Süddeutsche Zeitung

Grundrechte:Mehr auf Vernunft und Verantwortung setzen

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Mit Mundschutz in die Kirche und nicht singen: Selbst für seltene Gottesdienstbesucher waren solche Corona-Auflagen zu viel. Einige Leser appellieren, mehr auf soziale Kontrolle und Eigenverantwortung zu setzen.

Zu " Singen verboten" vom 2./3. Mai:

Heribert Prantl schildert in dem Artikel sehr treffend, welche nie da gewesenen Einschränkungen von Grundrechten auftraten, auch noch existieren und welche Gefahren dadurch drohen. Die dadurch hervorgerufene Beklemmungsangst teile ich. Das Fazit: " Können Betroffene nicht selbst über ihren Schutz entscheiden?" Leider nicht: da der Schutz des Einzelnen vom Verhalten der anderen abhängt. Die berühmte Kehrseite der Medaille. Sonst könnte man das Rasen in Städten erlauben. Es braucht ja keiner auf die Straße zu gehen, dann passiert auch nichts - der Vergleich mag überspitzt sein, soll die Lage aber verdeutlichen.

Klaus Buck, Mechernich

Besonders bemerkenswert fand ich den Gedanken, dass es höchste Zeit ist, neben täglichen Kennzahlen zum Infektionsgeschehen auch täglich Kennzahlen zum Status der Grundrechtsbeschränkungen zu publizieren. Sollte die SZ den Gedanken umsetzen, würde sie der Diskussion über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen einen großen Dienst erweisen. Auch könnte hiermit der Gefahr begegnet werden, dass einmal erlassene Beschränkungen aus dem Blick verloren gehen und Teil einer "neuen Normalität" werden.

Ein Vergleich der Statusunterschiede zwischen den Bundesländern würde die politisch Verantwortlichen dazu zwingen, unterschiedliche Beschränkungen in ihren jeweiligen Bundesländern deutlich mehr als bisher begründen zu müssen. Die vielfach gepriesenen faktenbasierten politischen Entscheidungen könnten so künftig auf einer Basis beruhen, die nicht mehr hauptsächlich die virologischen Risiken berücksichtigt.

Martin Baumann, München

Warum sollten wir in der Kirche bei diesen Abständen und Lufträumen nicht auch ein Lied singen dürfen? Immer noch finde ich es schrecklich, dass bei Beerdigungen so brutale Beschränkungen bestehen, dabei wäre gerade am Friedhof viel Platz in freier Luft - und Masken haben wir auch! Immer die Angst vor Leichtsinn und Unvernunft der Menschen - diese Demütigungen kann ich nur noch sehr schwer aushalten!

Das berühmt gewordene Lokal in Ischgl wird auch gerne gleichgesetzt mit allen Restaurants und jeder denkbaren Unvernunft der Menschen - eine brutale Einstellung! Normalerweise gehen wir in ein Lokal, um genussvoll zu essen und zu trinken. Das ist ganz anders bei einem Après-Ski-Lokal - und war anders, als man noch nichts von so einer Ansteckungsgefahr wusste! Aber solange man für alle Gastronomie- und Hotelbetriebe das Gleiche befürchtet und die Menschen so zwangsweise gängelt, zeigt das wenig Achtung vor Vernunft und Verstand und Verantwortungsgefühl der Menschen! Da hätte man doch sogar auch etwas auf "soziale Kontrolle" durch jeweils andere vertrauen können!

Josef Schwarzenböck, Sankt Wolfgang

Wie schade, dass die Kirchen gerade ihre älteren Mitglieder - eben die Risikogruppe - nicht ermuntern, in den Gottesdienst zu kommen. Denn die Verhaltensmaßnahmen in den Gottesdiensten - von Herrn Prantl mit unnötiger Spottlust aufgezeigt - dienen dem größtmöglichen Schutz der Besucher und können so Teilhabe am sozialen Leben gerade auch für ältere Menschen ermöglichen. Mut zur Einladung zu Gottesdiensten, das wünsche ich den Kirchen!

Dr. Irene Leschinsky-Mehrl, München

Die Bundesregierung und die Landesregierungen sahen sich im März vor die Entscheidung gestellt, entweder ohne weiteren Verzug drastische Maßnahmen zu verhängen oder einer exponentiellen Ausbreitung der Infektionen zuzuschauen. In den anderen großen europäischen Ländern passierte das Gleiche. Einzig in Ostasien gab es mit Südkorea und Taiwan zwei demokratische Länder, die nicht von dem Geschehen überrumpelt wurden, weil sie sich rechtzeitig und wirksam auf den Ausbruch einer Seuche vorbereitet hatten.

Ich finde es insgesamt relativ akademisch, der deutschen Politik im Nachhinein vorzuhalten, sie hätte, als ihr angesichts rasant steigender Zahlen kaum noch anderes übrig blieb, trotzdem nicht einfach aus der Hüfte schießen dürfen. Es gibt Situationen, in denen es besser ist, irgendwie zu handeln, als gar nicht. Dass sich unsere Politiker getraut haben, weitreichende Entscheidungen zu treffen, lässt mich nicht an unserer Demokratie zweifeln. Im Gegenteil.

Axel Lehmann, München

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Quelle:
SZ vom 26.05.2020
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