Süddeutsche Zeitung

Haftungsrecht:Privilegierte Gutachter

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Gerichtliche Gutachter haften nur, wenn sie "vorsätzlich oder grob fahrlässig" ein unrichtiges Gutachten abgegeben haben. "Leichte" Fahrlässigkeit dagegen wird - entgegen allgemeiner Rechtsgrundsätze - verziehen.

Zu der gegen Ende des Artikels "Schmerzensgeld" vom 9. März angesprochenen Haftung der betroffenen Psychiaterin sind aus rechtlicher Sicht einige Anmerkungen angebracht. Zunächst ist es jedenfalls nicht völlig zutreffend, dass es eine Verurteilung eines psychiatrischen oder psychologischen Sachverständigen wegen eines grob fahrlässigen (nicht, wie es in dem Beitrag heißt, "angeblichen") Falschgutachtens zu Schmerzensgeld "in der deutschen Rechtsprechung noch nicht gegeben" habe. Hingewiesen sei immerhin auf ein Urteil des OLG Nürnberg vom 2. März 1988 (9 U 779/85), in dem ein psychiatrischer Sachverständiger zu einem Schmerzensgeld in Höhe von seinerzeit 30 000 Mark verurteilt wurde. Wichtiger ist in diesem Zusammenhang etwas anderes: Mehrmals wird in dem Artikel auf den Aspekt der "groben Fahrlässigkeit" der Falschbegutachtung hingewiesen. Diese trockene juristische Terminologie lässt den damit betroffenen und geradezu spannenden Hintergrund der deutschen Rechtsgeschichte nicht erkennen. Damit ist ein über anderthalb Jahrzehnte sich hinziehendes Gerichtsverfahren angesprochen, das ebenfalls eine Schmerzensgeldforderung gegenüber einem gerichtlichen Sachverständigen der Psychiatrie (dem seinerzeitigen Direktor der Psychiatrischen und Neurologischen Universitätsklinik der FU Berlin) betraf. Es ist als sogenannter Weigand-Fall und die "Schande von Münster" in die Geschichte des Haftungsrechts eingegangen und zum rechtlich wohl bedeutendsten Fall der Haftung gerichtlicher Sachverständiger geworden. Nur bei Kenntnis dieses Justizdramas wird die Formel von der "groben Fahrlässigkeit" verständlich.

Im Mittelpunkt standen eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 1973 und ein Urteil des darauf reagierenden Bundesverfassungsgerichts von 1978. Vor einiger Zeit hat der Gesetzgeber mit einer gesetzlichen Neuregelung von 2002 dieses verfassungsgerichtliche Richterrecht in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt (Paragraf 839a BGB). Dort steht nun, dass der gerichtliche Sachverständige nur haftet, wenn er "vorsätzlich oder grob fahrlässig" ein unrichtiges Gutachten erstattet. Es handelt sich dabei bereits um eine haftungsrechtliche Privilegierung des Sachverständigen, der für "leichte" Fahrlässigkeit, abweichend von allgemeinen Rechtsgrundsätzen, nicht haften soll. Dies sollte die in "Unruhe" geratende "Zunft der Gerichtspsychiater" jedenfalls bedenken. Der BGH wollte den Sachverständigen 1973 sogar nur (!) für Vorsatz haften lassen. Diese völlig verfehlte Position hat das Verfassungsgericht dann zu Recht korrigiert und eine Haftung für grobe Fahrlässigkeit für unabdingbar gehalten. Der Gesetzgeber hat sich nun dem Gericht angeschlossen.

Manche Angehörige einer älteren Generation mögen sich noch an die Wogen erinnern, die der "Weigand-Fall" in der Republik verursacht hat. In der Süddeutschen Zeitung kommentierte vor fast genau fünfzig Jahren am 31. Januar 1965 Dr. Ernst Müller-Meiningen jun.: "Wir wollen dem Ergebnis des Prozesses nicht vorgreifen. Aber es ist wieder einmal sinnfällig geworden, wie leicht man Unbequeme auf dem Weg über das Irrenhaus zur Strecke bringen kann." Prof. Reinhard Damm, Bremen

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SZ vom 27.03.2015
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