Wohnungsmarkt in Hamburg:Grünes Versprechen

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Parkanlage an der Alster. Bis zu 40 Prozent der Landesfläche könnten unbebaut bleiben.

(Foto: Henning Angerer/Imago/Hoch Zwei Stock)

Hamburg hat als erste Stadt eine Bestandsgarantie abgegeben: Es wird kräftig gebaut, aber Parks bleiben. Könnte das ein Vorbild für andere Kommunen werden?

Von Sabine Richter

Hamburg soll eine grüne Stadt bleiben, trotz Bevölkerungswachstum und ambitionierten Wohnungsbauzielen. Im "Vertrag für Hamburgs Stadtgrün" hat sich der Hamburger Senat zusammen mit Behörden, Bezirken und öffentlichen Unternehmen zu einem umfassenden Schutz seiner Grünflächen verpflichtet. "Damit soll sichergestellt werden, dass die Stadt nicht zulasten des Grüns wächst", so Umweltsenator Jens Kerstan von den Grünen.

Erstritten hat die deutschlandweit einmalige Bestandsgarantie der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) mit seiner Volksinitiative "Hamburgs Grün erhalten". Binnen weniger Monate hatten die Naturschützer mehr als 23 000 Unterschriften gesammelt.

Offensichtlich hat der Nabu den Nerv vieler Hamburger getroffen, die immer lauter dagegen protestieren, dass ihr Grün in Betongold verwandelt wird. Nachdem sie sich mit der rot-grünen Rathaus-Mehrheit auf einen Kompromiss verständigt hatte, hatte die Volksinitiative 2019 ihre Forderungen zurückgezogen. Die Bürgerschaft beschloss einen 20-Punkte-Katalog zum Grünerhalt.

Jedes Jahr sollen 10 000 neue Wohnungen errichtet werden

Dem nun geschlossenen Vertrag zufolge wird nach Angaben der Umweltbehörde sichergestellt, dass künftig mindestens zehn Prozent der Landesfläche unter Naturschutz stehen und der schutzbedürftige Anteil der Landschaftsschutzgebiete sowie des Biotopverbunds bei 18,9 Prozent beziehungsweise 23,2 Prozent der Landesfläche bleibt.

Umweltsenator Jens Kerstan sprach von einem respektablen Versprechen: "Wenn man das grob zusammenfasst, dann gehen wir in Richtung 40 Prozent der Landesfläche, wo der Senat garantiert, dass das nicht bebaut wird, sondern grün bleibt". Das gebe es bislang in keiner anderen Großstadt in Deutschland. Zudem werde der Schutz des grünen Netzes mit seinen zwölf Landschaftsachsen, zwei grünen Ringen, gesamtstädtisch bedeutsamen Grünverbindungen und öffentliche Grün- und Erholungsanlagen umgesetzt.

Vielen kommt das wie eine Quadratur des Kreises vor. Denn der Senat will, besser muss, an seinem ehrgeizigen Wohnungsbauprogramm mit 10 000 neuen Wohnungen pro Jahr festhalten. Denn die Stadt wächst. Ironischerweise wurde die Neuauflage des "Bündnis für das Wohnen", das die Wohnungsbauziele festschreibt, und der "Vertrag für Hamburgs Stadtgrün" auf der selben Senatssitzung am 22. Juni entschieden.

Wie also sollen Wohnungsbau und Grünschutz zusammen realisiert werden, und das in einem Stadtstaat wie Hamburg?

"Potentiale für den Wohnungsbau gibt es genug", meint Hamburgs Nabu-Vorsitzender Malte Siegert. Die Stadt müsse sie nur heben. Große Reserven lägen etwa entlang der Magistralen. Nach Ansicht von Fachplanern hätten diese Hauptverkehrsachsen Potenziale für mehr als 120 000 neue Wohnungen. Und auch auf dem Gebiet des Hamburger Hafens, dessen Wachstumsperspektiven endlich seien, dürften künftig große Flächen für den Wohnungsbau frei werden, so Siegert.

Laut Umweltbehörde werden bestehende Baurechte durch den Vertrag nicht tangiert. Sollten Flächen im Grünen Netz dennoch bebaut werden, müsste Hamburg den Grünverlust an anderer Stelle durch Flächenkauf kompensieren. Dafür stehen pro Jahr acht Millionen Euro zur Verfügung.

"Obwohl einige Ergebnisse hinter dem zurückbleiben, was wir mit der Bürgerschaft beschlossen hatten, sind wir insgesamt zufrieden mit dem Vertrag. Das ist eine echte Chance für eine dauerhafte Stärkung von Natur und Artenschutz im urbanen Raum", sagt Malte Siegert. Das Personal in der Verwaltung sei mit jetzt 60 Stellen erheblich aufgestockt worden, die finanziellen Mittel für praktischen Naturschutz seien auf fünf Millionen Euro pro Jahr verzehnfacht worden.

Der Linken-Umweltexperte in der Hamburgischen Bürgerschaft, Stephan Jersch, sieht das kritischer und nannte den Vertrag einen Sieg des Konjunktivs und der Ausnahmeregelungen. "Weder bekennt sich der Senat zu einem Stopp weiterer Versiegelungen, noch ist er in der Lage zu definieren, welche Ausnahmen er bei Versiegelungen zulassen wird". Es sei zu befürchten, dass sich der Flächenhunger des Senats nun ungehemmt außerhalb des zweiten Grünen Rings austoben werde.

Der Chef des Hamburger Mietervereins, Siegmund Chychla, befürchtet steigende Wohnungsengpässe: "Der Preis ist hoch, jetzt wird es drauf ankommen, wie die Realität aussieht, etwa ob eine geschickte Nachverdichtung gelingt". Jeder Neubau werde nun noch schwieriger durchzusetzen sein als bisher schon. Auch jedem, der schon eine Wohnung hat, müsse klar sein, dass seine Miete ohne Wohnungsneubau absehbar unbezahlbar wird.

Ähnlich äußert sich die Wohnungswirtschaft: "Bezahlbares Wohnen und Klimaschutz müssen zwei gleichberechtigte Ziele von Politik sein", sagt Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen. Vereinbarungen, die einseitig zu Lasten des Baus bezahlbarer Wohnungen und der Stadtentwicklung gehen, lehne man aber ab. "Wenn dringend benötigter Neubau behindert wird, führt das am Ende zu höheren Mieten. Das bedeutet auch, dass die Stadt nicht umhinkommt, in angrenzenden Peripherien zu wachsen." Nur mit Verdichtung allein sei das Wachstum der Stadt nicht zu schaffen.

Das Hamburger Modell könnte eine gute Blaupause für andere Großstädte sein, meint Malte Siegert. Da, "wo entweder über die Volksgesetzgebung das Mittel der Volksinitiative genutzt wird oder wo progressive Städte selbst die Bedeutung von Stadtgrün für Klima, Artenvielfalt und Lebensqualität sehen. Die Menschen merken das vor allem wegen der Überhitzung, die zukünftig zu deutlich mehr gesundheitlichen Problemen führen wird."

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