Katalonien:Machtdemonstration ist falsch

Spaniens Premier Mariano Rajoy hat in Barcelona für die Einheit des Landes geworben, aber gleichzeitig sein hartes Vorgehen verteidigt. Viele Leserinnen und Leser stehen allerdings eher auf der Seite der Katalanen.

Katalonien: Wirbt zwar für eine gemeinsame Zukunft, verteidigt aber sein hartes Vorgehen: Spaniens Premier Mariano Rajoy in Barcelona.

Wirbt zwar für eine gemeinsame Zukunft, verteidigt aber sein hartes Vorgehen: Spaniens Premier Mariano Rajoy in Barcelona.

(Foto: afp)

"Geiz oder Gier" vom 30./31. Oktober/1. November und "Autonomie" vom 28./29. Oktober:

Zur Aufarbeitung gehört Demut

Der Katalonienkonflikt ist ein Fallbeispiel für die Folgen nicht hinreichend aufgearbeiteter Vergangenheit. In seiner Genese ist dieser Konflikt durchaus vergleichbar mit anderen Krisenherden der Gegenwart und der Vergangenheit, die zum Teil sehr lange vor sich hin schwelen können, um sich immer wieder neu zu entladen.

Seit Jahren versuche ich, die Friedensinitiativen zu erforschen, die mit Trauma unterlegte, bedrohliche Konflikte erfolgreich zu einer Lösung geführt haben. Die Charaktereigenschaften der handelnden Akteure spielten dabei eine besondere Rolle. So habe ich erst vor Kurzem den ehemaligen südafrikanischen Präsidenten de Klerk aufgesucht, um ihn darüber auszufragen, welche Charaktereigenschaften und Maßnahmen er im Nachhinein als entscheidend für seine Mission zur Überwindung der Apartheid betrachtet. Aus diesen und anderen Begegnungen möchte ich nur diese Einsicht weitergeben: Der Schlüssel zu einer nachhaltigen Lösung liegt immer in der Hand des Stärkeren, in diesem Fall bei der Zentralregierung in Madrid. Das Aufschließen des Schlosses geschieht durch Menschen (Mariano Rajoy?), die auf Demonstration ihrer Macht verzichten, proaktiv und mit dem Mut zur Demut die Gegenseite suchen und die Offenheit zum Zuhören signalisieren. Es gibt durchaus anwendbare bewährte Versöhnungsstrategien, die ähnlich wie in Südafrika zum Einsatz gebracht werden können. Für den Augenblick ist bei den Handelnden der nüchterne Mut zur Demut gefragt, bevor die Zeit eines Handlungsfreiraums abgelaufen ist. Johannes Czwalina, Riehen/Schweiz

Hochmütige Belehrungen

Kaum ein Artikel zum Katalonienkonflikt, in dem nicht darauf hingewiesen würde, dass die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien gegen die spanische Verfassung verstoßen und das Referendum illegal war. Nur: Nach dieser Logik müssten wohl auch die USA ins britische Kolonialreich zurückkehren. Zweifellos kennt die spanische Verfassung kein Recht auf Sezession, das Völkerrecht kennt es nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten dürften die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen daher nicht aktiv unterstützen, selbst wenn sie es wollten.

Gleichwohl frage ich mich, warum Brüssel und Berlin die Katalanen so bedingungslos und einseitig abweisen. Es wirkt geradezu skurril, wenn der Präsident der EU-Kommission aus Luxemburg (600 000 Einwohner) die siebeneinhalb Millionen Katalanen belehrt, ihr Staat sei zu klein für eine Mitgliedschaft in der EU. Hätte er doch geschwiegen, damit die EU eine Rolle als Vermittlerin spielen kann. Die geschäftsführende Bundesregierung ist auch nicht diplomatischer. Die Nichtbeachtung kleinerer Staaten und nun auch kleiner Völker steht spätestens seit der Entscheidung für die Ostsee-Pipeline, also seit dem Jahr 2000 in der neuen deutschen Tradition.

Ich kenne die Verhältnisse auf der Iberischen Halbinsel nicht genug, um zu beurteilen, ob die Ereignisse der letzten Wochen noch ein gedeihliches Zusammenleben im zentralistischen oder in einem reformierten spanischen Staat erwarten lassen. Den Katalanen ist zu wünschen, dass sie endlich ohne hochmütige Belehrungen aus Brüssel und Berlin und ohne Bedrohung durch die Guardia Civil selbst darüber abstimmen dürfen. Eine derartige freie Entscheidung sollten Madrid, Brüssel und Berlin akzeptieren, gleich wie sie ausfällt. Karl-Heinz Oehler, Berlin

EU toleriert Undemokratisches

Gesetze werden von Menschen gemacht, die können das Miteinander eines Volkes regeln oder dem Volk die Freiheit zur Selbstbestimmung nehmen. Wir gedenken in diesen Tagen der Reformation vor 500 Jahren. Wer den Gesetzen widersprochen hat, musste mit seinem Leben bezahlen. Wer dem Gesetz in Madrid widerspricht, muss 30 Jahre ins Gefängnis. Ganz Europa, auch Deutschland toleriert dieses freiheitsraubende, undemokratische Gesetz. Warum hat man mit Gewalt die Wahlen zu einem Desaster gemacht und nicht einfach demokratisch zugelassen, um zu sehen, wo wirklich die Mehrheit der Katalanen zur Eigenständigkeit liegt? Darf ich die in Europa so hochgepriesene Demokratie hinterfragen? Steckt hinter solchen Gesetzen Machtgehabe? Ingrid Baun, Wangen

Es fehlte eine Verfassung

Carolin Emcke hat in ihrem Essay "Autonomie" Recht mit dem Hinweis "autonom ist man nie allein". Selbst Robinson Crusoe, allein auf seiner Insel und daher nolens volens autonom, sehnte sich nach England zurück! Aber, totale, machtvolle, dauernde Fremdbestimmung ist auch nicht erstrebens- und (er-)duldenswert. Was Katalonien betrifft, so liegt ein Kardinalfehler darin, dass mit dem Referendum keine "katalanische Verfassung", welche den (fundamentalen) Unterschied zu Spanien aufzeigen sollte, mit zur Abstimmung kam. Ludwig Stemmer, München

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