Jobcenter:Zu wenig Hilfe, zu viel Misstrauen

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Ob Sanktionen gegen Arbeitslose, die sich falsch verhalten haben, nötig sind, darüber scheiden sich die Geister. Aber angesichts dieser Debatte werden nun auch Forderungen laut, die Arbeit des Jobcenters zu verbessern.

"Das ist eine Katastrophe" vom 16. Mai:

Sanktionsmöglichkeiten nötig

Man sollte zwei Weisheiten stärker beherzigen: "Hört auf die Praktiker vor Ort" und "Ob jemand ein Guter oder ein Lump ist, ist keine Frage des Geldes." Arme können genauso betrügen wie Reiche und umgekehrt. Es müsste daher klar sein, dass es auch in Zukunft bei Fehlverhalten Sanktionsmöglichkeiten braucht.

Gösta Niedderer Egli, Tann/Schweiz

Andere Organisation

Als selbständiger gesetzlicher Betreuer halte ich mich für einen Praktiker. Jobcenter verstehen sich nicht als Hilfsorganisation für Menschen, die in einer kleineren oder auch substanziellen Lebenskrise angekommen sind. Sie verstehen sich als Behörde, die den Hilfeempfänger als zu vermittelnde "human ressource" ansieht. Wenn das Vermittlungsgut nicht funktioniert, soll es bestraft werden, und damit ist die Akte bearbeitet.

Man wird an prominenter Stelle sinngemäß darauf aufmerksam gemacht, dass Lügen strafbar sei. Ich finde das respektlos, beleidigend und juristisch völlig sinnlos. Wenn man dergleichen in ein Formular des Finanzamts aufnehmen würde, ein Aufschrei der Empörung wäre die Folge.

Zweites Beispiel: Ein Leistungssachbearbeiter des Jobcenters ist anders als Finanzbeamte telefonisch nicht erreichbar. Man kann nur in einem Callcenter einen Rückruf auslösen, der innerhalb von 48 Stunden, irgendwann zwischen 8 und 18 Uhr erfolgt. Offenbar haben die "Kunden" des Jobcenters nichts anderes zu tun, als auf Rückrufe zu warten. (Wer im Waschkeller oder beim Einkaufen war: Pech). So bricht man, als Organisation, Kommunikation ab und zeigt dem Kunden, was er wert ist. Kurz gesagt, es fehlt an Menschenwürde. Daher meiden meine Klienten die Jobcenter, wo sie nur können. Wenn jemand nicht zum Termin kommt, bei dem ihm geholfen werden soll, so stimmt wohl etwas mit der Hilfe nicht. Das ganze Sanktionsrepertoire erzeugt ein Klima der Angst. Insofern war Corona für manchen meiner Betreuten eine Erholung.

Ein Paradigmenwechsel wäre erforderlich: Weg von der Elendsverwaltung, hin zum echten Beratungskontakt, weg vom Misstrauensprinzip, hin zur Partnerschaftlichkeit, weg vom Sanktionieren, hin zur individuellen Hilfe. Dies alles vorausgesetzt, hätte ein Sanktionsinstrument vielleicht, in einigen wenigen Fällen, sinnvoll eingesetzt werden können.

Die vorläufige Abschaffung der Sanktionen ist richtig. Bevor sie wieder eingeführt werden, muss sich in der Organisation etwas ändern.

Joachim Breckner, Grafing

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