Gastbeitrag „‚Fuck off‘ für Fortgeschrittene“ vom 21. September:
Die Welt spaltet sich
Je länger ich über den Artikel von John Niven, der zu meinen Lieblingsautoren gehört, nachdenke, desto mehr komme ich zu der Vermutung, dass Henne und Ei nicht schrecklich und rechts ist, sondern die Gleichung einfacher ist, nämlich dumm und dumm. Ich komme aus einem schönen Landkreis in Oberbayern mit einem autonomen Jugendzentrum, das sich seit Anbeginn der Zeit auch gegen die Faschos und Nazis wehrt. Falls sich noch jemand an die „Republikaner“ erinnert, die hatten damals im Nachbarort über 14 Prozent. Auf einem Mutter-Kind-Parkplatz (den gab es damals nicht) hätte sich aber keiner ohne Kind stellen können. Das hätte die Dorfgemeinschaft nicht toleriert.
Letztlich stand ich heute selbst an einem Supermarktparkplatz ohne Not auf einem normalen Parkplatz, obwohl mir ohne Probleme aufgrund der Kindersitze und der Verwahrlosung unseres Autos ein Mutter-Kind-Parkplatz zugestanden hätte, und hab die beiden gegenüberliegenden Mutter-Kind-Parkplätze gesehen. Stand halt niemand mit Kind. Und jetzt? Es gibt Leute, die meinen, sie müssten sich nicht an irgendwelche gesellschaftlichen Normen halten, warum und wieso, sei dahingestellt. Aber es gibt halt auch andere, die Mitgefühl und Rücksichtnahme kennen. Oder die sich einfach an einfache Regeln halten, die auf Schildern stehen. Die Welt spaltet sich zunehmend in zwei Lager. Wer soll das aushalten? Das zeigt sich bei der Parkplatzsuche am örtlichen Supermarktparkplatz. Ich bin nicht bei X, sonst hätte ich das Herrn Niven auch persönlich geantwortet.
Lisa Lorenz, München
Verordnete Rücksicht
Die „kleine böse Alltagsbeobachtung“, die die SZ ihren Lesern auftischt mit dem leicht erhobenen Zeigefinger derer, die auf der richtigen Seite stehen, stellt die Frage: „Wird man rechts, weil man schrecklich ist? Oder schrecklich, weil man rechts ist?“ Wie immer erhebt sich nicht die Frage, was am Nicht-rechts-Sein schrecklich sein könnte. Als bald 80-jährige Oma, die von der Gesellschaft überhaupt noch nie mit Eltern-Kind-Parkplätzen bedacht wurde, stehe ich der Henne-Ei-Frage genauso hilflos gegenüber wie der Autor. Nur frage ich mich vorsichtig, ob nicht am Ende die Einteilung der Parkplätze selbst nach immer mehr staatlich regulierten Hilfsbedürftigkeitskriterien ein Grund für die ungute Entwicklung sein könnte.
Die „Alltagsbeobachtung“ hat einen winzigen Haken: Der Autor pafft genüsslich seine Zigarette, während die „schreckliche Frau“ den Parkplatz belegt, der nicht der ihre ist und den sie hilfsbedürftigen Menschen wegnimmt – was „schrecklich“ ist und sich obendrein als Merkmal für politisch „rechts“ entpuppt - es lebe die Internet-Recherche auf X. Könnte das „rechte“ Aufbäumen nicht vielleicht eine Reaktion auf zu viel wohlmeinende Vorschriften zum Gemeinwohl sein, das zumindest der Autor, und mit ihm die SZ, politisch „links“ verortet? Zu meiner Zeit war der dem Gemeinwohl zur Verfügung gestellte Parkplatz für alle da. Rücksicht wurde nicht verordnet, sondern gepflegt. Nicht immer und überall, aber ganz sicher nicht ins „rechte“ oder „linke“ politische Lager geschoben. Charles Dickens zu lesen, könnte auch helfen, die „verdrehten, bösen, elenden, egoistischen Menschen“ als seinesgleichen zu erkennen.
Gabi Baderschneider, Sinzing
Zu kurz gekommen
Die beschriebenen Zusammenhänge sind leider wahr – und nicht neu. Sie sind weltweit zu finden. Dies ist der Mechanismus: Man hat das Gefühl, zu kurz zu kommen. Bei vielen Dingen muss man verzichten – andere nicht. Dann kommt jemand und redet dir ein: Das musst du gar nicht! Du hast Besseres verdient – und du hast einen Anspruch darauf! Das tut gut. Es hat schon im Nationalsozialismus funktioniert, den Deutschen einzureden, sie wären etwas Besseres. Die fehlende Bereitschaft, Rücksicht zu nehmen, gibt es überall in unserer Gesellschaft. Es ist eine undankbare Aufgabe, Leuten zu erklären, dass das kein gutes Ende nehmen kann. Familien, Bildungswesen, Kirchen und Politik sind hier in der Verantwortung, es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Notwendigkeit von Rücksichtnahme zu vermitteln und diese einzuüben. Der Leidensdruck ist offenbar noch nicht groß genug.
Anja Kempken, Roßdorf
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