Nachhaltig investieren:Büros statt Ruine

Altes verfallenes Industriegebäude Köln 15 08 2014 imago juergen Schwarz Industriegebäude

Ein altes, verfallenes Industriegebäude in Köln.

(Foto: imago/Jürgen Schwarz)

Neue Chancen für Mieter: Investoren, die marode Gebäude und ungenutzte Flächen aufkaufen. Wie das gehen kann, zeigt ein Beispiel aus Duisburg.

Von Stefan Weber

Als das Städtische Hallenbad in Duisburg-Hamborn im Frühjahr 1938 eröffnete, hatte Adolf Hitler gerade den "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich verkündet. Nach neunjähriger Bauzeit konnten Schwimmfreunde in dem Backsteinbau endlich ihre Bahnen ziehen - getrennt nach Männern und Frauen in zwei baugleichen Schwimmhallen, so wie es zu dieser Zeit üblich gewesen war. Nach den Kriegswirren wurde in dem Bau an der Grenze zum Stadtteil Marxloh viele Jahrzehnte weiter geschwommen. Bis 1998. Hohe Betriebskosten, ein erheblicher Sanierungsstau und geringe Besucherzahlen veranlassten die Stadt, das Bad zu schließen. Es folgte: Stillstand. Das Gebäude verfiel, und ringsherum holte sich die Natur nach und nach zurück, was die Menschen ihr genommen hatten. Und so war der Bau mit seiner denkmalgeschützten Fassade bald nur noch eine beliebte Kulisse für Fotografen mit Spezialgebiet "Lost places".

Für Timm Sassen ist das ehemalige Schwimmbad an der Walther-Rathenau-Straße ein Beispiel für Immobilien, mit denen sich Makler, Investoren und Projektentwickler üblicherweise keine fünf Minuten beschäftigen. "Alle haben mir abgeraten, mich hier zu engagieren. Für eine Industriebrache im Duisburger Norden gebe es keine Perspektive, meinten sie", sagt Timm Sassen, Gründer und Geschäftsführer der Immobiliengruppe Greyfield. Er entschied sich anders und erwarb die Immobilie Anfang 2019. Warum? Weil er Bestandsgebäude mit anderen Augen sieht als viele andere in der Branche.

Vermeintlich unattraktive Immobilien ressourcenschonend und sozialverträglich umzugestalten, umzuwidmen und ihnen losgelöst von ihrer Historie neues Leben einzuhauchen ist das Geschäftsmodell seines Unternehmens. "Wir beschäftigen uns intensiv mit einem Standort und seinem Umfeld. Wir fragen, was die Stadt und was die Menschen dort benötigen, analysieren das Potenzial einer Immobilie und suchen mögliche Nutzer", erläutert Sassen. Die üblichen Reports, die Projektentwicklern und Investoren aufzeigen, wo welche Engagements aussichtsreich seien, benötige er nicht. "Wir sind nicht investorengetrieben. Wir machen uns unser eigenes Bild."

In der entkernten Gebäudehülle des Hallenbads entstehen gerade 7500 Quadratmeter Bürofläche. Im Sommer zieht dort das Duisburger Jobcenter ein. Dessen Geschäftsführer Frank Böttcher ist froh, nach langer Suche endlich einen geeigneten Standort im Norden der Stadt gefunden zu haben. "Das passt perfekt. Hier leben ein Drittel der Familien, die wir betreuen." Die Umgestaltung des Hallenbads ist eines von mehreren Projekten, die Greyfield derzeit verfolgt. Viele befinden sich im industriell geprägten Ruhrgebiet, wo nahezu jede Kommune ihre "Lost places" hat, aber auch anderswo in Deutschland. Das gesamte Projektvolumen beträgt aktuell rund 200 Millionen Euro.

Sassen gehört mit seiner 2012 in Essen gegründeten Greyfield Group zu einer neuen Generation von Akteuren in der Immobilienwirtschaft, die die bereits bekannte Idee des nachhaltigen Bauens weiterdenken. Deren Leitmotiv heißt "Social Impact Investing", also wirkungsorientiertes und sozial ausgerichtetes Investieren. Dabei handelt es sich um eine innovative Bewegung, die bei Anlageentscheidungen nicht nur die Rendite bewertet, sondern auch die Wirkung, die ein Investment auf die Menschen und die Umwelt ausübt. Die Investitionen sollen die Situation der heute lebenden Menschen deutlich verbessern und zugleich die Lebensgrundlagen kommender Generationen nicht gefährden. Zum Beispiel mit Konzepten, die bedarfsgerechten und erschwinglichen Wohnraum schaffen, die benachteiligte Menschen teilhaben lassen oder den ökologischen Wandel beschleunigen.

Noch ist die Zahl der Impact-Investoren in Deutschland vergleichsweise gering. Eine größere Rolle spielen aktuell nachhaltige Immobilienfonds, deren Volumen das Forum für Nachhaltige Geldanlagen (FNG) für 2019 mit 87,8 Milliarden Euro beziffert, verwaltet von neun Fondsanbietern in 54 Fonds. Die Anbieter orientieren sich in erster Linie an ökologischen Merkmalen, gefolgt von sozialen und Governance-Kriterien. Im Unterschied zu Social Impact Investments verfolgen sie aber keine, der Renditeerwartung gleichrangige, soziale und ökologische Zielsetzung.

Die Suche nach Geldgebern ist nicht einfach

Länder wie Großbritannien oder die USA sind auf diesem Feld weiter als Deutschland. Dort gehen Social-Impact-Investoren Allianzen mit Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Kirche und Zivilgesellschaft ein und übernehmen Aufgaben, die die öffentliche Hand nicht allein meistern kann. Zum Beispiel, wenn es um den Aufbau einer guten Gesundheitsinfrastruktur geht. "Allmählich zieht das Thema aber auch hierzulande Kreise. Der Anlagedruck ist groß. Immer mehr private und institutionelle Investoren möchten nicht nur finanzielle Renditen erzielen, sondern auch messbare positive soziale und ökologische Wirkung erzeugen", meint Susanne Eickermann-Riepe, Vorstandsvorsitzende des Instituts für Corporate Governance in der Immobilienwirtschaft (ICG).

Das Problem sei der Mangel an geeigneten Projekten. Aber das wird sich nach ihrer Einschätzung bald ändern. Vor Kurzem hat das ICG einen Praxisleitfaden zum Thema veröffentlicht. Eine der Kernbotschaften: Wirkungsorientiertes Investieren ist keine sozialromantische Fehlentwicklung der Finanzindustrie, sondern der neue Standard, an dem sich sämtliche Immobilienaktivitäten und deren Initiatoren messen lassen müssen. "Social Impact Investment bedeutet nicht zwangsläufig Renditeverzicht", betont Eickermann-Riepe. Die Herausforderung sei aber, dass viele potenzielle Fremd- und Eigenkapitalgeber gleich in Deckung gingen, wenn Partner für ein Projekt wie das Hallenbad in Duisburg gesucht würden.

"Stimmt", sagt Timm Sassen, "die Suche nach Fremd- oder Eigenkapitalgebern für die Umgestaltung von Bestandsimmobilien ist nicht immer einfach. Deshalb müssen wir häufig deutlich mehr eigenes Geld einschießen, weil kein anderer dieses Risiko tragen möchte. Gesucht werden Akteure mit Pioniergeist und nicht Partner, die nur ans kurzfristige Geldverdienen denken und auf Reports vertrauen, die suggerieren, gute Investments ließen sich nur in den bekannten Top-Standorten erzielen und nicht auch in B- oder C-Lagen." Wer langfristig denke, müsse in Betracht ziehen, dass Immobilien, die soziale und ökologische Aspekte aus Acht lassen, irgendwann nicht mehr veräußerbar seien. "Es kommt darauf an, generationenübergreifend Verantwortung zu übernehmen." Viel zu lange hätten Projektentwickler nur für Investoren gebaut und dabei die Wünsche der Menschen aus dem Blick verloren.

Susanne Eichermann-Riepe, die viele Jahre den Real-Estate-Bereich der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC verantwortete, wünscht sich, dass die Vorteilhaftigkeit einer Investition nicht nur an klassischen Finanzkennziffern gemessen wird, sondern auch andere Kriterien in die Betrachtung einfließen. "Zum Beispiel die Überlegung, dass ich in ein Wohnquartier investiere, das eine soziale Funktion erfüllt und ich so eine verantwortungsvolle Beimischung meines Portfolios erreiche." Institutionelle Investoren wie Fonds oder Pensionskassen seien für solche Investments erst vereinzelt bereit, beobachtet Eickermann-Riepe. Deshalb müssten Privatinvestoren oder Family Offices voran gehen. Als Eisbrecher und Vorbild, um zu zeigen, was machbar ist.

"Das nachhaltigste Gebäude ist das, was schon gebaut ist."

Damit das Thema Fahrt aufnehmen kann, müssen die Auswirkungen des Handelns nach Überzeugung des ICG messbar gemacht werden. Das sei schwierig, wenn es um soziale Kriterien gehe, räumt Sassen ein. Dagegen ließen sich ökologische Vorzüge leichter dokumentieren, etwa in Form eines Material- und CO2-Ausweises, der einem Bauantrag beigefügt werden könne. Hier sieht der Greyfield-Chef Investitionen in Bestandsbauten klar im Vorteil. "Das nachhaltigste Gebäude ist das, was schon gebaut ist", meint er. Neubauten mit moderner Technik zu errichten, höre sich zunächst gut an, koste aber viel Energie. Das werde in der Umweltbilanz jedoch nicht berücksichtigt.

Eickermann-Riepe wünscht sich mehr staatliche Förderung für Social Impact Investments in Bestandsimmobilien. Etwa eine auf vier Prozent verdoppelte Abschreibungsquote, wie sie im Denkmalschutz üblich sei. Das könne ein Anreiz sein, Gebäude zu erhalten, statt abzureißen. Wichtig sei aber auch eine größere Flexibilität in den Bebauungsplänen. So ließen sich zum Beispiel in Innenstädten Durchmischungen schaffen, "die wir in anderen Teilen der Welt so toll finden".

Flexibilität ist für Timm Sassen auch das beste Rezept gegen Krisen. Denn wer nur für einen kurzfristigen Trend baue, besitze in schwierigen Phasen keinen Handlungsspielraum. Architekten und Entwickler müssten verstehen, dass im Lebenszyklus einer Immobilie viele Nutzungen auf sie zukommen könnten. Deshalb sei es besser, "mixed-use" zu denken. Das eröffne in Wendezeiten wie jetzt, da infolge der Pandemie bald vermehrt innerstädtische Handelsimmobilien eine neue Nutzung suchten, Möglichkeiten, etwa für die Schaffung von Wohn- und Büroraum. Dann braucht es auch nicht mehr über 20 Jahre Leerstand und Verfall, bis sich eine neue Perspektive ergibt wie beim ehemaligen Hallenbad in Duisburg.

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