Süddeutsche Zeitung

Phototriennale Hamburg:Antike und Arbeiterhosen

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Das Bucerius Forum zeigt eine Werkschau der suggestiven, perfekt arrangierten Fotografien von Herbert List.

Von Catrin Lorch

Auf den sanft durchgetönten, sauber kontrastierenden Fotografien versinken Muscheln wie Menschen gleichermaßen im weichen Sand, ausgeleuchtet vom hellen Sonnenschein wirken sie so präzise ausgebreitet wie auf einem Stillleben. Der Junge mit dem nackten Oberkörper scheint dagegen ganz unvermittelt vor diese Linse zu treten, er trägt eine kleine, weiße Karnevalsmaske, und für das Bild "Strandläufer Egon Bahe" (1933) hat der Fotograf seine Erscheinung technisch noch einmal verdoppelt.

Herbert List kann das: hoch aufgeladene, perfekt arrangierte Motive doch mit einer schlichten, fast kargen Anmut auf seinen Negativen einfangen. Sogar die "Wäsche im Wind" wirkt im Jahr 1934 wie zufällig entdeckt - und dennoch suggestiv. So erinnern vor allem die dunklen, endlos aufgereihten Arbeiterhosen an viele Tage, an denen sie sich vollgesogen haben mit Schmutz und Schweiß, sie hängen schwer von der Leine, obwohl der Wind sichtbar die hellen Hemden bauscht und aufbläst.

Dem jungen Fotografen Herbert List scheint die Kamera ein selbstverständlicher Begleiter zu sein. Er arrangiert Freunde in Verkleidung in fast filmischen Situationen, zeigt vor allem männliche Akte in Nahsicht, fragmentierte Körperteile, kräftige Rücken, Po und Muskeln. Spielt aber auch mit Versatzstücken einer Architekturfotografie, die mit dramatisch stürzenden Linien arbeitet, sich die Großstadt aus Straßenpflaster, Spiegelungen und Fensterfronten wie ein Kaleidoskop zusammensetzt.

Im Jahr 1903 in Hamburg geboren, ist Herbert List der Sohn einer großbürgerlichen Familie und hat nach seiner Ausbildung viel Zeit auf den elterlichen Plantagen in Süd- und Mittelamerika verbracht. Mit diesen Schwarz-Weiß-Aufnahmen etabliert er sich in der Bohème der Zwischenkriegsjahre. Angeregt durch seine Bekanntschaft mit Andreas Feininger, dem Sohn des Bauhausmeisters und Malers, beschäftigt er sich mit der internationalen Avantgarde. Der dunkelhaarige, schlanke Mann findet zudem auch schnell Anschluss, der britische Autor Stephen Spender nimmt ihn sogar als Vorbild für eine Figur seines Romans "The Temple", und List kann es sich leisten, lukrative Aufträge - als Modefotograf - spielerisch zu unterlaufen, indem er im Studio lieber kleine Tableaus inszeniert, als sich für die Mannequins und Kleider zu begeistern.

Einsame und verlorene Kulissen, die dezidiert unbelebt bleiben

Diese experimentierfreudige und ungezwungene Biografie endet, als in Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht kommen. List hat jüdische Vorfahren und ist offen schwul, er flieht nach Paris - wo er seine erste Ausstellung zeigt - und später nach London, wo er für Vogue und Harper's Bazaar arbeitet. Seinen Stil, der lose an die künstlerische italienische und internationale Avantgarde angelehnt ist, wird von Egon Vietta schon im Jahr 1942 als "Fotografia Metafisica" beschrieben. Seine eklektische Mischung - Brillengläser auf Brüstungen, Eierschalen im Sand - fügt sich gut in das surrealistische Denken der Zeit, dabei ist die Präzision und Schlichtheit auch durchaus der Neuen Sachlichkeit verwandt.

Eines seiner bedeutendsten Projekte ist dann allerdings ein Fotobuch über Griechenland, "Licht über Hellas", ein Strom aus Landschaften, antiken Stätten, Küste und Himmel. Dramatisch setzt er Skulpturenfragmente und die Trümmer der Antike zu einsamen, verlorenen Kulissen zusammen, die aber dezidiert unbelebt bleiben.

Den Krieg hindurch versteckt er sich in Deutschland und wird irgendwann mit einem obskuren Auftrag nach Norwegen geschickt, das Kriegsende erlebt er in München: "Ich habe für mich eine Serie von zerstörten Häusern in München gemacht, recht erschütternd. [...] In den Gedärmen der Häuser sieht man viel von Picasso oder Chirico plötzlich realisiert." Doch finden diese ästhetisierten Aufnahmen wenig Interesse. List bleibt zwar in München, fotografiert aber vor allem im Auftrag von Museen deren Sammlungen und etabliert sich erst langsam wieder als Redakteur bei Heute, einer von den Besatzern herausgegebenen Zeitung, und wird immerhin assoziiertes Mitglied von Magnum.

Die Ausstellung "Herbert List. Das magische Auge" im Bucerius Forum in Hamburg, seiner Geburtsstadt, ist nach langer Zeit die erste Möglichkeit, diesen Fotografen wieder zu entdecken, dessen Werk im Jahr 1976, ein Jahr nach seinem Tod, eine erste Retrospektive in der Münchner Neuen Sammlung erfahren hatte. Jetzt endlich ist das ganze Œuvre wieder zu sehen - in einem Kontext, der nicht nur den Surrealismus auch an seinen Peripherien hochschätzt, sondern auch eine Motivik, die zwischen Neuer Sachlichkeit, schwuler Fotografie und einem kargen, sehr aufrichtigen Dokumentarismus angesiedelt ist.

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