Haute Couture:Zurück auf den Laufsteg

Haute Couture: Mode aus dem 3-D-Drucker. Die Designerin Iris van Herpen ist überzeugt, dass Technologie die Haute Couture verändern wird.

Mode aus dem 3-D-Drucker. Die Designerin Iris van Herpen ist überzeugt, dass Technologie die Haute Couture verändern wird.

(Foto: Katharina Wetzel)

Einige Designer zeigen in Paris Entwürfe aus dem 3-D-Drucker, doch der Weg ins Metaverse ist noch weit. Nach Jahren der Pandemie sehnen sich viele nur nach einem: der Renaissance der hohen Schneiderkunst.

Von Katharina Wetzel

Und, wo sind nun die Avatare? Das Handy sollte man vorbereiten darauf, stand in der Einladung für die Schau von Iris van Herpen. Doch wie? Auch die Sitznachbarin ist ratlos. So beginnt die Schau ohne Metaverse.

Man hätte es sich gut vorstellen können, dass neben den Models virtuelle Figuren in Iris-van-Herpen-Looks im Raum herumschwirren. Sichtbar durch Headsets und virtuelle Brillen. Die niederländische Designerin ist eine Vorreiterin in Sachen digitaler Haute Couture. Ihre Kreationen wirken federleicht und anmutig, auch wenn sie digital designt wurden und aus dem 3-D-Drucker stammen. Doch niemand der Gäste hat ein Headset auf, und am Ende scheint niemand einen Avatar - so werden die virtuellen Figuren genannt - vermisst zu haben.

Metaverse gilt gerade im Luxusbereich als Milliardenzukunftsmarkt, fast alle großen Modehäuser befassen sich damit. Meta-Chef Mark Zucker­berg macht kräftig für das Metaverse Werbung, da er selbst seinen Konzern zu einem umbauen will. Im Mai erst traf er ita­lie­ni­sche Modeschöpfer, darunter Brunello Cucinelli und Diesel-Gründer Renzo Rosso.

"Eine inspi­rie­ren­de Dis­kus­si­on über die Meta-Future", schrieb Rosso anschlie­ßend und pos­te­te das Grup­pen­fo­to auf Insta­gram. "Der Hype um das Metaverse geht weiter", heißt es auch im jüngsten State of Fashion, einem Bericht von McKinsey und dem Branchendienst Business of Fashion. Dem Bericht zufolge dürften führende Modeunternehmen bis 2030 ihre Investitionen in Technologie voraussichtlich von 1,6 bis 1,8 Prozent des Umsatzes auf 3,0 bis 3,5 Prozent steigern. Der Umsatz von Modemarken könnte durch Produkte und Services rund um das Metaverse in den kommenden zwei bis fünf Jahren um bis zu fünf Prozent gesteigert werden.

Ziel ist es, gerade jüngere kaufkräftige Kunden, die viel Zeit im Netz verbringen, auch an die Luxusmarken heranzuführen. Mit Blick auf den lukrativen Onlinespielemarkt erhoffen sich Konzernchefs nun ebenso kräftige Umsätze mit virtueller Mode. Denn schließlich will der High-Fashion-Kunde ja nicht nur in der realen Welt, sondern auch im Metaverse, der virtuellen Welt, gut gekleidet sein. So die Hoffnung. Doch was bedeutet das nun für die hohe Schneiderkunst? Wird Haute Couture bald ein Computerprodukt?

Iris van Herpen ist überzeugt, dass die Digitalisierung die hohe Schneiderkunst weiterentwickeln wird. Ihre Inspiration fand die Designerin, die schon seit Jahren in der Branche für ihre technischen Innovationen gefeiert wird, jedoch bei Ovids Metamorphosen. Der römische Dichter hat diese vermutlich um das Jahr 1 n. Chr. bis 8 n. Chr. geschrieben.

Auch Yuima Nakazato ist überzeugt, dass die 3-D-Drucktechnologie die hohe Schneiderkunst revolutionieren wird. Der junge japanische Designer beeindruckte mit seiner Schau erneut die Kritiker. Doch auch er setzt auf ein physisches Defilee und lässt seine Models durch eine meeresblaue Berglandschaft ziehen. Von Metaverse also keine Spur.

Haute Couture: Der junge japanische Designer Yuima Nakazato begeistert mit Roben, die teils mit 3-D-Drucktechnologie gefertigt wurden.

Der junge japanische Designer Yuima Nakazato begeistert mit Roben, die teils mit 3-D-Drucktechnologie gefertigt wurden.

(Foto: Katharina Wetzel)

Die Pariser Haute Couture, die vergangene Woche stattfand, hat eine erlesene Kundschaft. Vielleicht ein paar Hundert oder Tausend weltweit, die sich Kleider für fünf- bis sechsstellige Beträge leisten. In den Pariser Ateliers von Chanel und Dior werden Roben von Hand gefertigt - in Tausenden Arbeitsstunden mit Federn, Steinchen und Pailletten besetzt und kreativen Mustern bestickt. Die Kundschaft will genau das: die große Handwerkskunst, individuell zelebriert. Warum sollte ein Computer dies so einfach ändern können?

Welche Maschine zaubert so elegante und glamouröse Roben wie der libanesische Designer Elie Saab, der nun auch für Männer Haute Couture entwirft? Welcher Rechner inszeniert eine Schau so beeindruckend wie Stéphane Rolland, der auf die Bühne des Théâtre du Châtelet einlud und am Ende der Schau den Vorhang in den prächtigen Theatersaal von 1862 öffnete?

Haute Couture: Couture mit viel Volumen: Stéphane Rolland beeindruckt mit seinen Roben im Théâtre du Châtelet.

Couture mit viel Volumen: Stéphane Rolland beeindruckt mit seinen Roben im Théâtre du Châtelet.

(Foto: Katharina Wetzel)

Wer sich die Schauen auf der Pariser Haute Couture ansieht, dem wird schnell klar: Bis zum Metaverse ist es noch ein weiter Weg. Auch wenn sich einige Marken technisch-innovativ zeigen. Balenciaga-Designer Demna etwa, der derzeit wie kein anderer die Haute-Couture-Szene aufwirbelt, nutzte die 3-D-Drucktechnik für die Schulterpolster in seinen schwarzen Ganzkörper-Neopren-Anzügen.

Haute Couture: Niemand verzichtet auf eine physische Veranstaltung. Hier eine Robe von Alexis Mabille.

Niemand verzichtet auf eine physische Veranstaltung. Hier eine Robe von Alexis Mabille.

(Foto: Katharina Wetzel)

Alle Designer legen bei ihrer Schau, dem wohl wichtigsten und teuersten Marketinginstrument, jedoch großen Wert auf eines: den persönlichen Kontakt. Niemand verzichtet auf eine physische Veranstaltung. Der Name auf der Einladungskarte von Georges Hobeika oder Rahul Mishra: selbstverständlich von Hand geschrieben. Die Wände des Dior-Pavillons im Garten des Musée Rodin: mit meterhohen Stickereien bedeckt.

Insbesondere die Dior-Schau ist eine einzige Ode an die Natur und die Handwerkskunst, inspiriert von der ukrainischen Künstlerin Olesia Trofymenko. Ihr Motiv des Lebensbaums findet sich in Stickereien auf den Roben wieder.

Haute Couture: Chanel-Kreativdirektorin Virginie Viard zeigt ihre Haute Couture Entwürfe für Herbst / Winter in einer im Siebzigerjahre-Stil dekorierten Kulisse.

Chanel-Kreativdirektorin Virginie Viard zeigt ihre Haute Couture Entwürfe für Herbst / Winter in einer im Siebzigerjahre-Stil dekorierten Kulisse.

(Foto: Katharina Wetzel)

Brauchtum und Folklore hier, Nostalgie dort: Chanel etwa lädt in einen im Siebzigerjahre-Stil dekorierten Pavillon und verteilt am Ende Schallplatten des Musikers Sébastien Tellier - ganz analog. Nicht als Stream verschickt, sondern verpackt in einer Chanel-Papiertüte.

Haute Couture: Dem Designer-Duo Viktor & Rolf geht es um Frauenrechte. Die meterbreiten Kragen lassen sich mit wenigen Handgriffen zu einem gerafften Look verwandeln.

Dem Designer-Duo Viktor & Rolf geht es um Frauenrechte. Die meterbreiten Kragen lassen sich mit wenigen Handgriffen zu einem gerafften Look verwandeln.

(Foto: Katharina Wetzel)

Die Designer Viktor Horsting und Rolf Snoeren demonstrieren ihr Handwerk sogar auf dem Laufsteg und zeigen, wie sich aufgeplusterte, meterbreite Kragen mit wenigen Handgriffen verwandeln lassen. Und bei vielen Schauen wie etwa Giorgio Armani Privé oder Giambattista Valli kommen die Gäste auch, um am Ende dem Designer persönlich zu applaudieren.

Haute Couture: Hohe Schneiderkunst: Lang anhaltenden Applaus erhielt Giorgio Armani für seine Privé-Kollektion.

Hohe Schneiderkunst: Lang anhaltenden Applaus erhielt Giorgio Armani für seine Privé-Kollektion.

(Foto: Johanna Geron/Reuters)

"Echte Luxusmode kann - wie guter Sex - nur live bewusst wahrgenommen werden", schreibt Godfrey Deeny, Chefredakteur von Fashion Network. Nach Jahren der Pandemie sehnen sich viele eben nicht nach einem Livestream, sondern nach dem persönlichen Erlebnis, die Sitzreihen sind gefüllt wie vor Corona.

Auch LVMH-Chef Bernard Arnault filmt bei Fendi kurz eine Sequenz und legt das Handy dann beiseite. Die eleganten Glitzerroben von Fendi sind zwar aufgrund der Transparenz wohl nur auf erlesenen Partys tragbar - doch Haute Couture ist eben dafür da.

Haute Couture: Transparente Glitzerroben von Fendi: Haute Couture ist für besondere Anlässe da.

Transparente Glitzerroben von Fendi: Haute Couture ist für besondere Anlässe da.

(Foto: Katharina Wetzel)

Designer Daniel Roseberry, dessen Vater Pfarrer war, leitet seine beeindruckende Schiaparelli-Schau mit einem Kirchenglockenläuten ein - was dann folgt, ist eine Hommage an Elsa Schiaparelli. Perfekt inszeniert, jeder Look ist auf den Punkt gebracht.

Haute Couture: Perfekte Inszenierung: Die Schiaparelli-Schau von Daniel Roseberry im Musée des Arts Décoratifs ist eine der gelungensten.

Perfekte Inszenierung: Die Schiaparelli-Schau von Daniel Roseberry im Musée des Arts Décoratifs ist eine der gelungensten.

(Foto: Katharina Wetzel)

Sein Thema: Renaissance, die Wiedergeburt. Passend dazu hat das Musée des Arts Décoratifs die sehr empfehlenswerte Ausstellung "Shocking" über Elsas Werk eröffnet. Auch Jean Paul Gaultier feiert seit einigen Saisons eine Art Renaissance. Immer wieder interpretiert ein anderer Designer die DNA des Hauses. Dieses mal ist Balmain-Designer Olivier Rousteing dran. Und begeistert die JPG-Fans mit neu entworfenem Madonna-Kegel-BH und einer Version für Schwangere. Besser hätte es JPG auch nicht machen können.

Haute Couture: Balmain-Designer Olivier Rousteing begeistert die JPG-Fans mit einem neu entworfenem Madonna-Kegel-BH.

Balmain-Designer Olivier Rousteing begeistert die JPG-Fans mit einem neu entworfenem Madonna-Kegel-BH.

(Foto: Katharina Wetzel)

Die Zuschauer im Saal jubeln, vor dem Gebäude hat sich eine Menschenmenge gebildet, auf Bildschirmen an der Außenfassade des Firmensitzes wird die Schau live übertragen. Die Rue Saint-Martin wurde dafür eigens gesperrt. Es ist eben Haute Couture.

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