Inklusion:Vom richtigen Umgang miteinander

Manche Leser mögen die Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Handicap gänzlich negieren, andere plädieren für mehr Lehrkapazitäten, damit die Förderung aller Schüler in gemischten Klassen besser funktioniert.

Inklusion in der Schule

Mit und ohne Rollstuhl an einem Tisch: Gemeinsames Lernen in einer Grundschulklasse in Rostock.

(Foto: picture alliance/dpa)

Zu "Und raus bist du" vom 27./28. April:

Jeder Mensch hat gleiche Rechte

Inklusion kann nicht funktionieren, solange wir in Inklusionskinder und "normale Kinder" einteilen. Nur wer die Menschen nicht in Schubladen steckt, kann inklusiv denken. Wir müssen aufhören von Behinderten zu sprechen oder uns alle so bezeichnen. Das würde bedeuten, dass wir zu unseren eigenen Behinderungen und Krankheitsbildern stehen. Alles andere ist Abgrenzung von vermeintlich anderem und führt automatisch zur Exklusion.

Ich kenne keinen Menschen ohne Behinderung. Ich kenne keinen Menschen mit Behinderung. Eine Mutter, die froh ist, ihr Kind unter "seinesgleichen" in einer Förderschule zu sehen, spricht ihrem Kind einen Teil des Menschseins ab. Jeder Mensch hat die gleichen Rechte. Das Förderprinzip müsste in die Regelschulen integriert werden, damit jeder (!) Schüler sein Recht auf Förderung in Anspruch nehmen kann.

Den Terminus "Behindert" akzeptiere ich nicht. Es gibt nur Menschen. Was uns gleich macht, ist dass wir alle verschieden sind. Dazu hat jeder das Recht. Trotzdem wollen wir gleich behandelt werden. Das ist nur fair.

Tonio Schneider, Hildesheim

Dabeisein ist noch nicht alles

Dieser Artikel spricht Klartext! Langsam müsste es den Verantwortlichen in der Politik dämmern, dass anders als möglicherweise erhofft, inklusive Beschulung nicht als Sparmodell zu haben ist. In vielen Bundesländern wurde sich mit Einführung der Inklusion von Förder- und Sonderschulen sowie integrativen Klassen im allgemeinbildenden Schulsystem verabschiedet, in denen durchaus hochwertiger, unentgeltlicher (wie in der UN-Konvention gefordert) und auf Heterogenität abgestimmter Unterricht möglich war und ist, mit förderplanbasiertem bis zu zielgleichem Unterricht mit allgemeinen Schulabschlüssen.

Zu deren Erreichen jedoch ist mitunter ein professionelles assistenzgestütztes Lernsetting erforderlich, das es den Schülern ermöglicht, ihr Potenzial zu entfalten und Vertrauen zu Lehrern und Mitschülern aufzubauen. Dass "diese Kinder eine Riesenpower" haben, wie mir (als Musiklehrer) eine Mutter nach einem Konzert sagte, ist unstrittig, "sie müssten nur Wege finden können, dies unter Beweis zu stellen". Was fehlt, ist die Selbstverständlichkeit von Teilhabe sowie selbstverständliche Sichtbarkeit und Präsenz Behinderter in der Gesellschaft. Das will Inklusion mit Recht, und davon sind wir noch entfernt. Nur: Dabeisein ist noch nicht alles. Was ist mit dem Bildungsanspruch dieser Schüler? Mit herumreisenden Sonderschullehrern, die zwei bis drei Stunden pro Woche und Klasse zur Stippvisite kommen, ist niemandem gedient.

Michael Huhn, Hamburg

Die Sicht Nichtbehinderter

Ann-Kathrin Eckhardt und Thorsten Schmitz stellen das Dilemma der Inklusion an deutschen Schulen aus der Sicht behinderter Kinder und ihrer Eltern sehr anschaulich dar. Was meiner Meinung nach allerdings auch Beachtung finden sollte, ist die Situation nichtbehinderter Kinder in den Regelschulen. Die Förderschulen zum Beispiel in Würzburg leisten so eine gute Arbeit, dass mir aus meiner beruflichen Tätigkeit als Kinder- und Jugendpsychiaterin einige Familien bekannt sind, deren Kinder zwar nicht behindert sind, die aber in den Regelschulen nicht gut zurecht kommen, so dass sie sie gerne auf eine Förderschule schicken möchten. Kleine Klassen, mehr Lehrpersonal, Therapien in den Schulen, Ganztagsbetreuung, Betreuungsangebote in den Ferien: Das erscheint vielen Familien geradezu paradiesisch.

Ein Wechsel ist aber, genau wie anders herum, mit erheblichem Aufwand und manchmal auch "Tricks" verbunden, zum Beispiel wird versucht, eine körperliche Auffälligkeit festzustellen, damit ein Kind auf eine Schule für Körperbehinderte gehen kann. Das beschäftigt eine ganze Menge Personal: Ärztinnen, Therapeuten, Lehrerinnen, Behörden und Familien müssen Gutachten und Berichte erstellen (lassen). Inklusion betrifft dann die nichtbehinderten Kinder. Ziel muss es daher sein, für alle Kindern gleich gute Rahmenbedingungen zu schaffen, ob behindert oder nicht.

Dr. Ulrike Schupp, Gräfendorf

Inklusion auch im Job

Wie geht es denn weiter nach der Schule? Dies klingt gegen Ende des Artikels zwar kurz an, wird aber nicht ausführlich berichtet. Nach der Schule gibt es spezielle Ausbildungsplätze, meist in entsprechenden Zentren mit angegliedertem Internat, die von der Agentur für Arbeit bezahlt werden. Also von uns Steuerzahlern! Klingt prima, ist es auch, aber nach Beendigung der Ausbildung finden diese Menschen keine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt, weil die Politik versäumt hat die Firmen zwangszuverpflichten per Quote. Im Artikel wird von ein paar Hundert Euro Strafe geschrieben, dass aber vorher der Staat bereits investiert hat, um diesen Menschen eine sinnvolle Beschäftigung beizubringen bleibt unerwähnt. Das vollmundig verkündete Budget für Arbeit läuft völlig ins Leere. Die Firmen möchten den ausgebildeten Juristen im Rollstuhl oder den auf IT spezialisierten Autisten einstellen, Stellen für Bürohilfskräfte, Datenverarbeiter werden in Zeitarbeitsfirmen "outgesourcet". Dies ist die bittere Realität, die ich mit unserer Tochter seit neun Monaten erlebe.

Katja Drewanz, Offenbach

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