Hubert Aiwanger:Populismus auf bayerisch

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Illustration: Michael Holtschulte (Foto: N/A)

Auf einer Kundgebung in Erding schwingt sich Hubert Aiwanger lautstark zur Stimme des Volkes auf. Ob die "Normalbürger" diesen Fürsprecher brauchen, bewerten SZ-Leser unterschiedlich.

"Die Deppen da oben" vom 17. Juni, "Söder am Kipppunkt" vom 14. Juni, "Buhrufe für Söder, Applaus für Aiwanger" vom 12. Juni:

"Wirtshausminister"

Die Anti-Heizungspläne-Demonstration in Erding war ein neuer Tiefpunkt im politischen Diskurs, wobei besonders Hubert Aiwanger populistisch die Proteste auf niedrigstem Niveau mit Halbwahrheiten, Parolen und rhetorischen Ausfällen auf Stammtisch-Niveau befeuerte, das eher einem Wirtshaus- als einem Wirtschaftsminister entspricht. Wenn sich Aiwanger als Anführer der "normalen, anständigen Leute" - also der Bayern, Bauern und Fleischesser im Kampf gegen die "Berliner Chaoten" sieht, lässt er jegliche rationale Argumentation vermissen und geifert nur noch um eigene Prozentpunkte bei der nächsten Landtagswahl willen.

Auch seine wütende Kritik an den Medien, die seiner Ansicht nach "nicht an der Seite der normalen Bevölkerung" stünden, und sein pauschales Wettern gegen "linksgrünes Gender-Gaga" lassen jedes Maß an Realität vermissen und ist in der Wortwahl längst auf der Stufe der AfD. Aiwanger muss aufhören mit der Aufwiegelei - sie ist eines stellvertretenden Ministerpräsidenten nicht würdig. Auch im Wahlkampf ist nicht alles erlaubt.

Egbert Kuhlmann, Unterföhring

Rechts von der CSU

Ein sehr kluger bayerischer Ministerpräsident vertrat die These, es dürfe rechts von der CSU keine demokratische Kraft geben. Der Drang der heutigen CSU zur Mitte hat die Schleusen geöffnet. Söder wendet sich in Erding hilflos an Frau Gruber, als er Gegenwind erfährt, das war die erbärmlichste Szene.

Hubert Aiwanger ist natürlich streitbar, aber ihn unter der Überschrift zu thematisieren, ob oder wie gefährlich er für die Demokratie sei, ist ungerecht. Er kommt mir wie die demokratische Brandmauer auf der rechten Seite vor, die die CSU vernachlässigt, und seine fragwürdigen Sprüche in Erding sind sicher weniger gefährlich als die orientierungslosen Inszenierungen von Söder. Und wenn er in Erding auch nur einen AfD-Wähler abgeworben hat, ist das ein größerer Erfolg, als Söder sich von seinem unsäglich erbärmlichen Auftritt wünschen könnte. Was die SZ dazu treibt, das unter dem Thema Gefahr für die Demokratie aufzurufen, ist nicht nur unverständlich, sondern beängstigend.

Dr. Bernhard Gschoßmann, Regensburg

Überheblich

Ich bin entsetzt, in welcher abwertenden und polemischen Weise der Autor über den Regierungsbezirk Niederbayern und dessen Bewohner schreibt. Ihnen ein klimaorientiertes, demokratisches und intellektuelles Denken abzusprechen, ist an Überheblichkeit kaum zu toppen. Manche Journalisten mögen sich selbst vielleicht als moralisch überlegen fühlen, im Beitrag einer Qualitätszeitung sollte jedoch ein Mindestmaß an Objektivität und Respekt gewahrt bleiben.

Brigitte Böhm, Eichenau

Good Cop, Bad Cop

Es ist immer schön, weil selten zu erleben, wie der um keine Prahlerei, um kein Selbstlob verlegene konservative Christenmensch Markus Söder auf einmal merkt, dass sein Instinkt ihn verlassen hat. Das ist das Positive an der Erdinger Gschicht.

Vielleicht war der CSU-Chef wieder schlauer und alles nur Kalkül. Denn eigentlich können CSU und Freie Wähler zufrieden sein. Sie haben ein bewährtes Geschäftsmodell für den Wahlkampf etabliert: Good Cop und Bad Cop - wer welche Rolle spielt, hängt von den jeweiligen Standpunkten der Wählerinnen und Wähler ab und wird die Anzahl der Stimmen bei der Wahl auf beiden Seiten sicher steigern.

Fassen wir zusammen: Eine Regionalpartei mit einem sehr lauten Vorsitzenden, der sehr laut sagt, dass die große Mehrheit noch viel zu leise sei, weshalb er ihr eine - nämlich seine - Stimme gebe; eine konservative Volkspartei, die diesen Mann irgendwie anstrengend findet, andererseits aber auch ganz nützlich, weil er das kleinere Übel darstelle und irgendwie größeres Übel verhindern helfe, indem er den konservativen Machterhalt sichere und irgendwie, hoffentlich, noch größeren Schaden abwehre, den nicht konservative Parteien anrichteten; eine verunsicherte Gesellschaft, die den sehr lauten Mann irgendwie ulkig findet - wie der redet! -, aber eben ganz unterhaltsam, und "Wo er recht hat, hat er recht!".

Bürgerliche Medien, die diese Regionalpartei und ihren sehr lauten Vorsitzenden misstrauisch begleiten; andere bürgerliche Medien, die diese Partei und ihren Anführer und deren Allianz mit dem "normalen", sprich größeren und nun endlich lauter werdenden Teil der Bevölkerung bejubeln; "normale" Bürger, die sich endlich trauen, gegen eine "Grüne Diktatur" aufzubegehren. Ist Erding jetzt die Hauptstadt der neuen Bewegung oder die neue Hauptstadt der Bewegung? Geschichte wiederholt sich. Unklar ist, ob wir gerade noch die Tragödie erleben oder schon die Farce.

Axel Klemmer, Erding

Ein Normalbürger

Im Artikel zu Aiwangers Äußerungen auf einem Erdinger Volksfest erwähnen Sie die "selbsternannten Normalbürger". Nachdem ich mich der Klientel dieser mit der doch sehr despektierlichen Floskel bezeichneten Bevölkerungsgruppe verbunden fühle, erlauben Sie mir eine Stellungnahme.

Sie stellen Herrn Aiwanger in Ihrem gesamten Artikel als etwas drögen, aber doch sehr gerissenen und rechtsnational angehauchten Bauern und Politiker dar, dessen Verdienste und dessen Kampf für die bayerische Wirtschaft in keiner Weise gewürdigt werden. Sie hätten auch darauf hinweisen können, dass einige zukunftsorientierte Wissenschaftler, die sich mit Technologien gegen den Klimawandel befassen, erst seit Aiwanger wieder in Bayern forschen und arbeiten können.

Wichtiger scheint für die SZ zu sein, Aiwangers Image als Bauer aus dem "flyover country" zu bewahren, der wie alle anderen in dieser Stellung 18 000 Euro im Monat verdient und eine Dienstlimousine zur Verfügung hat. Darf das der Bauer aus Niederbayern nicht in Anspruch nehmen? Ich orte hier eine gewisse Diskriminierung, über die Sie ja an anderer Stelle so gerne berichten.

Besonders betroffen macht mich, dass ich mich als Normalbürger mittlerweile selbst dazu ernennen muss. Früher war ich das einfach. Ich gehörte der meist schweigenden Masse an, die alle paar Jahre zur Wahl ging, um so eine Regierung zu wählen , welche die Interessen der "Normalos" vertrat. Heute gehöre ich immer noch der meist schweigenden Mehrheit an, die aber keinerlei Einfluss mehr hat auf sogenannte "Mainstream"-Entscheidungen, die das gemeine Volk nicht will. Das beginnt bei unserem weltweit einzigartigen Genderwahn und hört beim Tempolimit auf. Auch den Atomausstieg zu dem Zeitpunkt im April 2023 wollte die Mehrheit nicht.

Politische Entscheidungen haben sich mittlerweile losgelöst vom Willen des Volkes. Der Mangel an Demokratie zieht sich durch alle Parteien, und insofern hat Herr Aiwanger recht, wenn er dazu aufruft, dass sich die schweigende Mehrheit die Demokratie zurückholen soll. Das Problem der schweigenden Mehrheit ist aber leider, dass sie mit der Bewältigung des Alltags, Erwerbstätigkeit, Kindererziehung, Kampf gegen überbordende Bürokratie, im Stau stehen, zu spät mit der Bahn kommen derart überfordert ist, dass die Energie nicht mehr ausreicht, "sich die Demokratie zurückzuholen". Insofern können sich Politik und Medien entspannt zurücklehnen, es wird sich vorerst mal nichts ändern.

Dr. Thomas Schäfer, Riedering

Die größte Gefahr

Zum Aufgepeitschtwerden gehören immer zwei: einer, der aufpeitscht, und einer, der sich aufpeitschen lässt. Anstatt ausschließlich Leute wie Aiwanger zu kritisieren, müssen wir verhindern, dass Teile unserer Bevölkerung auf Lügen und Vereinfachungen hereinfallen, anstatt sich dagegen zu wappnen.

Dafür steht in unserer Demokratie als vierte Gewalt eine umfangreiche öffentliche Medienlandschaft bereit. Diese kritisch zu sichten, ist allerdings mit Arbeit verbunden, und da liegt wohl das Problem: Wer ist noch bereit, nach dem Abendessen eine Stunde lang eine seriöse Tageszeitung zu studieren, anstatt vor der Glotze bei Fischli und Bier abzuhängen? Die größte Gefahr für unsere Demokratie sind nicht unsere Aiwangers, sondern die vielen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die ihnen folgen.

Klaus Werner, Erlangen

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