Hartz IV:Fördern, fordern, scheitern - und nun?

SPD und Grüne wollen das System Hartz IV hinter sich lassen, die CDU und Vertreter der Wirtschaft warnen davor. Eine Leserin betont, wie unsinnig die Jobcenter oft vorgingen. Ein anderer hofft auf einen radikalen Neubeginn.

"Contra: Hartz IV abschaffen" vom 21. November:

Auch sozial Schwache zahlen mit

Endlich beschäftigt sich einmal jemand mit den Zahlern, und nicht nur mit den Empfängern! Henrike Rossbach hat das völlig richtig dargestellt. Es gibt viele Menschen, die morgens sehr früh aufstehen oder nachts arbeiten oder am Wochenende etc., die kaum mehr verdienen, als ein ALG-II-Bezieher bekommt (nämlich wenn man Miete, Heizung etc. zu den Regelsätzen dazurechnet) Sie müssen bereits im sehr niedrigen Lohnsektor Steuern und immer auch Sozialabgaben zahlen, mit denen andere unterstützt werden. Und keiner fragt sie danach, ob sie Lust haben oder nicht.

Ich habe oft mit Hartz-IV-Beziehern zu tun: Nein die meisten haben sich nicht darin eingerichtet und würden gerne herauskommen von der Abhängigkeit eines Jobcenters, das mehr Bürokratie verursacht, als man sich vorstellen kann. Ob die Sanktionen in die richtige Richtung führen, kann man diskutieren, mindestens genauso aber auch die (teilweise mangelnde) Bereitschaft von arbeitsfähigen Leistungsbeziehern (hier eher bei jüngeren Menschen), auch unbequeme Arbeiten anzunehmen.

Statt Hartz IV abzuschaffen, wäre es vielmehr nötig, die Maßnahmen der Jobcenter zu Bewerbungstrainings, Fortbildungen, Umschulungen etc. sehr kritisch zu hinterfragen. Dort wird so viel Unsinn produziert, nur um sagen zu können, man tue etwas, dass einem Steuerzahler Angst und Bang werden kann. Aber es gibt keine Möglichkeiten, halbtägige reguläre Ausbildungswege zu beschreiten, weil das Jobcenter nur eine Vollzeitausbildung fördert.

Es ist richtig, jedem Menschen ein Dasein zu ermöglichen, bei dem man nicht bettelnd auf der Straße stehen muss. Und ja, Kinder müssen besonders gefördert werden. Wie hoch dafür der monatliche finanzielle Bedarf ist, wird sicher immer wieder diskutiert werden müssen. Aber dabei diejenigen aus den Augen zu verlieren, die das Ganze bezahlen und dafür viel arbeiten müssen, ist eine Missachtung ihrer Leistung. Man kann locker sagen, Hartz IV muss weg, die Leistungen müssen höher sein. Wohltaten versprechen sich leicht und mit anderer Leute Mitteln kann ich sie problemlos verteilen. Was sagen aber diejenigen, die die Leistungen für andere erbringen, nicht selten für Familien, bei denen noch nie eine einzige Person einen eigenen Beitrag in die Sozialkassen geleistet hat?

Ich hoffe, Sie bleiben weiterhin an diesem Thema dran. Es wird höchste Zeit, dass die Berichterstattung ausgewogener wird.

Babina von der Heydt, Wernau

Schnappatmung der Mitte

Schon lange habe ich mich nicht mehr so über einen Artikel in der SZ geärgert wie über den Kommentar "Paradies auf Erden" (16. November). Grünen-Chef Robert Habeck schlägt eine "Sicherungsgarantie" vor, und postwendend heißt es: Populismus! Ich habe kein Problem damit, wenn man den Grünen heute Opportunismus vorwirft. Aber jetzt kommt von den Grünen endlich einmal ein Vorstoß, der die Grausamkeiten von Gerhard Schröders Agenda-Politik mildern und das Leben für viele ein bisschen verbessern möchte - und schon bekommt die bürgerliche Mitte Schnappatmung.

Habecks Schuss könnte nach hinten losgehen, meint Constanze von Bullion: Wer durch staatliche Transferleistungen Demokratie-Feindschaft bei sozial Abgehängten verhindern möchte, übersieht, dass es Feinde der Demokratie gibt, die genug Geld hätten. Hier würde Habecks "Wundermittel" keine Abhilfe schaffen. Das soll ein Argument sein? Lachhaft! Außerdem könne man nicht sicher sein, dass die Arbeitslosen immer noch bereit wären, "das Beste aus sich herauszuholen", wenn sie nicht mehr regelmäßig im Jobcenter strammstehen müssten. Als sei das noch nicht genug, behauptet die Autorin, die grün-soziale Anwandlung sei bloß ein Lockmittel. Man wolle den Menschen "das Paradies auf Erden" versprechen. Weil daraus ja leider nichts werden könne, gebe es dann am Ende nur noch mehr Feinde der Demokratie. Wie war das? Die Armenfürsorge in einer der reichsten kapitalistischen Gesellschaft soll ein klitzekleines Stück weniger jämmerlich gestaltet werden - und das nennt man dann "Paradies auf Erden" und "staatliche Rundumversorgung"? Da bleibt mir das Lachen im Halse stecken.

Prof. Gerhard Schweppenhäuser, Veitshöchheim

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