Helmut Kohl:Die letzten Dinge

Nach dem Tod des Altkanzlers beschäftigt die Republik vor allem das Hickhack um seine Trauerfeier. Staatsakt ja, nein, wo und warum nicht. Die Meinung der Leser dazu.

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SZ-Zeichnung: Michael Holtschulte

"Der halbe Staatsakt für Helmut Kohl" vom 21. Juni und "Die deutsche Macht" vom 17./18. Juni sowie weitere Artikel zum Tod des Altkanzlers:

Überbordende Symbolik

Zweifelsfrei war Helmut Kohl ein bedeutender Politiker und sicher ein bekennender Europäer. Er hat sich um Europa verdient gemacht. Aber das haben andere große Europäer auch. Denken wir an Charles de Gaulle, François Mitterrand, Giscard d'Estaing oder an andere deutsche Kanzler wie Konrad Adenauer, Helmut Schmidt oder Willy Brandt, welche sich für den Frieden und den Ausgleich der Völker Europas einsetzten. Für den einen oder anderen wäre sicher auch eine europäische Ehrung angebracht gewesen. Es kommt bei unseren französischen Nachbarn und anderen europäischen Staaten sicher nicht gut an, wenn hier wieder ein Deutscher über Gebühr hervor- und auf den Schild gehoben wird, und das mit europäischen Steuermitteln.

Das Gerangel um die Deutungshoheit von Kohls Lebenswerk und eine angemessene Ehrung zwischen den verschiedenen Lagern (Witwe, Familie, Politikern, Medien, etc.) ist unsäglich. Man kann nur vermuten, dass hier verschiedene Interessen ihr Spielchen mit dem Toten spielen, wie etwa die Witwe, die Politik (immerhin ist Wahlkampf), Jean-Claude Juncker (PR-Coup) oder der Verstorbene via Testament selbst. Auf jeden Fall haben wir es mit einer überbordenden Geschichtssymbolik zu tun, bei welcher nicht der Verstorbene im Mittelpunkt steht, sondern der Kampf um den Nutzen, den man aus dem Leben des Politikers ziehen kann. Heraus kommt dabei wahrscheinlich nur Geschichtsklitterung.

Für mich steht fest, die Wiedervereinigung ist Kohl in den Schoß gefallen. Der Preis gehört meines Erachtens Michail Gorbatschow. Von einem Erfolg würde ich nicht sprechen, wenn ich an die immensen Kosten (Soli) oder an "Dunkeldeutschland" denke. Auch die Machenschaften Kohls um den "Bimbes" oder seine Liaison mit dem rechten Ultra und Undemokraten Viktor Orbán werfen große Schatten auf den Verstorbenen.

Conrad Fink, Freiberg am Neckar

Steinmeier musste aufklären

Sie schildern, dass der verstorbene Altbundeskanzler Helmut Kohl einen Staatsakt abgelehnt habe, weil dabei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprechen würde, der im damaligen Kanzleramt eine Untersuchung wegen verschwundener Akten eingeleitet habe. Kohls Vorwurf gegenüber Steinmeier ist unberechtigt. Die Verwaltung des Kanzleramtes hatte damals erhebliche Fehlbestände in wesentlichen dienstlichen Akten des Kanzleramtes festgestellt. Die Beseitigung dienstlicher Akten ist ein erheblicher Straftatbestand. Der damalige Chef des Kanzleramtes - Steinmeier - hatte daher nicht nur die politische, sondern die rechtliche Pflicht, den Sachverhalt aufzuklären: Er beauftragte damals mich als unabhängigen Ermittler mit disziplinarrechtlichen Voruntersuchungen gegen Beamte des Kanzleramtes. Die Ergebnisse sind als Bundestagsdrucksache veröffentlicht worden.

Die Untersuchungen richteten sich entsprechend der Bundesdisziplinarordnung nicht gegen den früheren Bundeskanzler Kohl. Wir haben aber festgestellt, dass der Altbundeskanzler sein Büro seinem Nachfolger besenrein übergeben hat, obwohl er eine eigene umfangreiche Aktensammlung geführt hatte, die mit der Registratur des Kanzleramtes nicht vernetzt war. Diese Aktensammlung wurde mit unbekanntem Ziel abtransportiert. Da ihr Inhalt bis heute unbekannt geblieben ist, kann der Vorgang rechtlich nicht bewertet werden. Es bleibt nur das Bedauern, dass die Akten damit leider auch der zeitgeschichtlichen Forschung entzogen sind.

Dr. Burkhard Hirsch, Düsseldorf

Architekten Brandt und Scheel

Zwar habe ich Verständnis dafür, dass nun Helmut Kohl, nachdem er verstorben ist, gewürdigt und auch in den besten Farben sein Leben und Wirken gezeichnet wird. Aber wenn Sie zu dem Bild auf der Titelseite vom 17./18. Juni den Verstorbenen als "Architekten der Deutschen Einheit" bezeichnen, ist dies voll daneben. Die Voraussetzung dazu, dass es zu einer Entspannung zwischen Ost und West kommen konnte und damit die Grundlage für eine Verständigung geschaffen wurde, was auch Grundlage der späteren Wiedervereinigung wurde, haben andere geschaffen.

Wenn Sie den Aufbau der West-Ost-Beziehungen mit einem Hausbau vergleichen, was Sie ja mit der Bezeichnung "Architekt" tun, so heißen die Architekten Willy Brandt und Walter Scheel und nicht Kohl. Kohl und seine Partei haben ja nachweislich die Öffnung nach Osten mit allen Mitteln verhindern wollen, solange sie in der Opposition waren. Erst in der Regierungsverantwortung sind sie in die Fußstapfen der wirklichen Architekten der deutschen Einheit getreten - an erster Stelle ist da Franz Josef Strauß zu nennen, der all das, was er zuvor verteufelt hat, nun plötzlich für gut befand und großzügig Gelder in die DDR vergab und damit den Zusammenbruch des dortigen Systems um Jahre verzögerte.

Ich bin mit meinen 89 Lebensjahren durch all diese Zeiten hellwach mitgegangen und könnte viele Einzelheiten der damaligen verfehlten Politik Kohls nennen, was schließlich zu seiner Abwahl führte. Umso mehr wehre ich mich, in Anbetracht seines Todes nur Loblieder zu singen und seine vielen Fehler und Ungereimtheiten zu vergessen, auch was seine persönlichen Dinge betrifft, wie zum Beispiel die von ihm zu verantwortende Zerrüttung seiner Familie.

Werner Jung, Langen

Vorschnelle Häme

Als Kind der 70er und 80er hat mich Helmut Kohls "Anwesenheit" als Kanzler natürlich geprägt. Die große Demo in Bonn, die Menschenkette von Ulm, diverse Aktivitäten in der Friedensbewegung habe ich miterlebt und mitgestaltet, habe hämisch gegrinst über die Birne-Cartoons von Traxler und mich gefreut über Kohls Demontage während der Spendenaffäre. Wie Heribert Prantl aber in "Die deutsche Macht" richtig sagt, viele haben geirrt und vorschnell geurteilt über Kohls Art und Weise, mit der Welt umzugehen, und auch ich bedaure nun meine vorschnelle Häme.

Thomas Neckermann, Hamburg

Versöhnung als besserer Weg

Ich bin in etwa im Alter von Helmut Kohls Kindern, und meine Eltern waren in etwa der Jahrgang Kohls. Schon als Kind fragte ich mich, was für ein eingeschränktes bis privilegiertes Leben die Kohl-Kinder führten. Bei allem Respekt für Kohls politische Leistungen und Erfolge hat mich das Buch des Sohnes Walter Kohl "Leben oder gelebt werden" traurig berührt, und traurig war auch, in Randnotizen der vergangenen Jahre und Interviews der Söhne zu lesen, wie Kohls zweite Frau Maike Richter nun zur Machtquelle wurde und über Kontakte beziehungsweise Kontaktabbrüche mit Wegbegleitern und vor allem mit seinen Söhnen regierte. Schade, dass sie diesen Weg gewählt hat. Sie hätte auch für Versöhnung und Annäherung sorgen können, so wie es Kohl politisch gelang. Und schade, dass er als Vater selbst diesen Weg wählte.

Anne-Mireille Flöß, Konstanz

Schilda

Die beiden Europa-Projekte von Helmut Kohl, Schengen und der Euro, haben leider nicht zur Formung des gewünschten europäischen Bürgers geführt, sondern im Gegenteil jede Menge Schaden angerichtet. Es erinnert schon an die Bürger von Schilda, dass im Schengen-Raum die innerstaatlichen Grenzen wegfielen, ohne dass (auch 20 Jahre nach dem Abkommen) eine verlässliche europäische Grenzsicherung vorhanden wäre, geschweige denn gemeinsame Standards. Denn die Außengrenzen werden nicht europäisch gesichert, sondern national - Frontex hat nicht mehr als eine Beobachtungsfunktion -, und da steht das nationale über dem gemeinschaftlichen Interesse.

Inge Nentwich, Dießen

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