Hebammen:Alte Klischees und ein noch älteres Stigma

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Hebammen wehren sich, in einen Topf mit Impfgegnern geworfen zu werden. Foto: Sina Schuldt/dpa (Foto: Sina Schuldt/dpa)

In Deutschland wird Hebammen immer wieder vorgeworfen, esoterisch und impfskeptisch zu sein. Auch SZ-lesende Mediziner und Hebammen melden sich zu Wort.

„Globuli im Kreißsaal“ vom 23. November:

Ganz ohne „Schwurbel“

Ich bin selbst Hebamme, noch mit Ausbildung vor circa 20 Jahren. Jedoch arbeite auch ich evidenzbasiert und ohne „Schwurbel“. Bei uns hier - südlich von München - gibt es zum einen einige Gynäkologen und Gynäkologinnen, die vom Impfen abraten und viele andere Berufsgruppen, vor allem Heilpraktiker, die Schwangere als Markt erkannt haben und da in großem Umfang „behandeln“.

Die Hebamme als Fachkraft für Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ist hier nicht das Problem. Ich arbeite auch als Praxisanleitung mit den Hebammen-Studentinnen, die allesamt evidenzbasiert ausgebildet werden und auch so handeln. Das Arzt-gegen-Hebamme-Klischee funktioniert so nicht mehr. Arzt und Hebamme gegen andere (nicht in Schwangerschaft und Geburtshilfe ausreichend ausgebildete) Berufsgruppen heißt das neue Problem.

Barbara Vodermaier, Stephanskirchen

Erfahrungen einbeziehen

Selbstverständlich darf ein Brustabszess bei einer stillenden Frau nicht übersehen werden, und da ist der beispielhaft genannten Patientin eindeutig recht zu geben: „Geht zum Arzt!“ Allerdings gibt es auch Ärzte, die bei Schmerzen im Oberbauch einen Herzhinterwandinfarkt übersehen, und genau so gibt es vermutlich Hebammen, die nicht zwischen Milchstau und Abszess unterscheiden können. Beides darf nicht passieren.

Aber der Beitrag nimmt die Homöopathie als Methode in seine Überschrift, und dann geht es im Weiteren ziemlich wild durcheinander: Eine „homöopathische Arnika-Salbe“ hat mit korrekter Anwendung homöopathischer Globuli ebenso wenig zu tun wie „Retterspitz“. Auch das Thema „Impfen“ hat mit „Homöopathie“ zunächst nichts zu tun, auch nicht im Kontext des Kreißsaals. Denn weder Hebammen noch Ärztinnen und Ärzte sind automatisch „Impfgegner/-innen“, wenn sie Homöopathie anwenden.

Immerhin wird darauf hingewiesen, dass große Geburtskliniken gute Erfahrungen gemacht haben, wenn Hebammen Homöopathie anwenden. Das wird auch nicht durch den Hinweis relativiert, dass Homöopathie in offiziellen geburtshilflichen Leitlinien „explizit nicht empfohlen wird“. Leitlinien sollen die Entscheidungsfindung von Ärzten unterstützen, aber sie sind rechtlich nicht bindend (denn sonst wären sie Richtlinien). Die evidenzbasierte Medizin muss sich selbstverständlich auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse stützen, aber sie hat auch die Erfahrung von Ärztinnen/Ärzten und anderen therapeutischen Berufen zu berücksichtigen, also auch die Erfahrung von Hebammen. Erfahrung ist neben Wissen ein wertvoller Schatz in der Medizin.

Homöopathie oder anthroposophische Medizin wird meist in den Bereich der „Weltanschauungen“ verbannt, aber dasselbe gilt für die akademische Medizin, wenn sie sich ausschließlich auf naturwissenschaftliche Evidenz beruft und therapeutische Erfahrung geringschätzt oder gar ganz ablehnt. Auch korrekt angewandte Homöopathie ist Erfahrungsmedizin. Sie hat allerdings dort ihre Grenzen, wo die selbstkritische Reflexion bei ihrer Anwendung fehlt.

Dr. med. Ulf Riker, München

Weises Weltkulturerbe

Als ich diesen Artikel las, war ich mir nicht sicher, ob ich eine Propagandazeitschrift oder die SZ in der Hand halte: „Warum schon wieder die Hebammen“? Unser Berufsstand gehört mittlerweile zum Weltkulturerbe, im Mittelalter wurden einige von uns als Hexen verbrannt, da sie als weise Frauen der Obermacht des Klerus im Wege standen. Erst ein paar Jahrhunderte später wurde altes Wissen durch männlich dominierte Medizin ersetzt, Frauen war der Zugang dazu gesetzlich verwehrt. Die NS-Zeit hat ebenso ihren Tribut gefordert. Und bei der letzten Bundestagswahl waren Hebammen parteipolitisch angenehme Aushängeschilder für die Demonstration der eigenen Familienfreundlichkeit.

Ja, wir sind die Fürsprecherinnen der Frau. Das ist wichtig, das soll auch so bleiben. Welche Intention also verfolgt dieser Artikel? Esoterik und meinen Berufsstand in einen Topf zu werfen, finde ich nicht nur äußerst unsachlich, sondern unverschämt. Ich arbeite seit 24 Jahren in diesem sehr anspruchsvollen Beruf.

Ich stamme noch aus der akademisierungsfreien Ära der in Teilen harten Ausbildungszeit der renommierten Maiklinik der LMU München. Ich erinnere mich an tot geborene Kinder, die nicht das nötige Geburtsgewicht zur Bestattungsfreigabe hatten, oder auch an Zangengeburten, die in Teilen gravierende Verletzungen von Mutter und Kind nach sich zogen. Evidenz ändert sich stetig. Aufmerksamkeit im Kreißsaal durch Einsatz von Homöopathie? Zeitmangel durch Personalknappheit wird an der Stelle nicht durch Impfpropaganda und Wissenschaft behoben. Ein Kind in voller weiblicher Kraft zu gebären, benötigt sowohl von der Schwangeren als auch von der betreuenden Hebamme die ganze Aufmerksamkeit. Das kann und darf weder nur durch Anästhesie noch allein durch Globuli ersetzt werden.

Es gab während meiner Ausbildungszeit ohne Bachelor-Degree keine anthroposophisch angehauchten Lehrhebammen. Evidenzbasierter ist das Studium in der Tat; Quarkwickel und Retterspitz kommen dabei immer noch im Praktischen zum Einsatz. Die beschriebene Impflücke soll laut der Autorin nun also durch Bachelorhebammen behoben werden. Noch vor Corona war es unvorstellbar, Schwangere oder gar Neugeborene übermäßig zu impfen. Wenn jetzt von der Ständigen Impfkommission (Stiko) Impfresultate als nicht erfüllt verstanden werden, dann liegt das an den viel zu vielen alternativ eingestellten Hebammen?

"Alternativ" bedeutet, die Auswahl verschiedener Methoden und Möglichkeiten in Betracht ziehen zu können. Dabei darf die Eigenverantwortungspflicht des Einzelnen nicht übersehen werden. Auch die Evidenz der Wissenschaft ist oft Jahre später als nicht stimmig einzustufen, siehe Hannah-Studie zum Thema Beckenendlagengeburt. Es konnte wie über Nacht ein rasanter Anstieg der Kaiserschnittrate bei Steißlage registriert werden.

Impfunmut ist nun also auch noch uns Hebammen zuzuschreiben? Ich wehre mich gegen diese sehr stigmatisierende Zeigefingermentalität.

Astrid Sommer, Starnberg

Risiken und Nebenwirkungen

Ganz richtig wird im Artikel auf den möglichen starken Placeboeffekt von Homöopathika hingewiesen. Zum Beispiel bei Schmerzen, Angst oder Erregung. Nicht erwähnt wird, dass Schwangere und Stillende vor Verabreichung von schulmedizinischen Medikamenten regelmäßig nicht oder nicht vollständig über deren mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt werden. Im Krankenhaus beispielsweise werden Medikamente ausgeeinzelt aus Großpackungen, denen aber nur ein einziger Beipackzettel beiliegt.

Dr. med. Dieter Wettig, Berlin

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