Kardinal Woelki:Schuld und Sühne

Kritik und Vorwürfe gegen den Erzbischof von Köln reißen nach seiner Rückkehr von seiner Auszeit nicht ab. Manch einer fordert von ihm, Buße zu tun.

Kardinal Woelki

Der Erzbischof von Köln, Kardinal Rainer Maria Woelki, leitet eine Messe.

(Foto: dpa)

Zu "Woelki hält sich zurück" vom 4. März, zu "In aller Schwachheit" und "Kardinal Woelki bietet Papst Rücktritt an" vom 3. März und "Sack und Asche" vom 26./27. Februar:

Druck statt Diskussion

Herr Prantl, danke für Ihre scharfsinnige Kolumne. Der beste Satz: "Sexualisierte Gewalt lässt sich nicht wegostern." Wunderbar, wird in mein Repertoire aufgenommen ... Es fehlt aber ein wichtiger Aspekt zur Causa Woelki. Das ist uns in Köln wohl noch deutlicher als anderswo: Woelkis Weigerung mit allen Mitteln, einen echten Diskurs zuzulassen in "seinem" Erzbistum.

Auf öffentliche Äußerungen von Mitgliedern der Stadtgesellschaft hat er, Gott sei dank, keinen Einfluss. Aber eine explizite Auseinandersetzung durch die angestellten Mitglieder des Erzbistums versucht er immer wieder harsch zu unterbinden. Wer eine offene Diskussion sucht, wird bedroht, versetzt, mit Maulkorb versehen. Hier werden Menschenrechte, hier wird das Grundgesetz verletzt. Vielfach, seit Jahren. Eklatantestes Beispiel war der Umgang mit der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG).

Angestellte und Studierende hatten 2019 ein Positionspapier verfasst, in dem sie sich gegen die Nichtaufarbeitung der vielen Fälle sexualisierter Gewalt aussprachen. 2020 setzten sie dies auf ihre Website. Diese wurde umgehend vom Erzbistum gesperrt, die Leitung und Angestellte der KHG massiv unter Druck gesetzt, der leitende Priester knickte ein (wahrscheinlich aufgrund massiver Drohung seines Arbeitgebers), viele kündigten. Das herausragende seelsorgerische und soziale Engagement dieser Hochschulgemeinde ist nun zerstört und tot. Im wahrsten Sinne: Ein Obdachloser war mehrere Jahre Teil dieser Gemeinde, alle Beteiligten hatten ihm Obdach im Haus gewährt. Er gehörte dazu. Im Dezember 2021 sollte er auf Anordnung der Erzdiözese kurzfristig sein christliches Zuhause verlassen und brachte sich im Keller der KHG um. Verantwortung wurde auch in diesem Fall strikt geleugnet. Es ist kaum zu ertragen.

Das Verhalten Woelkis, der echte Auseinandersetzung zu unterbinden versucht, entspricht dem Grundproblem der katholischen Kirche: Die Macht und der Machterhalt der Priester scheint über allem zu stehen. In vielen Fällen ist sexualisierte Gewalt gegen Kinder, Jugendliche, Frauen (auch Nonnen) vor allem eine Form der Erniedrigung. Kardinal Woelki muss zurücktreten. Wenn er es nicht tut, wird es in Köln einen Aufstand der Verzweifelten und Wütenden geben.

Mechthild Böll, Köln

Journalistische Sorgfalt fehlt

Kardinal Rainer Maria Woelki ist kein Sympathieträger, und der sexuelle Missbrauch durch kirchliche Personen ist uneingeschränkt zu verurteilen. Wie und in welcher Form sich die Medien in ihrer Berichterstattung und Kommentierung dieser Vorgänge und der darin verstrickten Personen einseitig eingeschossen haben, ist unfassbar, wenn man hier journalistische Sorgfalt und Neutralität im Urteil verlangt.

Natürlich macht sexueller Missbrauch in diesem Bereich besonders fassungslos, aber bei sachlicher Recherche und Beurteilung, wie sie in unserem Rechtsstaat wohl für alles gelten sollten, darf man feststellen, dass gegen Tote nicht ermittelt wird. Zieht man also die Verstorbenen ab, bleibt im Vergleich mit Missbrauch in der Gesamtbevölkerung nur ein kleinerer Teil.

Dabei interessiert sich in dieser Diskussion kein Journalist für die Ausübung kirchlichen Einflusses und geistlicher Gewalt, die ungleich größer ist? Warum suchte der Deutsche Caritasverband zum Beispiel vor Jahren mit Stellenanzeigen in den großen Tageszeitungen einen "mit Immobilien erfahrenen Juristen, der die Vermächtnisse in Altenheimen regeln kann?"

In Sachen Woelki-Beurteilung startete eine große Tageszeitung in Köln mit dem Urteil des Münsteraner Kirchenrechtlers Professor Thomas Schüller, der danach von allen Medien inklusive TV stets als Kronzeuge gefragt ist. Offenbar hat sich bisher niemand dessen Vita bei Wikipedia angesehen, sonst hätte ihn mal einer gefragt, ob es während seiner Zeit im Bistum Limburg nie solchen Missbrauch gegeben hat. Er war jahrelang persönlicher Referent von Bischof Franz Kamphaus.

Und wenn man feststellt, dass nur ein Bischof die Entschuldigung des inzwischen 95-jährigen emeritierten Papstes Benedikt in Frage stellt (obwohl der ihn seinerzeit zum Priester geweiht hatte), seine Sympathie für Maria 2.0 jedoch deutlich macht und gleichzeitig seit Amtsantritt vor mehr als zehn Jahren jedes Gespräch zu nachgewiesener Gewalt in seinem Sprengel verweigert, während sein Generalvikar gendernd Beiträge für die "Regenbogen-Publikationen" schreibt, muss man sich fragen, ob er sich damit für die Woelki-Nachfolge empfehlen will - auch wenn man ihn sonst in seiner Arbeit schätzt.

Als Journalist beschäftige ich mich seit 1955 mit Vatikan und Kirche, habe die positiven und negativen Seiten von Kirche, Vatikan und Kurie kennengelernt, denn ich war unter anderem zu allen Sitzungsperioden des Zweiten Vatikanischen Konzils in Rom und habe sieben Päpste zum Teil in engem Kontakt begleitet. Deshalb darf ich auf Johannes 8,7 verweisen: "Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie!"

Josef Albert Slominski, Tecklenburg

Große Belastung für Reformen

Kardinal Woelki, der seit dem 2. März wieder formal als Kölner Erzbischof im Amt ist, ist eine große Belastung für die katholische Kirche in ganz Deutschland, für die Bischofskonferenz und besonders auch für das Reformprojekt des Synodalen Weges. Ist er nach seiner "geistlichen Auszeit" bereit, die zwischenzeitlich gefassten Beschlüsse des Synodalen Wegs zur Kenntnis zu nehmen und seine Totalverweigerung gegenüber diesem Reformprozess aufzugeben? In seinem Hirtenwort vom 4. März, das nur um seine Person kreist, erwähnt er den Synodalen Weg mit keiner Silbe. Seit Beginn des Synodalen Wegs hat Woelki an keiner der zahlreichen Sitzungen des Synodalforums 4 "Priesterliche Existenz heute", dem er angehört, teilgenommen.

Die Tatsache, dass Kardinal Woelki sein Rücktrittsangebot an den Papst erst am Aschermittwoch (2. März), dem Tag des Endes seiner "geistlichen Auszeit", bekannt gegeben hat, ist eine gefährliche Taktik, die alle Verantwortung auf den Papst schiebt. Wesentliche Verantwortung tragen Kardinal Marc Ouellet, den noch Papst Benedikt 2010 zum Präfekten der Bischofskongregation berufen hat, und der Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Nikola Eterović, die beide ihren Aufgaben im Kölner Kirchenkonflikt nicht gewachsen zu sein scheinen. Aber es gibt auch konservative Kreise wie zum Beispiel das Opus Dei in Rom und in Deutschland, die Kardinal Woelki als Leiter eines der finanzstärksten Bistümer und als Bremser des Synodalen Wegs auf Biegen und Brechen im Amt halten wollen.

Christian Weisner, Dachau Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche"

Buße tun

Als Kinder wurden wir von den "Hirten" im Religionsunterricht zur Fastenzeit aufgefordert, auf Süßes zu verzichten, weniger Fleisch zu essen, auf lieb Gewonnenes zu verzichten. Von Amtsverzicht war keine Rede. So schlage ich Kardinal Woelki vor, als gutes Beispiel uns "Lämmern" vorzuleben, dass auch er Buße tun und verzichten kann. Nicht nur aufs Amt verzichten.

Etwa sein üppiges Kardinalsgehalt spenden, sein Domizil Ukraine-Flüchtlingen zur Verfügung stellen, im in der Bibel viel zitierten Weinberg helfen, Reben schneiden, zum Beispiel im flutgeschädigten Ahrtal. Ora et labora, wenigstens in der 40-tägigen Fastenzeit. Der Papst hätte sicher nichts dagegen. Die Fastenzeit wieder einen Sinn.

Harald Dupont, Ettringen

"Am toten Punkt"

Als mir durch äußerst glaubwürdige Aussagen von Betroffenen immer klarer wurde, dass der heutige Münchner Kardinal Reinhard Marx zurückliegend als Bischof von Trier meiner Meinung nach in Fällen sexuellen Missbrauchs zumindest fahrlässig, wenn nicht gar bewusst vertuschend gehandelt hatte, griff er in die moralisch-heuchlerische Trickkiste: Er bot in einem Akt öffentlicher Beichte Papst Franziskus seinen Amtsverzicht an. Darauf hoffend, vielleicht sogar vorher abgesprochen, päpstlicherseits von seiner Schuld öffentlichkeitswirksam absolutiert zu werden. Was dann auch geschah.

Zur Buße überführte er einen beträchtlichen Teil seines "Privatvermögens" in eine Stiftung. Einem Ablasshandel gleich. Wenn sich Kardinal Woelki dieses Marx'sche Vorgehen zum Vorbild nimmt, und Papst Franziskus ihm ebenfalls die Absolution erteilt, ist die Kirche wirklich "am toten Punkt" (Zitat Reinhard Marx). Verbunden mit der Frage, ob sich jesusgleich eine Wiederauferstehung dieser toten Kirche lohnt. Oder eine neue entstehen muss. Wie vor einem halben Jahrtausend, als Martin Luther am damaligen Totpunkt aus der katholischen Kirche austrat und den Zölibat negierend als ehemaliger Mönch die ehemalige Zisterziensernonne Katharina von Bora heiratete. Einen ganz neuen - und nicht nur einen Synodalen Weg beschreitend. Mit dem sich die Verfechterinnen von Maria 2.0 zufriedengeben? Anstatt in einer neuen Kirche die frühchristliche Rolle von Frauen wiederauferstehen zu lassen?

Josef Gegenfurtner, Schwabmünchen

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion, sie dürfen gekürzt und in allen Ausgaben und Kanälen der Süddeutschen Zeitung, gedruckt wie digital, veröffentlicht werden, stets unter Angabe von Vor- und Nachname und dem Wohnort.

Schreiben Sie Ihre Beiträge unter Bezugnahme auf die jeweiligen SZ-Artikel an forum@sz.de. Zu Artikeln, die im Lokal- und Bayernteil der SZ erschienen sind, senden Sie Ihre Meinung gerne direkt an forum-region@sz.de.

Bitte geben Sie für Rückfragen Ihre Adresse und Telefonnummer an. Postalisch erreichen Sie uns unter Süddeutsche Zeitung, Forum & Leserdialog, Hultschiner Str. 8, 81677 München, per Fax unter 089/2183-8530.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: