Israel:Von Schutz­bedürfnis und Provokation

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Netanjahus Politik sowie die Anerkennung der Golanhöhen als israelisches Gebiet durch US-Präsident Trump sorgen für eine breite kritische Auseinandersetzung mit dem Staat. Deutschland habe Verantwortung, dies sei aber kein Freibrief für Israel.

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hält bei einer Kabinettssitzung die Erklärung von US-Präsident Trump hoch, in der US-Präsident Trump die Souveränität Israels über die Golanhöhen anerkennt. (Foto: dpa)

Zu "Alles für die Macht" vom 11. April, "Netanjahu sucht das Risiko" und "Tote Pläne leben länger" vom 8. April, "Balanceakt" vom 29. März sowie "Israel fliegt Vergeltungsangriffe gegen die Hamas" vom 26. März und "Trump erkennt Golanhöhen als Teil Israels an" vom 22. März:

Netanjahu kritisch begleiten

Israel verdient unser demokratisches Verständnis, unsere demokratische Bewertung und unseren demokratischen Beistand. Mithin kann eine demokratisch begründete und differenzierte Kritik an dem von Benjamin Netanjahu geführten Wahlkampf keinesfalls ausbleiben. Nicht zuletzt ist es eben doch die Hoffnung auf Wahrung der rechtsstaatlichen Sicherheit, die Israel mit dem Westen verbindet.

Matthias Bartsch, Lichtenau

Problematischer Vergleich

Stefan Kornelius schreibt in seinem Beitrag "Alles für die Macht" über die Wahl in Israel: "Aber Netanjahu ist kein Ben Gurion ... Diesem Premier indes fehlt die Integrität und eine Vision, die das blanke Bedürfnis nach Stärke übersteigt." Meint er damit, dass die ethnische Säuberung unter Ben Gurion "integer" war? Unter Ben Gurion wurden 750 000 Palästinenser aus Israel vertrieben, enteignet ( Absentee Property Law), entrechtet und ausgebürgert, nur 150 000 blieben. Bereits unter Ben Gurion wurden die Weichen gestellt - per Vertreibung und Apartheid-ähnlichen Gesetzen -, um ein mehrheitlich arabisches Land in einen mehrheitlich jüdischen Staat zu verwandeln. Von "Integrität" kann man da ebenso wenig sprechen wie bei den Gründervätern der südafrikanischen Apartheid, die in vergleichbarer Weise ein mehrheitlich afrikanisches Land in einen Staat der Weißen umwandelten.

Martin Buber sprach sich damals gegenüber Ben Gurion für eine Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge aus, im Sinne eines humanistischen Kulturzionismus. Buber, Hannah Arendt und andere Kulturzionisten waren auch für einen gemeinsamen jüdisch-palästinensischen Staat - aus Angst vor einem jüdischen Sparta, welches die Werte des Judentums verraten würde - diese Haltung spricht für "Integrität". Wäre Ben Gurion "integer" gewesen, hätte er die UN-Resolutionen 181 und 194 umgesetzt - so, wie es die Aufnahme Israels in die UN im Mai 1949 erwartet hatte.

Stefan Kornelius fragt in seinem Beitrag: "Wird Netanjahu Regeln beugen und das demokratische System deformieren ...?" Meint er denn, Ben Gurions Vertreibung, Enteignung und Ausbürgerung der Mehrheit der arabischen Bevölkerung sei "demokratisch" gewesen? Nein, die Weichen Richtung Apartheid statt Demokratie wurden bereits unter Ben Gurion gestellt, nicht erst unter Netanjahu. "Demokratie", wie sie zwischen Einwanderern und Einheimischen im jetzigen Südafrika herrscht, ist in Israel nur mit Vertretern des Kulturzionismus zu machen, nicht mit denen des politischen Zionismus, weder linker Couleur wie Ben Gurion, noch rechter wie Netanjahu.

Sabine Matthes, München

Verantwortung ist kein Freibrief

Mit seinen neuen Annexions-Gelüsten legt Herr Netanjahu seine Lunte weiter, die zu einem Flächenbrand dort werden kann: Die ganze Region wird noch labiler und die Existenz Israels gefährdet. Soweit wir diese garantieren wollen, muss von Israel verlangt werden, derart kontraproduktive Polarisierungen zu unterlassen - notfalls mit materiellen Sanktionen. Unsere Verantwortung ist kein Freibrief und ohne Weiteres strapazierbar, indem Israel uns auf der Nase herumtanzt. Irgendwann ist auch nachsichtige Geduld am Ende.

Prof. Klaus Brake, Berlin

Die Golan-Höhen und die Krim

Als die Russen die Krim vereinnahmt haben, wurden sofort Sanktionen veranlasst, die noch immer bestehen. Wenn Israel seit Jahren die Golanhöhen besetzt und Jerusalem als Hauptstadt erklärt und das mit Zustimmung des amerikanischen Präsidenten, dann hat das keine Konsequenzen oder Sanktionen! Jetzt will Netanjahu sogar das Westjordanland dem Land Israel zuschlagen. Warum gibt es keine Sanktionen der UN wie bei Russland?

Herbert Wagner, München

Deutschland schützt zu wenig

"Die Sicherheit Israels ist Teil der deutschen Staatsraison", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede vor der Knesset. Welchen Beitrag leistet die Bundesregierung zur Sicherheit Israels tatsächlich? Leider leistet die Bundesregierung zur Sicherheit Israels durch ihre Politik Iran gegenüber nicht nur keinen Beitrag zur Sicherheit Israels, sondern gefährdet sie. Durch ihr Festhalten am "Atomabkommen" können Iran Milliarden eingefrorener Gelder zufließen, mit denen er weiterhin sein Programm zum Ausbau der Langstreckenraketen betreiben kann, die inzwischen auch Europa erreichen können, als auch der bewaffneten Tarnkappendrohnen (siehe den Angriff vom 10. Januar vom Golan aus). Außerdem kann Iran weiterhin sowohl die Hamas als auch andere kleinere Terrorgruppen in Gaza und deren Raketenarsenal finanzieren, als auch die Hisbollah aufrüsten. Diese bedroht von Syrien aus zusammen mit iranischen Milizen und vom Libanon aus Israel mit inzwischen Tausenden Raketen, wie das Mideast Freedom Forum Berlin berichtet.

Das erklärte Ziel von Iran, Hisbollah und Hamas ist es nach wie vor, Israel zu vernichten. Dies beweisen zahlreiche Aussagen sowohl der Führer des Iran als auch der oben genannten Terrororganisationen. Unter dem Deckmantel scheinbarer Objektivität werden diese Zusammenhänge verschwiegen.

Franziska Löffelholz, Dr. Gotthilf Walz, Mitglieder Deutsch-Israelische Gesellschaft, München

Eine Frage des Standpunkts

Dass Israel seine Bombardements auf den Gazastreifen als "Vergeltung" hinstellt, muss einen nicht wundern. Welcher Staat deklariert seine Militäreinsätze nicht als sein gutes Recht? Nur: Mit demselben Recht könnte man die gelegentlichen Raketenangriffe der Hamas als verständliche "Reaktion" bezeichnen - auf die Okkupation und sukzessive Annexion palästinensischen Landes, die dafür zerstörten Häuser oder Nutzflächen der angestammten Bewohner; die Monopolisierung der knappen Wasserressourcen zu deren Lasten; auf die wirtschaftliche Strangulierung des Gazastreifens - zu Land und in den Küstengewässern; auf die Tötung oder Verletzung unbewaffneter Demonstranten an der Gaza-Grenze. Sicher sieht die Hamas ihre Aktionen genauso als "Vergeltung". In der hiesigen Berichterstattung gilt der israelische Standpunkt; also das süße Bild vom kleinen, allseits bedrohten Israel, das sich permanent einer Übermacht von Feinden erwehren muss und insofern mit seinen Bombern immer bloß "reagiert". Israel hat längst den Status einer regionalen Supermacht, gegen die die Hamas-Raketen rein militärisch gesehen den Charakter ohnmächtiger Nadelstiche haben. Aber selbst auf die antwortet Israel mit frei gewählter Härte; aus seiner Überlegenheit hat es längst den Anspruch der Unangreifbarkeit entwickelt. Nur von dieser Warte aus betrachtet macht die Rede von "Vergeltung" Sinn: Bestrafung für die komplett unrechtmäßigen (daher "terroristischen") Gewaltaktionen palästinensischer Gruppen.

Mathias Günther, Hamburg

Das Geschenk Trumps

Sie schreiben, die Anerkennung der Annexion der Golanhöhen durch US-Präsident Trump sei, wie schon die Verlegung der Botschaft nach Jerusalem, ein Geschenk an seinen politischen Freund Netanyahu. Das ist sicherlich richtig. Ebenso richtig wäre es zu sagen, dass er damit ein Versprechen an jüdische US-Lobbygruppen einlöste, die ihn im Wahlkampf unterstützt haben. Von einer größeren und mächtigeren Gruppe aber liest man nicht, obgleich diese einen weitaus größeren Teil seiner Wähler ausmachen dürfte: die sogenannten christlichen Zionisten. Ein Teil der US-amerikanischen evangelikalen Christen meint, in den schrecklichen Ereignissen des Nahen Ostens teils die Verwirklichung der biblischen Offenbarung zu erkennen (die sie begrüßen). Man nimmt an, dass sie überwiegend Trump wählen und sich einiges von ihm erwarten. Trump selbst hat auch in der Ernennung seines Vizepräsidenten Mike Pence einen Evangelikalen ins Weiße Haus geholt, weshalb ich es erfreulich fände, hierüber mal eine Reportage zu lesen.

Christian von der Goltz, Berlin

© SZ vom 23.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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