Ihre Post:Ihre Post zum Brandanschlag in Tröglitz

In Sachsen-Anhalt wurde ein Haus in Brand gesteckt, das Flüchtlinge aufnehmen sollte. Aber nicht nur dort, meinen SZ-Leser, ist Fremdenfeindlichkeit an der Tagesordnung - und die Politik hält sich raus.

Vater Staat hält sich raus

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(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Zu Berichten über den Brandanschlag auf ein geplantes Flüchtlingsheim im sachsen-anhaltischen Tröglitz: Dass die SZ den Vorkommnissen in Tröglitz kritische Aufmerksamkeit widmet, ist sehr begrüßenswert. Was sich dort ereignet hat, liegt leider in einem besorgniserregenden, nicht auf diesen Ort beschränkten Trend. Verfolgt man in Online-Ausgaben der Presse die unter Pseudonymen wiedergegebenen Stellungnahmen aus der Leserschaft, könnte man glatt verzweifeln, welche Resonanz fremdenfeindliche Demagogie findet und in welcher Minderheit Bürger sind, die vernünftige Standpunkte zu äußern wagen. Tröglitz im Burgenlandkreis ist nicht weit von meinem Wohnort Gera (Ostthüringen) entfernt. Auch hierorts ist behördlich eine Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende geplant, und Sie machen sich kaum eine Vorstellung, wie fremdenfeindlicher Mob demagogisch dagegen vorgeht. Beschimpfung und Handgreiflichkeit gegen Bürger, die humanerweise die Position "Refugees welcome" vertreten, haben sich, auch in Mediengegenwart, ereignet. Es wird, durchaus vergleichbar mit Tröglitz, auf Einschüchterung vernünftiger Andersdenkender spekuliert. Doch wen überrascht das ? Lässt man das unrühmliche NSU- Geschehen Revue passieren, ist jenes doch himmelschreiend genug. Demagogen und Unrechtstäter haben nichts zu befürchten. Hingegen haben, die sich ihnen entgegenzustellen riskieren, hohe Risiken zu gewärtigen, und "Vater Staat" hält sich heraus, als ob es ihn nichts anginge. So versündigt man sich am Image der Demokratie. Es bedarf keiner Fantasie, um vorauszusehen, wohin es führen wird, wenn die für die öffentliche Sicherheit Verantwortlichen weiter so dilettantisch agieren wie bisher, anstatt Demagogie und politisch motiviertem Extremismus die Stirn zu bieten. Auch der in Betracht gezogenen Geraer Erstaufnahmeeinrichtung ist "Abfackeln" in Aussicht gestellt worden. Wie lange will die Staatsmacht noch versagen? Karlheinz Andert, Gera

Offene Fragen

Wir machen es uns bei der - berechtigten - Empörung über kriminelle Ausländerfeindlichkeit zu einfach und gehen den grundsätzlichen Überlegungen auch nicht andeutungsweise nach: 1. Wie viele Menschen auf der Welt wollen, aus welchen Gründen auch immer nach Deutschland? 2. Sollen beliebig viele Menschen einwandern können? Wenn nicht, wie viele? 3. Wie soll die Menge der Elenden, Verfolgten, Unterdrückten dieser Erde daran gehindert werden, ihr Traumziel "Europa" zu erreichen? Mit Reden im Bundestag? Mit Gebeten in den Kirchen? Mit Prozessen um ein theoretisch existierendes Recht auf Asyl? Mit Stacheldraht und Beton? 4. Was soll mit den Zuwanderern geschehen, die sich nicht integrieren wollen? 5. In welchem Umfang ist die Politik der westlichen Industrieländer ursächlich für die Flüchtlingsströme? Mich stört die Unehrlichkeit der Diskussion. Wer sich hier zu Wort meldet, sollte vier Wochen an den Außengrenzen der EU Zeuge, besser Teilnehmer, der unwürdigen Abwehr der Flüchtlinge gewesen sein. Dort, an den Außengrenzen der EU, nicht bei uns in Flüchtlingsheimen, ist die Wirklichkeit des Elends von Krieg, Folter, Zerstörung zwar nicht zu sehen, aber zu ahnen. Und wer das erlebt hat- Bundestagsabgeordnete, Pfarrer, NGO-Aktivisten - der soll den Bürgern unseres Landes die vorstehenden Fragen beantworten. Friedemann Ungerer, Anklam

Bittere Erkenntnis

Der Brandanschlag in der Ortschaft Tröglitz in Sachsen-Anhalt sollte niemanden überraschen. Asylbewerberheime werden in Deutschland leider nicht erst seit heute angezündet. Seit den berüchtigten Pegida-Demonstrationen in Dresden sollte es jedem bewusst sein, dass Ausländerfeindlichkeit hierzulande weit verbreitet ist. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zeigt sich dennoch überrascht von diesem Anschlag und hält eine seiner bekannten Sonntagsreden über die Gefahren für die Demokratie in seinem Bundesland, in dem jeder Zweite nicht mehr zur Wahl geht. Die Wunde von Tröglitz als Hinweis auf ausländerfeindliche Gewaltbereitschaft sollte nachdenklich stimmen. Denn was bleibt, ist die bittere Erkenntnis, dass dort, wo Häuser vorsätzlich angezündet werden, auch deren zukünftige Bewohner den Tod finden sollen. Albert Alten, Wernigerode

Wie vor 70 Jahren

Anlässlich des Kriegsendes vor 70 Jahren werden alle Medien in der nächsten Zeit über Flucht und Vertreibung berichten, über Einzelschicksale und die Ankunft in der neuen Heimat - dass es oft eine "kalte Heimat" war, gehört auch zu den kollektiven Erfahrungen. Wenn heute die Unterbringung von Flüchtlingen, die ebenso wie die vor 70 Jahren oft nur ihr Leben retten konnten, immer wieder Demonstrationen und Schlimmeres hervorruft, dann sei an das erinnert, was damals geleistet werden musste. Durch eine Stadt wie Cottbus mit erheblichen Kriegszerstörungen und etwa 50 000 Einwohnern wurden zwischen 1945 und 1949 zwei Millionen Menschen geschleust, die verpflegt und betreut werden mussten, nicht gerechnet die Angehörigen der Wehrmacht und der Roten Armee. Unter den ostdeutschen Ländern nahm Sachsen-Anhalt den größten Teil der Flüchtlinge auf. Bleibt zu hoffen, dass keiner der Nachkommen der damals Vertriebenen sich unter denen findet, die heute so massiv gegen die Flüchtlinge auftreten. Dr. Karl Klaus Walther, Volkach

© Süddeutsche Zeitung vom 15. April 2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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