Süddeutsche Zeitung

Hamburg:Was macht einen Hanseaten aus?

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Hamburger sind weltgewandte Bürger. Doch oftmals ähnelt die Welt auch der Provinz, in der zu viel geredet wird, wenn man besser geschwiegen hätte.

Zu "Hanseaten" vom 11./12. Dezember:

Vom Nicht-Sagen

Für mich ist dieses Interview eine kleine Wiederentdeckung - auch meiner Vergangenheit. Mein frühester Kinderglaube, in meinem Blut steckt doch noch etwas von der Hanse oder gar vom Störtebeker, war schnell ausgeträumt. Aber seit diesem Aufwachen ist eine Frage geblieben: Was ist eigentlich ein Hanseat?

Und das facettenreiche Interview gibt die geniale Antwort: ein Hanseat - ein undefinierbares Bauchgefühl. Im Interview wird aber auch analytisch festgestellt: Helmut Schmidt ist einer - und Olaf Scholz ist keiner. Hierzu muss mein Bauchgefühl unbedingt auch was sagen. Ich sag es gern undiplomatisch: Ein Hanseat ist eigentlich ein Pfeffersack: Je weniger Pfeffer im Sack, desto mehr - und je mehr, desto weniger wird darüber geredet. Und immer dann, wenn ich zum Beispiel jemanden höre, den und den kenne ich gut, und den kenne ich ganz ..., dann zählt mein Bauchgefühl die Säcke im Depot. Und jetzt zu den beiden Kanzlern: Beide sind keine Pfeffersäcke. Aber das Nicht-darüber-Reden und die erstaunlich wenigen, aber ausgewogenen Worte von beiden zeigen, dass sie es sind.

Und jetzt wird es kritisch: Wenn einer in der Gunst einen schlechteren Listenplatz hat, dann entscheidet das Bauchgefühl über den Ausschluss des einen oder des anderen. Und da steckt in diesem Interview, aus meiner Sicht, der Wurm drin. Ich glaube, ein klassischer Hanseat würde hier nie urteilen: Der kann es und der kann es nicht. Er würde allein durch sein Nichtssagen viel mehr sagen.

Stephan Hansen, Ergolding-Piflas

Wie in der Provinz

Es ist schon rührend zu lesen, wie wenig sich die Denk- und Verhaltensweisen dieser vornehmen, auf ihre Abstammung, ihre Grandezza und Weltläufigkeit so stolzen Kreise vom Gebaren der Geschäftsleute einer beliebigen deutschen Kleinstadt unterscheiden. Adorno hat Provinzialität als die Unfähigkeit bezeichnet, sich von seiner Herkunft zu lösen. Ein guter Anlass, an ihn zu erinnern und lächelnd festzustellen, wie aktuell er immer noch ist.

Sabine Ketterer, Freiburg

Historische Auslassung

Als gebürtiger Bremer habe ich das Interview mit Interesse gelesen. Während die Vergangenheit der Familie da beleuchtet wird, wo man renommieren kann, fällt auf, dass die Zeit des Nationalsozialismus nicht erwähnt wird, wie so bei vielen Familien. So ist bekannt, dass in München in den sogenannten vornehmeren Vierteln der Anteil der NSDAP-Wähler höher war als anderswo (Geschichtswerkstatt Neuhausen).

Und in Bremen wurde bei einer alten, ebenfalls aus den Niederlanden stammenden Familie des Großbürgertums zum 50. Geburtstag im Jahr 1933 das Geburtstagsgedicht nach der Melodie des Horst-Wessel-Liedes ("Die Fahne hoch", Hymne der NSDAP) gesungen. Hierzu passt ins Bild, wenn Alfred de Chapeaurouge Mitglied des "Stahlhelms" war und damit NSDAP- und SA-Mitglied nach deren Zwangsvereinigung (vergleiche Wikipedia).

Thomas Topp, München

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Quelle:
SZ vom 28.12.2021
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