Süddeutsche Zeitung

Hambacher Forst:Wenn die Natur schreien könnte

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Nach der Gerichtsentscheidung für einen vorläufigen Rodungsstopp im Hambacher Forst feiern Leser die jungen Menschen, die sich dafür eingesetzt haben. Und fragen: Hätte man das nicht schon früher haben können?

" Happening für Hambi" vom 8. Oktober sowie "RWE darf Hambacher Forst nicht roden" und " Runter vom Baum" vom 6./7. Oktober:

Ruß in den Gletschern

Was für ein Glück, dass es in Deutschland noch Idealisten gibt, die Bäume als etwas Lebendiges schützen, ihr Leben einsetzen für den Erhalt eines uralten Waldes, der nicht schreien kann, wenn die Säge kommt. Da wurden Frauen und Männer von Polizisten wie ein Sack Kartoffeln über den Boden geschleift, weil ein Milliardenkonzern unbedingt den Wald beseitigen will, um dessen Kohleschatz auszubeuten. Richter schauten dem Treiben zu, Politiker schauten weg, bis endlich einem Gericht die Weisheit in den Kopf kam, erst mal zu stoppen. Ein Mensch kam zu Tode, aber auch Bäumen wurde der Tod gebracht. Hat die Natur keine Chance mehr in Deutschland? Verdienen sich manche Leute eine goldene Nase durch Naturvernichtung, jede Minute und jeden Tag? Und ändert sich nicht in erschreckendem Maße die Landschaft durch immer mehr Menschen?

Das trockene Jahr 2018 als Warnung wird zu den Akten gelegt. Und in der Arktis lagert Ruß in den Gletschern, wie deutsche Forscher kürzlich dokumentierten. Ein Griff in die Spalten und volle Hände dicker schwarzer Ruß. Wie kommt der Ruß zu den Inuit? Dadurch schmilzt das Eis noch schneller und die Großmächte werden Kriege führen, um dieses Land auszubeuten. Merkwürdig nur, dass der Autoverkehr in Deutschland am Pranger steht, aber sich niemand um den Flugverkehr kümmert. Für zehn Euro nach Mallorca? Gehts noch?

Wir alle haben die Bodenhaftung verloren, Konsum um jeden Preis, bis das Wasser aus der Arktis zu uns kommt. Wer baut dann die nächste Arche?

Erika Lutz, Grafing

Arbeiter als Faustpfand

Wo verantwortungslose Manager und überforderte Politiker versagen, muss der umsichtige und verantwortungsbewusste Bürger handeln. Mit Hilfe von Gerichten werden dann habgierige Manager und unmoralische Politiker in ihre Grenzen verwiesen, wie nun auch im Fall des Hambacher Forstes: Unvermögende Politiker werden von der Bevölkerung entmündigt, und das ist auch gut so. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik ist kein Geschenk, es wird ihr nur auf Zeit geliehen.

Versagt haben in erster Linie der Ministerpräsident von NRW und sein Innenminister Reul, der die Entscheidung des OVG Münster begrüßen müsste, da dieses seiner Empfehlung, bei Gerichtsurteilen das Rechtsempfinden der Bevölkerung zu beachten, nachgekommen ist. Der Empfehlung, das Rechtsempfinden der Bevölkerung zu beachten, sollten er und seinesgleichen beherzigen, zum Beispiel beim Dieselskandal, dem Missbrauch durch die Kirche oder der Finanzkrise. In anderen Ländern werden solche Verbrecher verurteilt, in Deutschland aber geschont oder sogar aufgepäppelt. Man muss eben der richtigen Gesellschaftsschicht angehören!

Der NRW-Ministerpräsident hat seine Chance, Bürgernähe zu zeigen, nicht genutzt und versteckte sich hinter juristischen Ausflüchten, um RWE dienstbar zu sein. Nicht nur er, sondern auch RWE-Manager und der Betriebsrat zeigten sich verantwortungslos: RWE-Manager benutzten ungeniert ihre Arbeiter als Faustpfand, und diese ließen sich das gefallen. Wie wenig Selbstachtung haben der Betriebsrat von RWE und die Gewerkschaft Verdi? Als würde einen Manager der Fortbestand von Arbeitsplätzen interessieren! Wäre dem so, würden diese progressiv (fortschrittlich) agieren und nachhaltig in die Zukunft investieren - aber das mindert den Profit.

Herbert Derksen, Kleve

Besser langfristig denken

Es geht nicht um das Waldstück selbst, denn Bäume und Wälder können nachwachsen. Man könnte RWE verpflichten, als Ausgleichsmaßnahme bereits ausgebeutete Braunkohleflächen wieder aufzuforsten. Es geht auch nicht um doktrinäre Rechtssicherheit, einseitig für Wirtschaftsgiganten: Wie die Geschichte zeigt, war Rechtsprechung stets abhängig von den Machtverhältnissen. Es geht um den klimaschädlichen Verlust, der dem ökonomischen Gewinn durch die Verbrennung von besonders "dreckiger" Braunkohle gegenübersteht. Die NRW-Regierung muss abwägen, ob ihr kurzfristige Vorteile bei Energiegewinnung und Arbeitsplatzsicherung (für die Dauer einer Legislaturperiode) wichtiger sind als schwer umkehrbare, langfristige Nachteile durch Klimaschädigung.

Es ist darüber hinaus das Problem der Konservativen: Was Neues, oder weiter so auf den Schultern der Linken und deren Fehlentscheidungen (Agenda 2010 oder hier 2016 Sicherung der RWE-Arbeitsplätze zu Lasten der Umwelt). Ministerpräsident Armin Laschet scheint vergessen zu haben, dass die populäre, gewerkschaftsfreundliche Braunkohleentscheidung Hannelore Kraft und ihrem rot-grünen Bündnis nicht zum Machterhalt verholfen haben.

Dr. Dietrich W. Schmidt, Stuttgart

Kundgebungen für den Frieden

Ich bin begeistert über den großen Erfolg der Kundgebungen gegen die Abholzung des Hambacher Forsts. Aber ich frage mich: Wann gibt es endlich mal solche Kundgebungen angesichts der von der Nato geschürten Kriegsgefahr? Der Frieden und gute Zusammenarbeit mit Russland sind noch wichtiger.

Hans-Ulrich Bünger, Freudenstadt

Warum nicht früher?

Wie veralbert müssen sich die Polizeibeamten fühlen, die in den vergangenen Wochen im Hambacher Forst ihren Kopf hingehalten haben, um "Recht und Ordnung" durchzusetzen, mit allen Nebenwirkungen. Auch der Bürger fühlt sich veralbert durch das OVG Münster, das plötzlich mit einem Rodungsstopp "aus dem Wald kommt", warum nicht sechs Wochen früher? Jetzt wird der Forst wieder besetzt und Baumhäuser errichtet. Ob die kleinen Fledermäuse, veralbert, jetzt nicht lieber ins Sauerland emigrieren werden, wird ein Richter fachkundig und gerichtsfest in zwei Jahren feststellen. Ich stehe da, veralbert, und sehe, der Vorhang fällt und alle Fragen offen.

Dr. Ulrich Wettmann, Freiburg

Firmen beim Umbau helfen

Es ist schon grotesk: Während der Wald unter Stürmen, Trockenperioden und Schädlingsbefall leidet und stirbt, werden diejenigen kriminalisiert, die sich für dessen Erhalt einsetzten. Um das einmal einzuordnen: In den 70er-Jahren wurde durch das Preisdiktat der Opec Europas Abhängigkeit vom Öl bewusst. Man reagierte mit Sparen und Ausbau eigener Energiequellen, insbesondere der Kohle. Dabei war viel Druck im Kessel. Vielen Älteren werden die autofreien Sonntage noch in Erinnerung sein. Hausbesitzer wurden enteignet, ganze Dörfer umgesiedelt.

Heute stellt sich eine andere Situation dar: Durch Klimawandel ausgelöste Veränderungen und Katastrophen zwingen dazu, den Kohleabbau zu beenden. Die Verbrennung von Braunkohle gilt als klimaschädlichste Variante der Stromerzeugung. Stattdessen wird der Ausbau regenerativer Energien vorangetrieben. Mangels Speichertechnik müssen dabei die natürlichen Schwankungen von Sonnen- und Windenergie durch (Gas-)Kraftwerke ausgeglichen werden, die schnell zu- und abschaltbar sind. Kohlekraftwerke können auch das nicht (was uns die CO₂-Bilanz trotz Umstellung weiter verhagelt).

Anstatt also den schädlichen Kohleabbau unter sehr teuren staatlichen Schutz zu stellen, wäre es meines Erachtens besser, Wälder, die nicht mehr abgeholzt werden müssen, an das Land zurück zu übereignen und den Firmen bei der Umstellung auf zeitgemäße Energiegewinnung zu helfen.

Torsten Grawe, Bonn-Bad Godesberg

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Quelle:
SZ vom 11.10.2018
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