Heilpraktiker:Patienten sollen selbst bestimmen

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Berufsvertreter und SZ-Leser sind empört über den Vorschlag der Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert, das Heilpraktikerwesen abzuschaffen. Notwendig wäre eine kritische Auseinandersetzung zwischen Schul- und Alternativmedizin, meinen sie.

"Patienten vor falschen Versprechungen schützen" vom 25. August:

Zu wenig Information

Aufgrund des Selbstbestimmungsrechts darf ich als - ggf. durchaus auch irrender - Patient in jedem Stadium des Lebens jede schulmedizinisch noch so indizierte ärztliche Maßnahme ablehnen und ggf. daran sterben - aber ich soll umgekehrt die Behandlung durch einen Heilpraktiker nicht selbstbestimmt wählen dürfen!? Eine Begründung lautet: Patienten würden den Unterschied zwischen Arzt und Heilpraktiker verkennen. Nicht das, sondern eher das Gegenteil ist empirisch belegt. Die zweite: Patienten könnten - durch Heilpraktiker falsch informiert - irren. Auch das bedürfte einer empirischen Grundlage, die im Memorandum fehlt. Die Voraussetzung eines - gar nicht möglichen - Ausschlusses aller Irrtumsquellen (menschliches Umfeld, Medien, Internet, Irrende in ausnahmslos allen Heilberufen) wäre aber in der Konsequenz auch das Ende des Rechts auf Selbstbestimmung des Patienten. Wenn in einem bekannt interessengetriebenen Umfeld wie dem Gesundheitswesen ein "Rundumschlag" mit - in entscheidenden Punkten - wissenschaftlich so dünner Begründung auftaucht, wäre kritischer Journalismus dringend gefragt. Schade, dass nur Unterhaltung, nicht aber Information geboten wurde!

Matthias Haug, Tutzing

Von oben herab

In einem Stil "von oben herab" wird der eigenen Zunft die Wissenschaftlichkeit zugesprochen und anderen diese abgesprochen. Ja sogar den Patienten wird abgesprochen, das selbst entscheiden zu können. Man muss sie schützen. Auch vor den massenhaften unnötigen Operationen, der routinehaften Gabe von Antibiotika bei Erkältungen ohne Prüfung, ob überhaupt eine bakterielle Infektion vorliegt, der exponentiellen Zunahme der Ritalinverschreibungen, den Igel-Leistungen. Die Liste lässt sich weiter fortsetzen. Diese Form der Wissenschaftlichkeit über das Diktat der statistischen Untersuchungen, die zur Behandlung von Krankheiten (Disease management) und nicht zur Behandlung von Menschen führt, die interessengeleitet (Geld und kurzfristige Beseitigung von Symptomen) ist, ist dem Wohl der Patienten nicht zugetan. Wer schützt denn davor? Bestimmt nicht die Justiz. Wir haben es mit einer geschlossenen Gesellschaft von Lobbyisten zu tun, die sich der menschenorientierten medizinischen Versorgung verweigert, die sich weigert, Krankheiten im persönlichen Lebenszusammenhang zu sehen und entsprechend patientenorientiert (und nicht diagnosenorientiert zu behandeln). Warum geben Menschen für ihre Gesundheit außerhalb des Systems fast so viel aus wie innerhalb?

Dr. Urban Goetze, Bremerhaven

Unterschiedliche Ansätze

Der Streit bestimmter Gruppen der Ärzteschaft mit den Heilpraktikern wird wohl kaum jemals ein Ende finden. Er besteht, seitdem sich aus den Heilpraktikern die universitäre Ausbildung mit der Berufsbezeichnung Ärzte gebildet hat. Es sind zwei völlig verschiedene Berufe mit unterschiedlichen Therapieansätzen. Der Berufsstand der Heilpraktiker wurde durch ein EU-Urteil bestätigt. Er kann nicht abgeschafft werden. Es gibt in jedem Beruf sogenannte schwarze Schafe. Vergessen wird, dass die Krebstherapie, an denen mehrere Menschen in Nordrhein-Westfalen starben, von einem Arzt entwickelt wurde. Die Medikation wurde nach den Todesfällen etwas abgeändert. Der Arzt behandelt weiter. Unbekannt ist und wird bleiben, wie viele Krebspatienten bei ihm und anderen Ärzten mit der Therapie starben. Viel zu oft fehlt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Beruf der Heilpraktiker und den alten und neuen alternativen medizinischen Verfahren. Auch in der Hochschulmedizin ist noch nicht alles wissenschaftlich erforscht und wird sich nie ganz erforschen, beweisen lassen. Die Medizin ist und bleibt eine Erfahrungsmedizin.

Helmtrud Harnack, Heilpraktikerin seit 1979, München

Was unerwähnt bleibt

Schade, dass in dem Artikel nur auf den Tod von "mehreren Krebspatienten" hingewiesen wird, der durch eine falsche bzw. verantwortungslose Behandlung durch einen Alternativmediziner verursacht wurde. Frau Schöne-Seifert erwähnt nicht die unzähligen Krebstoten, die durch die "wissenschaftlichen Standards" der Schulmedizin zu verantworten sind, zum Beispiel weil ihr Immunsystem durch Chemotherapie komplett zerstört worden ist. Nicht erwähnt sind außerdem die teils gesundheitsschädigenden oder gar fatalen Nebenwirkungen von zugelassenen Medikamenten. So wird ein ziemlich verzerrtes Bild von Schulmedizin hier und Alternativmedizin da gezeichnet.

Martha Kellner, Gröbenzell

Die Schweizer machen es besser

Warum ist es in Deutschland so kompliziert, eine für alle vernünftige Lösung zu finden? Die im Artikel genannten Vorschläge sind allesamt inakzeptabel. Oder glauben Sie allen Ernstes, dass (z.B. ich oder andere erfolgreiche Kollegen) als seit 1994 erfolgreich praktizierender Heilpraktiker, jetzt noch mal eine neue Ausbildung beginnen würde?

Unser Nachbarland macht es vor, wie es funktionieren könnte. In der Schweiz gibt es seit 2015 einen neuen Ausbildungsberuf auf der höchsten Bildungsstufe. Damit sind Naturheilpraktiker und Körpertherapeuten integraler Bestandteil des Schweizer Gesundheitswesens. Die Ausbildungen werden sogar staatlich gefördert. In jahrelangen Diskussionen, an denen alle Beteiligten unter- und miteinander (Heilpraktiker, Therapeuten, Verbände, Krankenkassen, staatliche Behörden) an einem Tisch saßen, wurden die unterschiedlichen Standpunkte erörtert und nach einer guten Lösung gesucht.

Nicht jede Therapiemethode erfordert zur erfolgreichen Ausübung den gleichen Umfang medizinischer Ausbildung. Methoden, die sich als Ergänzung und Unterstützung zur konventionellen medizinischen Therapien sehen, benötigen andere Standards als Methoden, die eine bewusste Alternative zur klassischen Medizin darstellen. Das Ergebnis in der Schweiz: Es gibt nun zwei reglementierte Berufe: der Beruf des Naturheilpraktikers sowie der Beruf des Komplementär-Therapeuten. Diese Lösung beinhaltet, dass nun diplomierte Ausbildungen angeboten werden und dass es klare und faire Übergangsregeln für Therapeuten gibt, die schon berufstätig sind. Hilfreich ist das Demokratieverständnis in der Schweiz. Behörden sehen sich als Dienstleister für die Bürger und die Bürger verstehen sich als Staat.

Bernd Scharwies , München

Vergleichende Analyse

Frau Schöne-Seifert legt ein Schwarz-weiß-Tableau an, das mit der Realität wenig zu tun hat. Was sind denn die wissenschaftlichen Standards? Die Normwerte, die sich alle naselang ändern? Die mechanischen Verschreibungen? Husten? Mittel A, Kopfschmerzen Mittel B, Durchfall Mittel C usw. Dazu bedarf es kaum des apostrophierten angesagten ewiglangen Studiums. Auch die angesprochene Empathie macht nur einen sehr kleinen Anteil aus, wichtiger ist, dass die hochgelobte wissenschaftliche Medizin nicht helfen konnte. Darum gehen die Leute als Ultima Ratio zum Heilpraktiker. Übrigens kann ich für Köln sagen, dass die Prüfung vor dem Amtsarzt schon abfragt, ob der Kandidat die notwendigen medizinischen Kenntnisse hat. Meines Erachtens kann es nicht sein, dass, wie vorgeschlagen, der Heilpraktiker zum Hiwi der Arztes verkommt. Interessant in diesem Zusammenhang wäre mal eine Analyse, wie viele Menschen durch falschen ärztlichen Eingriff, Medikation, Operation, Fehldiagnose usw. um Leben oder Gesundheit gebracht wurden und wie viele vergleichsweise durch Heilpraktiker.

Peter Butzbach, Heilpraktiker, Köln

Neue Dimension

Die Arroganz der "Halbgötter in Weiß" ist ja schon sprichwörtlich; aber die Aussagen von Frau Schöne-Seifert stellen doch einen neuen Höhepunkt dar. Angesichts der immensen Probleme unseres klassischen Mediziner-Wesens und der ständig steigenden Zahl der "Kunstfehler" wäre Bescheidenheit angesagt, nicht pauschale Verunglimpfung eines ganzen Berufsstandes. Der Versuch seitens der Mediziner-Lobby, die ungeliebte Konkurrenz auszuschalten, ist ja nicht neu, nur die Vorgehensweise stellt eine neue Dimension dar.

Dr. Peter Michel, Grafing

Von wegen pseudo

"Erst Physiotherapeut, dann Heilpraktiker" vom 21 . August: Der sogenannte Münsteraner Kreis spricht in seinem Positionspapier von "Pseudowissenschaften" und dass ein "Hauptschulabschluss und autodidaktisch erworbene Kenntnisse" ausreichend sind, um als Heilpraktiker tätig zu sein. Interessanterweise unterrichten an der Schule, an der sich meine Tochter auf die Heilpraktikerprüfung vorbereitet, verschiedene Ärzte, Fachärzte, Professoren, Diplom-Biologen und viele mehr. Ich bin daher sehr zuversichtlich, dass dort nicht nur Pseudowissenschaften unterrichtet werden. Praktika finden auch nicht am Blocksberg statt. Ist es also die Zielsetzung dieses Papiers, mögliche Konkurrenten zu diskreditieren und vom Markt fernzuhalten?

Christoph Rheker, Erding

© SZ vom 07.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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