Süddeutsche Zeitung

Joe Kaeser:Und Papa wird nachdenklich

Im Interview mit dem Titel "Ich hatte den ganzen Abend das Heft in der Hand" hat Joe Kaeser das Diner mit Donald Trump Revue passieren lassen. Komisch fanden Leser vor allem eine Äußerung des Siemens-Chefs über seine Tochter.

Tochter mit Vorbildcharakter

"Ich hatte den ganzen Abend das Heft in der Hand" vom 3./4. Februar und "Prinzip Verantwortung", vom 5. Februar:

Im Kommentar "Prinzip Verantwortung" stellt die SZ fest, Siemenschef Joe Kaeser habe "offensichtlich einen Lernprozess an Sachen gesellschaftlicher Verantwortung durchlaufen". Kurz vorher zitiert Kaeser in einem SZ-Interview seine älteste Tochter: "Papa, Jobs sind nun mal ein wichtiger Bestandteil im Leben." Das habe ihn "echt nachdenklich gemacht". Donnerwetter: Die Tochter eines Chefs von 372 000 Beschäftigten hat ihren Papa darauf gebracht, mal drüber nachzudenken, ob es sich bei seinen Untergebenen um menschliche Wesen handelt.

Entweder ist das eine bewusst gestreute Sozialschmonzette, um den Konzernherren menschlicher daherkommen zu lassen, oder die Tochter hat's wirklich drauf, den Papa um den Finger zu wickeln. So eine Tochter wünschte man auch anderen Konzernmanagern wie etwa Matthias Müller von VW: "Papa, saubere Luft ist nun mal ein wichtiger Bestandteil im Leben." Und schwupps, Papa wird echt nachdenklich. Kurt-Peter Christophersen, Stade

Unersättliche Finanzinvestoren

Wenn Joe Kaeser glaubt, er hätte den ganzen Abend "das Heft in der Hand gehabt" und nicht der amerikanische Präsident, neben dem er sitzen durfte, so zeugt das von Realitätsverlust. Dass Kaeser Donald Trump kritiklos zu der Herabsetzung der Unternehmensteuern gratulierte, zeigt, wie der Topmanager als Toplobbyist einseitig die Interessen der Kapitaleigner im Fokus hat. Aufgrund der niedrigeren Unternehmensteuern werden die Vermögen der ohnehin bereits Vermögenden noch weiter wachsen, mit allen negativen Folgen für die Zunahme des Ungleichgewichts der Vermögensverteilung, die einen Spaltpilz für den friedlichen Zusammenhalt der Gesellschaft bildet. Die die Stabilität des gesamten Finanzsystems bedrohende Staatsverschuldung der USA wird weiter zunehmen ebenso wie das Wirtschaftswachstum, das deutlich sichtbar nicht nachhaltig aufrechterhaltbar ist.

In Sonntagsreden sprechen Topmanager gerne davon, dass die qualifizierte Belegschaft mit zum Wertvollsten eines Unternehmens gehört. In der Praxis würde das bedeuten, dafür zu sorgen, dass die an Bord befindlichen Mitarbeiter langfristig beschäftigt werden können. Im Gegensatz zu den visionären Unternehmensgründern, den Ingenieuren Siemens und Halske, sieht Kaeser seine Strategie im ständigen Umbau des Unternehmens durch Verkauf und Zukauf von Unternehmensteilen, um den unersättlichen Forderungen der Finanzinvestoren nach Gewinnen gerecht zu werden. Dr. Heiko Barske, Seefeld

Die Botschaft ist angekommen

Zu diesem Interview mit Siemens-Chef Joe Kaeser muss aus der Sicht eines Teilnehmers der Siemens-Hauptversammlung einiges ergänzt werden:

1. Der Hinweis von Joe Kaeser, dass "America first" nicht schlecht ist, solange es nicht bedeutet "America only", war sehr wichtig. Auch für Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron gilt immer noch "Deutschland zuerst" und "Frankreich zuerst". Darüber schweigen sie sich nur aus, wenn sie von "mehr Europa" reden. Das war schon bei der Gründung der EWG 1957 so und hat sich seit dem nicht geändert.

2. In der Siemens-HV hat Kaeser erklärt, dass es in den USA den größten Markt für "Gasturbinen" gibt. Es gehe hier um ein Volumen von "200-Gigawatt", denn unter Präsident Donald Trump soll die Stromerzeugung aus Kohle nicht zugunsten "erneuerbarer Energien" zurückgefahren werden. Das bedeutet, dass die amerikanischen Kohle-Kraftwerke in den nächsten Jahren sehr viel Investitionen in die Erneuerung ihrer Systeme zur Energieerzeugung realisieren müssen. Siemens will an diesem Geschäft partizipieren! Das geht aber nur, wenn es in den USA entwickeln und fertigen lässt. "Buy American" steht nicht erst seit Trump auf der Prioritäten-Liste der US-Regierungen ganz oben! Die Wertschöpfung soll in den USA erfolgen!

3. Kaeser wurde wegen seiner Kommunikation des Stellenabbaus und Firmenschließungen bei "Power & Gas" (alt: "Kraftwerksunion") heftig kritisiert. Ihm und Gerhard Cromme wurde sogar vorgeworfen, dass sie wegen der Einleitung der dritten Stufe der "Deindustrialisierung" des Ostens Deutschlands nach 1945, 1990 und jetzt 2018 - übrigens auch Nordrhein-Westfalens - einmal in den Geschichtsbüchern stehen werden. Die große Delegation der betroffenen Siemens-Mitarbeiter aus Görlitz, Offenbach, Leipzig bei der Siemens-HV sollten dagegen mit Hoffnung nach Hause und an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Die Botschaft ist beim Siemens-Vorstand und Aufsichtsrat durchaus angekommen, jedoch waren die Antworten sehr vage - wie auch in diesem Interview. Reinfried Brunsch, Freising

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Quelle:
SZ vom 12.02.2018
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