Süddeutsche Zeitung

Insektensterben:Summ, summ, stumm

Lesezeit: 3 min

Leser beklagen angesichts des Insektensterbens die Skrupellosigkeit von Politik und Landwirtschaft gegenüber der Natur. Eine Leserin meint allerdings, auch der Normalbürger müsse wieder mehr Wildwuchs zulassen.

"Rettet die Insekten" vom 21./22. Oktober und "Sie sind weg" vom 19. Oktober:

Desaströse Agrarpolitik

Tina Baier spricht mir aus dem Herzen und trifft den Nagel auf den Kopf. Dass erst ehrenamtliche Mitglieder eines kleinen Umweltvereins das erschreckende Ausmaß des beängstigenden Insektenschwundes auf die Tagesordnung bringen müssen, ist schlimm genug. An einen derart schwachen Landwirtschaftsminister beziehungsweise eine solch desaströse Agrarpolitik, wie sie die letzten Jahre verfolgt wurde und die größtenteils für das sich seit Jahren abzeichnende Dilemma verantwortlich ist, kann ich mich als doch schon etwas älterer Bürger dieses Landes nicht erinnern. Die Bundesregierung schaut insgesamt ebenfalls weg; wen wundert es, wenn Regierungserklärungen in den Vorstandsetagen der Konzerne zusammengezimmert werden!

Was ich im Zusammenhang mit dem Schöpfungserhalt ebenfalls vermisse, ist ein gewaltiger Aufschrei unserer Kirchen. Aber offenbar möchte man den Gift versprühenden Bauern den sonntäglichen Kirchgang ebenfalls nicht vermiesen. Der Verlust an Bienenvölkern beläuft sich inzwischen auf bis zu 50 Prozent. Circa 200 Wildbienenarten sind in Deutschland gefährdet und mittlerweile etwa 30 Arten vom Aussterben bedroht. 800 000 Tonnen (!) Glyphosat werden jährlich auf Europas Feldern versprüht! Vor wenigen Tagen hat der Umweltausschuss im Europaparlament mit großer Mehrheit gegen eine Verlängerung der Zulassung des umstrittenen Pflanzen-/Insektenvernichtungsmittels Glyphosat gestimmt. Die Mehrheit kam im Wesentlichen zustande durch die Stimmen von SPD, Grünen und Linken. Die Christdemokraten haben sich überwiegend enthalten, statt den Schutz von Umwelt und Verbrauchern ganz vorne anzustellen. Noch Fragen? Hans Dellinger, Baldham

Wir alle sind angesprochen

Nicht nur weniger Chemie auf den Feldern und Wiesen, sondern auch weniger Flächenfraß auf dem Land kann Insekten das Überleben leichter machen. Weniger Zweit- und Drittautos, weniger Familienpanzer, die immer breitere und mehr Straßen fordern, können Wiesen retten und damit den Lebensraum von Insekten. Auch der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und schlaue Mobilitätskonzepte aller Kommunen trügen dazu bei. Dazu gehören auch behutsamere Bebauungspläne und nachhaltige Ausweisung von Bauland. Fortsetzen lässt sich die Liste mit der Frage, ist den Garten- und Grüntechnikern mit ihren Laubbläsern und -saugern klar, dass sie auf diese Weise den betrauerten Insekten und sonstigen Kleinlebewesen den Garaus machen? Ganz zu schweigen von den immer praktischer und sauberer gestalteten "Gärten" rund um die Eigenheime durch unsägliche Baumarktangebote. Das neue Schlagwort könnte die Umkehrung von "Einfalt statt Vielfalt" oder wieder "Mehr Wildwuchs" sein. Damit sind wir alle angesprochen. Elisabeth Rind-Schmidt, Bernried

Wie das Waldsterben behandeln

Da natürliche Ursachen so gut wie nicht infrage kommen, muss das dramatische Insektensterben schon fast als Ökozid bezeichnet werden. Viel deutet auf den massiven Einsatz von Pestiziden in der industriellen Landwirtschaft, den überregionalen Eintrag von Stickstoff aus Verkehr und Landwirtschaft und den Habitatverlust durch Landschaftsveränderungen hin. Hier kann die Politik handeln, indem sie den Einsatz von Chemikalien auf den Feldern einschränkt, den Autoverkehr reduziert und den Flächenverbrauch stoppt. Bei der anthropozentrischen Sichtweise unserer Gesellschaft einschließlich aller im Bundestag vertretenen Parteien sind jedoch Zweifel angebracht. Jedenfalls muss das Thema "Insektensterben" mit derselben Wertigkeit wie vor Jahrzehnten das "Waldsterben" behandelt werden. Hierzu muss parallel zu ersten Maßnahmen die im Bereich der Zoologie/Entomologie zu wenig spezialisierte Wissenschaft mit modernsten Methoden aufgerüstet werden. Bereits durch ein europaweites Monitoring können die verantwortlichen Ursachen eingegrenzt werden. Vor dem Hintergrund des massiven Artensterbens ist die Diskussion, ob der Wolf bei uns wieder heimisch werden soll oder nicht, wirklich albern. Dr. Manfred Kirchner, Iffeldorf

Kurzzeitparasit Mensch

Wir lesen und hören immer wieder: "Die Menschheit braucht Bildung!" Mir stellt sich dann die unweigerliche Frage, wer wohl gebildeter ist oder war: Der zivilisierte, studierte, hoch dotierte Chemiker oder Ingenieur, der mithilfe seines Wissens Dinge entwickelt, die unseren Lebensraum, unsere "Mutter Erde" zerstören oder der in unseren Augen unterentwickelte, primitive Mensch, der in irgendwelchen Urwäldern der Erde lebt, beziehungsweise gelebt hat, Jahrtausende im Einklang mit der Natur, der sein Umfeld geschont und gepflegt hat, der alle Zusammenhänge im Naturkreislauf kannte, der seine "Mutter Erde", die ihm Heimat gab und ihn ernährte, geachtet und gepflegt hat? Die Antwort liegt klar auf der Hand. Wir haben es verlernt, mit der Natur zu leben. Schade. Wir werden diesen Kreislauf nicht mehr stoppen können. Es wird unserer Erde allerdings egal sein. Bei uns Menschen handelt es sich eh nur um einen "Kurzzeitparasiten", der in Anbetracht der Milliarden von Jahren, die es die Erde schon gibt, aufgetaucht ist und auch in seiner jetzigen Lebensart wieder verschwinden wird. Hans Lex, Seebruck

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Quelle:
SZ vom 04.11.2017
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