"Der deutsche Nahostkonflikt" vom 2. Mai:
Missachtung des Völkerrechts
Als antisemitisch gilt inzwischen, was irgendjemand als antisemitisch empfinden könnte; ein Verdacht ist also fast immer zu konstruieren und kaum je schlüssig zu widerlegen, da der enttarnte "Antisemit" sich seines Antisemitismus ja gar nicht bewusst sein muss. "Antisemitismusforscher" leisten dem Vorschub mit imponierend klingenden Begriffsimitationen wie "Israelisierung der antisemitischen Semantik". Entschiedene Kritik an der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik Israels wird so unterbunden oder delegitimiert.
Wieso aber soll es antisemitisch sein, die schleichende Annexion der besetzten Gebiete ("Siedlungsbau") zu verurteilen, wenn man nicht im gleichen Atemzug palästinensische Gegengewalt anprangert, also das Spiel nicht mitmacht, ständig die Ebene der Begleiterscheinungen des Konflikts mit der seiner Ursachen zu verwechseln? Die Kritik richtet sich schließlich nicht gegen Juden, weil sie Juden sind, sondern gegen hartnäckige Missachtung des Völkerrechts. Hans Krieger, München
Israel könnte gegensteuern
Der in konfliktreichen Dialogen erfahrene Matthias Drobinski hat sich sehr bemüht, Öl aus dem Feuer um die Absage einer Tutzinger Tagung zum israelisch-palästinensischen Konflikt zu nehmen. Leider ist auch ihm das nicht durchgängig gelungen. Die Kampagne der Boykottbewegung BDS ist gewiss kritisch zu hinterfragen; sie generell auf eine Auflösung Israels festzulegen, erschiene mir voreilig. Einige Forderungen lassen sich als antizionistisch oder gar antiisraelisch deuten; antisemitisch wären sie damit freilich noch nicht, das müsste erst nachgewiesen werden. Die Anhänger der Bewegung sind eine heterogene Gruppe, sie umfasst auch weniger fundamentalistische Gegner der israelischen Besatzungspolitik. Außerdem gibt es eine Reihe anderer Initiativen, deren Sanktionsmaßnahmen oder -forderungen sich nur gegen die Besatzung richten.
Was Judith Bernstein angeht, so frage ich mich, was ihre Kritik mit ihrem Umzug von Jerusalem nach München zu tun haben soll. Will der Autor damit sagen, dass sie, lebte sie heute noch in Israel, keine vergleichbare Kritik an der Besatzung üben würde? Und warum übernimmt er die Einschätzung der Antisemitismus-Expertin Monika Schwarz-Friesel unkommentiert, in der Bernstein zu einer antisemitischen Jüdin wird, die ihre humanitären Motive nur vortäusche?
Es ist doch erst einmal eine rein empirische Frage, ob und wieweit ein bestimmtes Verhalten eines Nationalstaates Vorurteile gegen ihn mobilisiert. Und zweifellos erleichtert oder fördert die Besatzungs- und Annexionspolitik Israels auch Israel-Hass und antijüdische Stereotype und damit Antisemitismus. Ein kluger Nationalstaat wird sich jedenfalls auch bei solchen überschießenden Reaktionen Gedanken über seinen möglichen Anteil an der Eskalation der Gefühle machen und darüber, ob und wie er zur Entspannung beitragen kann. Prof. em. Gert Krell, Hofheim/Ts.
Lehren aus der Geschichte
Die Geschichte des israelisch-palästinensischen Verhältnisses setzt bereits vor dem Krieg 1948 ein und prägt es nachhaltig. Zuvor wurde Israel ja sozusagen "Gast" in Palästina: Die Mandatsmächte haben diesem neuen Staat Land zugewiesen (und garantiert) ohne eine Agreement mit den dort längst Ansässigen. In einem solchen Fall sollte ein neuer "Mitbewohner" alles daran setzen, eine gedeihliche Nachbarschaft zu entwickeln. Das ist so nicht geschehen. Seitdem zerfrisst Unzufriedenheit diese Region. Diese Seite fortwährender Konflikte und Meinungsverschiedenheiten wird gemeinhin nicht thematisiert. Das ist fatal. Denn damit erscheinen aktuelle Konflikte/Bedrohungen zum Teil voraussetzungslos, und wohlmeinende Ratschläge an Israel können kurzerhand als antisemitisch klassifiziert werden. So aber kommen wir nicht weiter. Dieses Problem muss produktiv angegangen statt verdrängt werden; anderenfalls ist das Wohnrecht der Juden dort nicht langfristig zu sichern.
Es liegt in unser aller - aber vor allem auch Israels - Interesse, damit voranzukommen. Prof. Klaus Brake, Berlin