Hans-Jochen Vogel:Trauer um ein Vorbild

Mit Wehmut verabschieden Leserinnen und Leser einen großen SPD-Mann, ehemaligen Bundesminister und Münchner Oberbürgermeister. Gäbe es noch mehr wie ihn, herrschte nicht Politikverdrossenheit, heißt es in einem Brief. Andere nennen den 94-jährig verstorbenen Vogel in einem Zug mit Willy Brandt.

Hans-Jochen Vogel: Mann mit Prinzipien und vorbildlicher Sozialdemokrat: Münchens Alt-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (1926-2020).

Mann mit Prinzipien und vorbildlicher Sozialdemokrat: Münchens Alt-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (1926-2020).

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Zu "Der Mann, der Vorbild sein wollte" vom 27. Juli:

Weisheit und Wehner

In dem Nachruf steckt viel Weisheit und Wehmut: Wo sind sie hin, die Straußens, Wehners, Vogels und mit ihnen die politische Tugend des gegebenenfalls auch streitbar dem Staat Dienens und nicht sich selbst? Als ebenfalls "bekennender christkatholischer Mensch" und Mitglied der SPD zünde ich eine Kerze in der Kirche unseres Münsteraner Stadtteils an, zum Gedenken. Möge uns Hierseitigen noch das eine oder andere Licht in seinem Sinne aufgehen.

Dr. Thomas Dirksen, Münster

Führen heißt dienen

"Man predigt mit seiner eigenen Lebensführung mehr als mit Worten", diese Maxime des mit 94 Jahren verstorbenen Hans-Jochen Vogel sollte jeder Politiker beherzt vorleben. Die Politikverdrossenheit wäre wie weggeblasen. Führen heißt dienen. Anstand und Moral vorleben. Wie weit sind wir davon entfernt! Diese Werte dürfen mit ihren Protagonisten nicht mitsterben!

Harald Dupont, Ettringen

Stolz, Sozialdemokratin zu sein

Mit "Ich bin stolz, Sozialdemokratin zu sein" hat uns Renate Schmidt nach dem Tod von Hans-Jochen Vogel im Radio aus dem Herzen gesprochen. Er selbst hat nicht gesagt, vielleicht noch nicht einmal gedacht, was in jüngerer Zeit wohl mit dem Stolz passiert ist und wie lange der nach seinen Ären in den unterschiedlichen Ämtern eigentlich noch vorhanden war. Doch, wir wollten Vogel schon immer wieder lesen und hören, seinen Rat, seine Mahnungen, Warnungen und Analysen, das schon. Auf Willy Brandts Worte und Taten schauen wir ja eher sentimental zurück, doch auch in seinem Fall ist der Kontrast zur Führung der Partei im Jahr 2020 krass. Wir sehen ein arg erkaltetes, beinahe gleichgültiges Verhältnis zwischen Basis und Spitze. Erst recht, nachdem Vize Kevin Kühnert die SPD seinerzeit beim Schaulaufen der Kandidaten durchaus noch ein bisschen hätte retten können.

Angelika Boese, München

Gerecht

Ein großer, ehrlicher, gerechter Text für einen großen, ehrlichen, gerechten Mann - danke! Peter Maicher, Zorneding

Freunde der Präzision

Heribert Prantl berichtet in seinem Artikel über die große Wertschätzung, die Hans-Jochen Vogel der "Heiligen Nacht" von Ludwig Thoma entgegenbrachte. Als Mitglied der Menzinger Sänger, die die Lesungen auf der Tuften (Ludwig Thomas Haus am Tegernsee, das sich im Eigentum der Stadt München befindet; d. Red.) über 30 Jahre musikalisch umrahmten, habe ich dies oft aus der Nähe erlebt, wenn der Alt-OB dort zu Gast war. Dabei war es ihm besonders wichtig, dass die jeweiligen Leser Thomas mitunter schwieriges Bairisch fehlerfrei vortrugen. Er hatte dafür gewissermaßen eine Prüfliste, auf der drei Punkte standen. Da war zunächst die Aussprache des Wortes "Katekisimus" (Katechismus). Dieses Wort kam bereits im ersten Hauptstück vor. Wenn das korrekt ausgesprochen wurde, war die erste Hürde schon genommen. Wesentlich schwieriger war da schon der Satz "Da legt's enk ös eini a' d'Mitt" bei der Unterbringung des heiligen Paares im Stall (viertes Hauptstück). Besonders wichtig aber war Hans-Jochen Vogel die Aussprache des Namens Josias. Das ist der hartherzige Verwandte bei der Herbergsuche (drittes Hauptstück). Wie zum Beispiel Fritz Straßner war Vogel der Ansicht, der Name sollte auf der ersten Silbe betont werden. Gerd Anthoff dagegen war der Meinung, eine Betonung auf der zweiten Silbe wäre richtig. Nach einer der Lesungen kam es darüber zu einem regelrechten Streitgespräch, gegen dessen Ende Vogel verkündete, dass er sich bei der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt erkundigen würde. Dann werde man ja sehen. Im Jahr darauf trug Vogel das Antwortschreiben der Akademie schon vor sich her, als er die große Stube auf der Tuften betrat. Er teilte den Anwesenden mit, dass die Akademie sich zwar nicht sicher war, zu seinem Leidwesen jedoch die Betonung auf der zweiten Silbe favorisierte (ähnlich wie bei Messias oder Matthias). Ich selber bin allerdings mit Vogel der Meinung, dass Ludwig Thoma den Namen auf der ersten Silbe betont wissen wollte. Bei Sätzen wie "Zum Josias genga ma nei'!" oder "Bei'n Josias enta da Bruck!" stimmt das Versmaß nur, wenn der Josias vorne betont wird.

Peter Igl, München

Handgeschrieben

Eine Erinnerung an meine "frühere Jugend": Anfang der 1960er Jahre. Schwabing, Clemensstraße. Plauderrunde mit einer älteren Dame, unserer Gastgeberin. Sie kümmert sich um Nachbarschaften, auch um die kleinen Probleme im Viertel wie Lärm und Müll, wie Hundehaufen und Löcher im Bürgersteig. Sie hat einen persönlichen Brief an den Bürgermeister geschrieben und einen handgeschriebenen Brief als Antwort bekommen. Stolz und große Anerkennung. - Das hat vor 60 Jahren meine Sympathie für Hans-Jochen Vogel begründet und seither aufrecht erhalten. Grüße nach München und an die Süddeutsche Zeitung!

Dr. Bernhard K. Dold, Bremen

Münchner, natürlich

"Dabei war er gar kein Münchner und auch kein Bayer", schreiben Sie. Auf derlei Feststellungen pflegte meine Oma zu sagen: "Wenn a Katz im Hennastoi Junge kriagt, san des no lang koane Henna.". Und Vogel sagte zum gleichen Thema, dass drei von vier seiner Großeltern Bayern seien und dass ein im Kuhstall geborenes Fohlen, deshalb trotzdem keine Kuh sei. Münchner ist, wer hier lebt und sich so fühlt, einerlei, ob er aus der Oberpfalz kommt (wie Heribert Prantl), aus Wanne-Eickel oder aus Gabun. Und das ist auch gut so.

Renate Seitz, München

Anstand und Gewissen

Vielen Dank für den Nachruf auf Hans-Jochen Vogel von Heribert Prantl, der fundierteste und einfühlsamste von vielen meiner Meinung nach, der dem Politiker und Menschen Vogel gerecht wurde. Eine Anmerkung sei zu den immer wieder gern zitierten "Tugenden" Vogels wie Fleiß, Pünktlichkeit und Korrektheit erlaubt. Diese Eigenschaften sind wichtig und sind doch "Sekundärtugenden", wie es ein anderer namhafter SPD-Politiker mal richtig gesagt hat, wenn sie nicht mit den wichtigeren "Tugenden" einhergehen wie Moral, Anstand und ethisches Gewissen. Dass Vogel auch sie zu seinen Tugenden zählen durfte, machte ihn erst zu einem großen Menschen und bedeutenden Politiker. Dieses "das gehört sich nicht" und "das tut man nicht" als Selbstverständlichkeit und eiserne eigene Lebensregel zu beachten, vielleicht auch manchmal bis hin zur Übertreibung oder gar Selbstgefälligkeit, ist unter Politikern selten geworden. Angela Merkel verkörpert es noch, bei allen Fehlern, die auch sie macht. Und dass Vogel bei allem Hang zum "Oberlehrer", der ihm auch nachgesagt wurde (er fand das immer noch besser als "Feldwebel"), bis ins hohe Alter die Jugend und nachfolgende Generationen nie verächtlich von oben herab ansah und behandelte, unterschied ihn von so manchen anderen SPD-"Autoritäten". Und last, but not least, war der aus Göttingen stammende Münchner Oberbürgermeister und bayerische SPD-Vorsitzende ein Preuße der positiven Art nach dem urpreußischen Motto, das in Politikerkreise nicht mehr selbstverständlich ist: "Mehr sein als scheinen."

Wilfried Mommert, Berlin

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