Kambodscha:Land im Trauma

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Wie die Schreckensherrschaft der Roten Khmer in Kambodscha noch heute die Bevölkerung im Griff hat, wurde jüngst in einem Artikel beschrieben. Ein Leser, selbst Fachmann auf diesem Gebiet, ordnet das Trauma politisch ein.

"Narben in den Genen" vom 1./2. Juli:

Die Schreckensherrschaft der Roten Khmer hat ein tiefes Trauma in der kambodschanischen Bevölkerung hinterlassen. Die amerikanischen Flächenbombardements im Indochinakrieg, die Foltergefängnisse und Massenhinrichtungsstätten der Roten Khmer und der allgegenwärtige Hunger haben sich bis heute ins kollektive Gedächtnis Kambodschas eingeprägt.

Noch viele Jahre nach dem Ende der Roten Khmer, die alle halbwegs Gebildeten wie Lehrer, Ärzte, Ingenieure, Juristen umgebracht hatten, scheuten sich Eltern, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Die Angst vor einer Rückkehr der Roten Khmer war groß. Bildung galt als gefährlich. Bis heute wird in den Familien sehr wenig über die Kriegszeit gesprochen. Jahrelang war es auch kein Thema in den Schulen. Und das Misstrauen der Kambodschaner untereinander und das extreme Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung sind bis heute spürbare Zeichen eines Traumas, das nur unzureichend bearbeitet wurde.

Immer wieder wird die Diktatur der Roten Khmer auf die Zeit von 1975 bis 1979 reduziert. In dieser Zeit hatten sie die Kontrolle über die Hauptstadt Phnom Penh. Doch ihr Kampf für einen reinen Bauernstaat begann schon Ende der 60er-Jahre und dauerte in einigen Landesteilen bis zum Pariser Friedensabkommen von 1991. Die Reduzierung der Diktatur auf drei Jahre und acht Monate wird von der kambodschanischen Regierung betrieben, die sich nicht gerne daran erinnern lässt, dass bis heute ehemalige Rote Khmer in Parlament und Regierung vertreten sind. Auch der Staatengemeinschaft ist diese Vereinfachung ganz recht, denn sie hat noch viele Jahre nach der Vertreibung der Roten Khmer deren Schergen bei den UN als rechtmäßige Vertreter Kambodschas anerkannt. Schließlich galt die Regierung von Premierminister Hun Sen, der von den Roten Khmer zu den vietnamesischen Befreiern übergelaufen war, als antiwestlich.

Hun Sen spielt immer wieder mit der Angst der Bevölkerung vor einem erneuten Kriegsausbruch. Obwohl die Roten Khmer heute keine Gefahr mehr darstellen, malt er immer wieder deren Rückkehr an die Wand, sollte die Opposition die Wahl gewinnen. Somit rührt er immer wieder an das Trauma und verhindert eine Heilung der Wunden der Vergangenheit.

Ali Al-Nasani, Phnom Penh, Heinrich-Böll -Stiftung Kambodscha

© SZ vom 13.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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