Süddeutsche Zeitung

Die Landkreisausgaben:Neueste Nachrichten? Von wegen!

"Streiflicht"-Autor Hermann Unterstöger über die Gründerjahre in der Ebersberger SZ-Redaktion.

Von Hermann Unterstöger

Die "Gründerzeit" war, wenn vielleicht nicht gleich in allen Landkreisausgaben der SZ, so doch und jedenfalls bei den Ebersberger Neuesten Nachrichten, davon geprägt, dass von Nachrichten, gar von neuesten, schlechterdings nie die Rede sein konnte. Wenigstens nicht am Beginn des Tages. Der war oft von ganz typischer Art, indem wir fünf am frühen Morgen, also um zehn Uhr, vor dem Nichts standen.

Wir fünf - das waren der Redaktionsleiter Peter Schmitt, die Volontärin Verena Adt, die Redakteure Herbert Kunisch und ich sowie die eigentliche Chefin und Seele des Ladens, die gute Frau Klenk, deren Bedeutung mit dem Titel "Assistentin" nicht annähernd erfasst wird. Das Nichts aber war das Nichts. Es manifestierte sich darin, dass wir fünf um den Ladentisch standen und auf ein völlig leeres Einlauf-Kistchen starrten. Leerer konnte kein Einlauf sein: Weder Muh noch Mäh, keine Kurzmeldung, keine Vereinsankündigung, kein Leserbrief, nicht einmal eine Kündigung. Frau Klenk in ihrer Güte versuchte uns aufzurichten: "Da kommt sicher noch was rein, ihr sollt sehen!" Uns schien das nicht so sicher zu sein, weswegen wir uns allen Ernstes die Frage stellten, ob wir, was eigentlich für den Mittag ins Auge gefasst war, nicht sofort erledigen sollten: ins "Forsthaus Hubertus" hinauszufahren und uns dort richtig zuzuschütten.

Wir können sagen, dass der Teufel der Pflichtvergessenheit nie solche Macht über uns erlangte, dass wir tatsächlich sofort abgehauen wären. Und es lässt sich ferner berichten, dass der Himmel unsere Standhaftigkeit gelegentlich lohnte, indem zum Beispiel plötzlich die Tür aufging und ein uns freundschaftlich verbundener Zornedinger Anwalt hereinkam, um uns brühwarme Nachrichten von der FDP zu hinterbringen. Da er zufälligerweise in dieser Partei an leitender Stelle wirkte, waren diese Neuigkeiten natürlich nicht eben skandalös, aber immerhin: Der erste Einspalter war gebunkert, die morgige Ausgabe irgendwie fast schon gesichert.

Wenn es das Glück ganz gut mit uns meinte, tauchte auch der nette Herr Vollhardt auf, damals Ebersberger Bürgermeister und auch so etwas wie ein Freund der ersten Stunde. Er meinte in seiner souveränen Art, man solle die FDP vielleicht nicht wichtiger nehmen, als sie ist, und wenn uns an einer Topmeldung aus der örtlichen CSU gelegen sei, so könne er verraten, dass er selbst... Nun ja, wir waren dynamisch damals und offen, und wir sagten uns, dass wir, wenn das so weiterging, und wenn wir die Bilder unserer lieben Fotografinnen gehörig aufbliesen, am frühen Nachmittag möglicherweise schon eine Seite vollhaben könnten.

Statt Überwachungskameras wurden beim Bäcker die Apfeltaschen entdeckt

Oft war es der Kollege Kunisch, der dann sagte: "FDP und CSU, schön und gut", aber so ganz die richtigen Reißer seien das noch nicht. Er war unsere Spürnase, und wenn er einmal gut im Wind war, ließ er so schnell nicht wieder locker. So zum Beispiel hatte es ihm ein Vöglein zugetragen, dass in irgendeiner Bäckerei die Kunden angeblich mit Videokameras überwacht würden. Sein Jagdeifer war geweckt, und er suchte, so oft es seine Zeit und sein Gehalt zuließen, den besagten Laden auf, um dort, allen anderen Kunden aufs Freundlichste den Vortritt lassend, ja sie förmlich dazu nötigend, die Wände und Ecken nach geheimen Objektiven abzusuchen. Gefunden hat er letztlich nichts, aber eine andere Sache wurde bei dieser Recherche absolut wasserdicht: Nirgends gab es bessere Apfeltaschen!

Die erste Zeit schrieben wir manchmal vom Merkur ab: Vereinsgeschichten und so was, um uns auf diese Weise bei den Verbänden ein Entree zu verschaffen. Das heißt, direkt platt abgekupfert haben wir selbstverständlich nie, sondern die Sache schon ein wenig gedreht und gewendet. Etwa so: Wenn im Merkur stand, die Schützen von Soundso hätten die Königskette ausgeschossen, dann brachten wir am Tag danach folgende Kurzmeldung: "Bei den weitum bekannten und beliebten Schützen von Soundso wurde, wie bereits kurz berichtet, am Wochenende um die Königswürde gerungen. Den Sieg trug nach hartem, aber fairem Wettstreit der Jungschütze Sowieso davon, der auf Befragen unsererseits zugibt: Ja, von der SZ habe er schon gehört." Wir hatten damals den Standpunkt, dass eine Mitteilung, wonach das "kurz berichtet" den Merkur betrifft, unsere paar Leser nur verwirren würde.

Wann wir's geschafft hatten? Gütiger Gott, so auf den Tag genau lässt sich das nicht sagen. Einmal rieb mir eine Grafinger Trachtlerin Folgendes hin: "Oiso, für a links Blattl seids ös fei gar net so zwida." Es will mir in der Erinnerung scheinen, als ob wir damals schon erheblich weiter über dem Berg gewesen wären, als wir selber ahnten.

Hermann Unterstöger hat den Start in Ebersberg bis Juli 1979 begleitet. Anschließend wechselte er in die SZ-Zentrale, wo seine Arbeitsfelder die Seite Drei, das "Streiflicht", die glossierende Kommentierung und der Bayernteil waren. Zurzeit arbeitet er als Pauschalist für die SZ, schreibt "Streiflichter" und das allwöchentliche Sprachlabor.

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