fehlern der Samenzellen oder an einer mangelhaft vorbereiteten Gebärmutterschleimhaut als Folge einer hormonellen Störung liegen. Auch perfekt eingenistete, befruchtete Eizellen enden gar nicht selten mit einem Abort. Eine Schwangerschaft, die mit der Geburt eines gesunden Kindes endet, ist also ein glücklicher Zufall, ein Zufall der, bezogen auf die befruchteten Eizellen, etwa in einer Wahrscheinlichkeit von 1:10 eintritt. Oder sollen wir glauben, dass Gott entschieden hat, neun von zehn zu töten?

Die Natur geht also sehr unbefangen mit dem "kostbaren" Leben um. In einer überbevölkerten Welt frage ich mich, warum Frauen und Ärzte das anders sehen sollten als die Natur. Zumal dann, wenn Frauen durch eine unerwünschte Schwangerschaft unglücklich werden und ihr Leben nicht mehr so weiterführen können, wie sie das wünschen und planen.

Wer die seelischen Nöte und Gewissensbisse, und die manchmal schreckliche soziale Situation kennt, in denen sich Frauen in diesem Zustand befinden, weiß um ihren Zwiespalt und ihre Not. Alle, die solche Situationen kennen, kämen nie auf die Idee, dass diese Frauen den Auftrag zum Mord geben. Und jene, die diesen Frauen helfen, tun es mit zwiespältigen Gefühlen und den gleichen Zweifeln wie die Mütter. Aber sie sind keine Auftragsmörder! Denn juristisch handelt es sich keinesfalls um Mord. Die schwangere Frau ist ebenso wenig Auftraggeberin, wie der behandelnde Arzt Empfänger eines Auftrages ist. Beide handeln in eigener Verantwortung.

Dr. Wolf-Achim Sintenis, München Frauenarzt und Psychotherapeut

Kreuze abhängen

Ein alter weißer Mann, der als oberster Hierarch einer weltweit agierenden Organisation die Verantwortung für jahrzehntelangen schwersten Kindesmissbrauch und dessen systematische Vertuschung trägt, will jungen Frauen vorschreiben, wie sie mit ihren ungeborenen Babys umgehen sollen. Man stelle sich vor, was passieren würde, wenn ein großer Dax-Konzern ähnlich agieren würde. Wenn er fortwährend zulassen würde, dass seine Mitarbeiter Tausende Kinder missbrauchen. Wenn er die Verbrecher in den eigenen Reihen, anstatt sie der Staatsanwaltschaft zu übergehen, auf neue Posten versetzen und systematisch ihre abscheulichen Untaten decken würde. Was würde wohl passieren? Wie schnell wären die Manager des Unternehmens in Untersuchungshaft? Wie viele Jahre würden sie in Haftanstalten verbringen müssen? Und welche moralische Autorität hätten diese Menschen noch, um jungen Frauen Vorschriften machen zu können?

Wann endlich wacht unsere Gesellschaft auf und beendet die unseligen juristischen und steuerlichen Privilegien dieser Parallelgesellschaft, welche sich eigene Gesetze gibt, die dazu führen, dass Kinder Missbrauch ausgesetzt sind? Welcher Politiker wagt es, dagegen vorzugehen? Wann lässt Markus Söder die Kreuze abhängen?

Thomas Apfel, Petersaurach

Psychische Zerstörung

Die gleiche gnadenlose Vehemenz in der Verurteilung der Betroffenen hat der Papst angesichts der jahrzehntelangen, klerikalen Sexualverbrechen nicht aufgebracht. Die lebenslange psychische Zerstörung der Opfer nimmt einen untergeordneten Stellenwert ein. So wie eine lässliche Sünde mit einem "ego te absolvo" gelöscht wird.

Angelika Oden, Berlin

Im Zusammenhang sehen

Man muss den Kontext betrachten, in dem das Zitat vom "Auftragsmord" gefallen ist. Im Rahmen einer Katechesenreihe ging es in der Predigt bei der Generalaudienz des Papstes um das fünfte Gebot, "Du sollst nicht töten". Wie es genau richtig ist, thematisierte der Papst in diesem Zusammenhang die Themen Krieg, ökonomische Ausbeutung und "Systeme, die alles dem Profit unterordnen und auch vor der Würde des menschlichen Lebens nicht haltmachen". Ganz im Sinne von "Diese Wirtschaft tötet". Auftragsmörder in diesem Sinne sind vor allem die kapitalistischen Ausbeuter und Kriegsherren.

Im weiteren Verlauf thematisierte der Papst dann den Umgang mit älteren, schwächeren und kranken Menschen, deren Leben im Kapitalismus mit Füßen getreten wird, und in dem Zusammenhang - ein Papst kann gar nicht anders, als das zu tun - auch das Thema Tötung des ungeborenen Lebens, also Abtreibung. Rechte und konservative Politiker gerieren sich beim Thema Abtreibung oft als Lebensschützer, haben aber kein Problem mit dem Töten von geborenen Menschen durch Krieg, Ausbeutung und Umweltzerstörung. Wenn man dagegen das Thema "Schutz des ungeborenen Lebens" in die Gesamtthematik der Vernichtung von menschlichem Leben durch Kapitalismus und Krieg einbettet, wie es der Papst beabsichtigte, ist das meines Erachtens vom Grundsatz her durchaus in Ordnung.

Die Frage ist dann das "Wie" des Schutzes von ungeborenem Leben. Hier bin ich der Meinung, dass das Strafrecht dazu nicht geeignet ist; das Leben des ungeborenen Kindes lässt sich nicht gegen den Willen der Mutter schützen. Es bedarf vor allem kinder- und mütterfreundlicher gesellschaftlicher Verhältnisse. Der Begriff "Auftragsmord", das muss man klar kritisieren, passt in diesem Zusammenhang gar nicht, weil er fälschlicherweise suggeriert, Mütter würden ihre ungeborenen Kindern aus niederen Motiven heimtückisch töten lassen. Dieser verbale Fehlgriff unterlief dem Papst, als er in freier Rede von seinem Manuskript abwich. Die SZ machte dies wie viele andere Zeitungen zum Aufmacher. Die viel weiter gehende Aussage "Diese Wirtschaft tötet" und die vielen Antikriegsreden des Papstes haben es nach meiner Erinnerung auf weniger Aufmacher gebracht.

Jonas Christopher Höpken, Oldenburg

Böser Onkel

In einem Kommentar zur bayerischen Staatspartei schreibt die SZ: "Die Gesellschaft hat sich verändert. Und die CSU hat es nicht gemerkt." Ersetzt man CSU durch SZ, wird ein Schuh daraus. Wie oft wollen Sie uns denn noch malträtieren mit den jenseitigen Aussagen von Kirchenvertretern, in diesem Falle des obersten katholischen? Es reicht! Pädophiles Personal, eine bluttriefende Historie und ideologischer Irrsinn - Gott, was für eine Institution! Freiheit der Religion? Nein, Freiheit von der Religion ist das Gebot der Stunde. Es herrschte Frieden auf der Welt. Ihr päpstliches Aufmacherbild allerdings haben Sie gut gewählt: Der weinende Bub weiß, dass der gute Papa am Ende des Tages auch nur ein böser Onkel ist.

Michael Luck, Rosenheim

Oh Wunder!

"Unglückselige Päpste" vom 11. Oktober: Die Katholische Kirche, die sich in diesen Tagen in einem verzweifelten Kampf um Vertrauen und Glaubwürdigkeit befindet, hat am 14. Oktober Papst Paul VI. heiliggesprochen. Die kirchenrechtliche Voraussetzung für diese Entscheidung war ein von der zuständigen Vatikanischen Prüfungsbehörde vor Kurzem einstimmig anerkanntes Wunder, welches im vorliegenden Fall darin bestand, dass eine italienische Frau, deren Fötus von den Ärzten als unheilbar krank diagnostiziert war, nach Anrufung dieses Papstes im Gebet ein gesundes Kind zur Welt gebracht hat.

Derart fundierte "Wunder"-Beweise bringen selbst die Gutgläubigsten in Verlegenheit und liefern allen übrigen heutzutage nur noch willkommenen Spott. Die Kirche macht sich lächerlich. Wäre es nicht im Sinne praktischer Vernunft an der Zeit und einem seriöseren Anspruch förderlich, wenn sie künftig darauf verzichtete, zur Auszeichnung eines möglicherweise verdienstvollen Menschenlebens ausdrücklich auf "Wundern" zu bestehen, wie billig diese auch zu haben sein mögen?

Prof. Fidel Rädle, Göttingen

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Quelle:
SZ vom 22.10.2018
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