Hebammen:Ein einziges Dilemma

Stress und Angst schaden ungeborenen Kindern. Hebammen geben Sicherheit und sorgen für eine leichtere Geburt - weshalb ihr Fehlen dramatische Folgen hat. Die Leser sind sich einig, dass sich etwas ändern muss.

Kreissaal

SZ-Zeichnung: Till Großmann

"Schwere Geburt" vom 3. August:

Gegen die Gleichmacherei

Ich, 78, Vater von vier Kindern und acht Enkelkindern habe mit Freude Renate Meinhofs Artikel "Schwere Geburt" gelesen. Unsere Kinder sind entsprechend ihrem "Reifezustand" alle ganz verschieden und so, wie es zu ihnen passte, auf die Welt gekommen, aber alle im Krankenhaus, in dem Haus, wo ich als Arzt nahezu 40 Jahre gearbeitet habe, angefangen als Medizinalassistent, das gab es 1966 noch, bis hin zum Chefarzt einer Medizinischen Klinik und Ärztlichen Direktor des Hauses, auch das gab es noch zu meiner Zeit ohne den Nachweis einer "wissenschaftlichen" Reputation und Habilitation. Ihr Artikel spiegelt das wider, was in unserem an sich vorzüglichen Gesundheitssystem im Laufe der letzten 20 Jahre passiert ist, im Wesentlichen durch die verbindliche Einführung eines neuen Finanzierungssystems. Weg vom individuellen Kostendeckungsprinzip hin zu einer Pauschalierung durch das DRG-System. Mit der Pauschalierung des Geldes ist eine Nivellierung der Individualität der Krankenhäuser, der Patienten, - wobei zur Entbindung kommende Schwangere primär keine Patienten sind - und der Arbeit der Mitarbeiter eingetreten. Gegen die Gleichmacherei wendet sich Ihr schöner Bericht aus der "Provinz".

Dr.Wolfgang Sielemann, Bad Salzuflen

Traurige Normalität

Vielen Dank für die Reportage "Schwere Geburt"! Meine eigene Erfahrung und die meines Umfeldes wurden darin bestätigt, dass es wohl traurige Normalität ist, dass auf überfüllten Geburtsstationen Frauen in Angst allein gelassen und nur durch das CTG überwacht werden. Dann wird ihnen ein Versagen des Körpers vorgeworfen "zu wenig Wehen, kein Fortschritt" und das Kind mit Medikamenten, Dammschnitt und dem beschriebenen Kristeller-Handgriff - ergo mit Gewalt! - aus dem Körper gerissen. Die Folge sind psychische und physische Verletzungen der Frauen und unbekannte Folgen für die Kinder. Was ist das für ein System, das so wenig Respekt vor dem Beginn des Lebens zeigt? Wie der Zufall es wollte, habe ich vor drei Tagen mein zweites Kind mit der Hilfe einer Beleghebamme gebären können, die ich auch in Hamburg am Tag nach dem positiven Schwangerschaftstest anrufen musste. Ich bin ihrer Kunst äußerst dankbar, dass ich dieses Kind in einem schwierigen Prozess interventionsarm gebären konnte und zwar ohne Verletzungen an Leib und Seele. Genauso dankbar bin ich dem Krankenhaus, das als eines der wenigen, die möglichst natürliche und geborgene Geburt auch in der Praxis lebt. So sollte allerdings die Normalität aussehen.

Lisa Kühl, Hamburg

Geld, das versickert

Hier schimmert ein medizinisches und ein gesundheitspolitisches Dilemma durch: Wir selbst haben für alle unsere Kinder die Hebammenentbindung bevorzugt. Heute fehlen immer mehr jungen Eltern Mut und Unterstützung hierzu. Zudem hat die deutsche Fallpauschalenverwaltung über Vergütungsregeln die gut planbaren frauenärztlichen Tumoroperationen und den an sich teureren Kaiserschnitt privilegiert und damit die (auch nächtens und feiertäglich stattfindende) Normalgeburt inklusive Beleghebammen dirigistisch zurückgedrängt. Insgesamt sollen "Betten" und damit Fachabteilungen abgebaut werden. Folge: schlechtere Versorgung in der Fläche und weite Wege (notfalls per Hubschrauber) in hochgelobte "Zentren".

National ist die Krankheitsverwaltung und -politik in ein Netz aus Dysfunktionalitäten, Verleugnung und Ignoranz verstrickt und macht allenfalls mit eruptiven Aktionismen Stimmung. So versickern nach ausländischen Schätzungen seit Jahren knapp ein Drittel der deutschen Kassenbeiträge in der Verwaltung von Krankheit - dies ohne dass sich an den Abläufen unter dem Strich etwas verbessern würde. Das Geld fehlt für Diagnostik, Behandlung und Prophylaxe. Die freiberuflich tätigen Hebammen und Ärzte und Ärztinnen sind indes angesichts ständiger Mengenausweitung bei sinkender Vergütung erschöpft. Persönlich habe ich vor gut einem halben Jahrzehnt Konsequenzen gezogen: Ich bin aus Land und System ausgewandert.

Dr. Markus Schlittenbauer, Zürich/Schweiz

Natürlicher Vorgang

Eine wesentliche Wurzel für die Misere der Geburtshilfe sparen Sie in Ihrem Artikel aus: die Manie unserer Gesellschaft, für alle Risiken und Wechselfälle des Lebens einen Schuldigen, einen Verantwortlichen oder wenigstens einen Schadenersatzpflichtigen zu finden. Eine Geburt ist, wie Sie ganz richtig beschreiben, ein natürlicher Vorgang. Es liegt in der Natur solcher Vorgänge, dass sie nicht hundertprozentig vorhersehbar, planbar und berechenbar sind. Komplikationen kommen vor. Sie gehören zum allgemeinen Lebensrisiko. Tritt nun aber tatsächlich einmal eine solche Komplikation ein, dann ist es hierzulande leider üblich geworden, die Schuld bei der Hebamme, der Ärztin oder dem Arzt zu suchen und sie auf Schadenersatz zu verklagen. Bedauerlicherweise befeuern die Gerichte diese Tendenz noch, indem sie regelmäßig allgemeine Risiken einer Geburt der Hebamme, der Ärztin, dem Arzt oder dem Krankenhaus zurechnen und horrende Schadenersatzansprüche gewähren - vielleicht aus der fürsorglichen, aber kurzsichtigen Überlegung heraus, diese seien ja versichert und daher wirtschaftlich weniger getroffen als die Mutter und das Kind. Das führt direkt zu den negativen Folgen, die Sie in Ihrem Artikel beschreiben: Alle an der Geburtshilfe Beteiligten versuchen sich so gut wie möglich gegen eventuelle Klagen abzusichern. Deshalb findet die überwiegende Mehrzahl der Geburten im Krankenhaus statt.

Tilman Schmidt, Bonn

Nicht hinnehmbar

Als Kindermediziner möchte ich Ihnen für diesen ausführlichen, objektiven und zugleich emotionalen Beitrag sehr danken. Zeigt er doch, wie weit sich Deutschland inzwischen von einer durchgehend zuverlässigen medizinischen Versorgung verabschiedet hat. Bayern macht hier keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil. Angesicht seiner einstigen Spitzenmedizin sind die von Ihnen geschilderten geburtstraumatischen Ereignisse in und um München nicht weiter hinnehmbar. Eine wohnortnahe und für Mutter und Kind angenehme und ungefährdete Geburt ist eine wichtiges Kriterium, das die Erste von der Zweiten und Dritten Welt klar unterscheidet. Von diesen Standards haben sich die Bayerische und bundesrepublikanische Gesundheitspolitik anscheinend bereits vor geraumer Zeit verabschiedet. Auf dem Gebiet der Geburtsheilkunde und in vielen anderen Bereichen auch. Es ist noch nicht allzu lange her, da beklagten verantwortliche Politiker aller Parteien den Rückgang der Geburten und somit der Gesamtbevölkerung. Eine Ursache dafür war im Übrigen ein erheblicher Grad an Kinderfeindlichkeit in der Gesamtgesellschaft und auch in der Politik. Statt also die Rahmenbedingungen wieder kinder- und familienfreundlicher zu gestalten, wurde vielmehr der Abbau munter vorangetrieben. Kinder zu haben ist heutzutage ja bekanntermaßen ein Armutsrisiko und Handicap auf dem Wohnungsmarkt. Kinderlose Doppelverdiener mit und ohne Vierbeiner sind die ökonomischen und gesellschaftlichen Gewinner. Ein Novum ist allerdings, das gerade vom Status Ungeborenes zum Neugeborenen wechselnde frisch geborene Kind und seine Mutter einem perinatalen bewussten und politisch fahrlässig herbeigeführten Mangel und Unterversorgung auszusetzen.

Dr. Christian Deindl, Nürnberg

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

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