Große Koalition:Weiter so - mit Unbehagen

Mit 56 Prozent hat der außerordentliche Parteitag der SPD Koalitionsverhandlungen mit der Union zugestimmt - nicht gerade eine überwältigende Mehrheit. Dieses Ergebnis spiegelt sich auch in den Leserbriefen wider. Aber auch die Union wird kritisiert.

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(Foto: dpa)

"SPD ringt sich zu einem Ja durch" vom 22. Januar, "Was eine neue Groko bringen würde" vom 20./21. Januar, "Profil Kevin Kühnert" vom 19. Januar, "Sondierung beendet, Streit beginnt" sowie "Hin- und Her-Schulz" vom 15. Januar und weitere Artikel zu Sondierungen und SPD-Parteitag:

Wo bleiben das S und das C?

Anstatt endlich unser Staatswesen wieder sozialer zu gestalten, geht es weiter wie gehabt. Bei einem Bruttoverdienst von 120 000 Euro soll es fast 2400 Euro Entlastung geben, bei zwei Kindern? Das ist fast das Vierfache, was ein Kleinverdiener mit zwei Kindern bekommt, bei einem Jahreseinkommen von 22 000 Euro. Ja geht's noch? Wo bleiben das S und das C bei diesen kläglichen Rest-Volks-Parteien. Dr. Steffen Wander, Berlin

Wähler hat nichts mehr zu sagen

Bei der Bundestagswahl 2017 haben etwa zehn Millionen Wähler der SPD ihre Stimme gegeben. Beim SPD-Parteitag und Mitgliederentscheid zur großen Koalition dürfen etwa 0,5 Millionen SPD-Mitglieder über den weiteren Kurs bestimmen. Das heißt, 95 Prozent der SPD-Wähler haben nichts mehr zu sagen. So sieht das Demokratieverständnis der SPD aus! Ich denke, dass sich diese 9,5 Millionen Wähler bei der nächsten Wahl daran erinnern werden. Günter Schmitz, Gerlingen

Die CDU erklärt sich nicht

Bei den Sondierungsgesprächen zwischen CDU und SPD spielte die von der SPD geforderte Bürgerversicherung eine gewichtige Rolle. Die CDU war vehement gegen diese Versicherung, ohne jedoch zu sagen warum. Diese Haltung hat System bei dieser Partei. Während des vergangenen Wahlkampfes spielte die Verbesserung und Sicherung der Renten eine Rolle, die CDU schwieg auch dazu. Wolfgang Reinhart, der Fraktionsvorsitzende der CDU im Landtag von Baden-Württemberg, verweigert die Auskunft darüber, warum die CDU gegen ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen ist.

Eine Partei, die zu aktuellen Themen schweigt, hat keine Argumente und disqualifiziert sich dadurch selbst. Die CDU spekuliert wohl darauf, dass die Bürger ihr das nachsehen, nur weil sie sich an erster Stelle christlich nennt. Sie sollte sich nicht täuschen, denn die Zeit der Obrigkeitshörigkeit in Untertanenmentalität ist längst vorbei. Heinz Heckele, Rottweil

Mageres zum Wohnungsbau

Sehr zutreffend stellt Cerstin Gammelin im Artikel "Der Rahmen stimmt" vom 17. Januar das Für und Wider der Sondierungsvereinbarung dar. Insbesondere die mageren Aussagen zum Wohnungsbau sind angesichts der dort bestehenden drängenden Probleme ein Desaster. Das Sondierungsergebnis täuscht darüber hinweg, dass ab 2019 kein sozialer Wohnungsbau mit Hilfe des Bundes mehr möglich ist.

Gammelin meint, das Kapitel Europa sei eine Lösung. Weshalb dies der Fall sein soll, lässt sie aber leider offen. Seit Jahren schon wird in der EU daran gearbeitet, die Daseinsvorsorge in Deutschland, ebenso wie den Service public in Frankreich, zu demontieren, weil man in ihnen ein Hindernis für den Wettbewerb und das Beihilfeverbot sieht. Vielleicht meint die Autorin, dass das Sozialstaatsprinzip und die Daseinsvorsorge in einem vereinten Europa ohnehin keine Rolle mehr spielen wird? Oder meint sie, dass es jetzt nicht mehr auf bundesweit, sondern auf europaweit gleichwertige Lebensverhältnisse ankommt, sodass wir erst mal die Daseinsvorsorge in Osteuropa stützen sollten? Vielleicht wäre ein bisschen mehr Offenheit gegenüber dem Bürger angebracht? Dr. Dagmar Raschke, Berlin

Beispiel Frankreich

Deutschland braucht endlich Reformen und kein Weiter so, wie in den vergangenen zwölf Jahren - dazu gehören auch die Bürgerversicherung, der Umweltschutz, eine Steuer- und Rentenreform, die Digitalisierung, Leiharbeit usw. - und keine bloßen Reförmchen. Bei den bisherigen Verhandlungen habe ich nur Sesselkleber und Postenschacherer gesehen. Ich glaube, viele Wähler sehen das genauso. Es wird Zeit, dass die alte Riege abtritt und den Jungen Platz macht - dass es geht, sieht man doch am Beispiel Frankreich. Heinrich Seelke, Schwechat/Österreich

Respekt zurückverdienen

Die SPD, insbesondere die Jusos, scheinen verzweifelt darüber zu sein, gegen wen sie ihre Wut und Verbitterung richten sollen - etwa gegen die Wähler, die ihnen keine Stimme gegeben haben, gegen die FDP, die sie indirekt in die jetzige Lage gebracht hat, gegen die eigenen Parteimitglieder oder gar den Bundespräsidenten, ihren Parteifreund, der an die staatspolitische Verantwortung appelliert hat?

Mag der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert auch eloquent und selbstbewusst sein, an Frank-Walter Steinmeier traut er sich nun doch nicht heran. Was liegt da näher, als Angela Merkel zum Feindbild zu erklären? Dies wäre vielleicht noch hinnehmbar, wenn es nicht so schlicht, abgedroschen und arrogant wäre. Der Wähler erfährt erst jetzt von Kühnert und Gleichgesinnten, dass sie auch bei einem besseren Wahlergebnis nicht mit der Union hätten koalieren wollen. Warum wurde dies nicht vor der Wahl gesagt? Etliche SPD-Wähler sind wohl bei der Bundestagswahl einen Kompromiss eingegangen und wähnten ihr Votum bei der SPD - vielleicht nur ein wenig, aber immerhin besser aufgehoben als bei einer anderen Partei.

Sollten Teile der SPD nun etwa selbst nicht kompromissbereit sein? Bei potenziellen Neuwahlen sähe ich keinen Grund, meine Stimme einer Partei zu geben, die diese nicht zu schätzen und konstruktiv zu verwerten weiß. Die koalitionsabgeneigte Basis sollte sich den Respekt des Wählers zurückverdienen, indem sie der Parteiführung folgt, nicht weil diese die besseren Sozialdemokraten wären, sondern weil sie vielleicht doch differenzierter, tiefgründiger und auf Grund ihrer Erfahrung staatspolitischer denken. Lisa Teipel, Troisdorf

Die SPD redet sich selbst schlecht

Meines Erachtens werden die Ergebnisse der Sondierung von CDU/CSU und SPD insgesamt zu wenig positiv gesehen. Richtigerweise steht nämlich erstmals angesichts der Herausforderungen der Globalisierung die Europapolitik an oberster Stelle. Die Vorschläge einer großzügigen finanziellen Beteiligung Deutschlands und eines europäischen Währungsfonds werden Europa (und damit auch Deutschland) künftig stärken. Auch die pragmatischen Vereinbarungen zum Umgang mit Migration haben das Potenzial, die so häufig beklagte Spaltung der Gesellschaft zu überwinden. Diesem Ziel dienen auch die vereinbarten zahlreichen sozial- und steuerpolitischen Punkte, angefangen von der Einführung einer Grundrente und der wieder paritätisch zu finanzierenden Krankenversicherung über das Absenken des Soli bis hin zu Verbesserungen bei der Ganztagsbetreuung von Kindern und der Pflege alter Menschen. An all diesen Vereinbarungen, die auch geeignet sind, der politisch linken und rechten Seite das Wasser etwas abzugraben, hat die SPD maßgeblichen Anteil. Aufgrund der föderalen Verfasstheit der Bundesrepublik hätte die SPD vermutlich auch in einer Alleinregierung im Bund nicht mehr durchsetzen können.

Es ist deshalb umso unverständlicher, dass nun die Fehler des Wahlkampfs wiederholt werden. Anstelle die Erfolge hervorzuheben, werden die Ergebnisse der Sondierung von einzelnen Politikern und Landesverbänden schlecht geredet. Diese Miesepetrigkeit und der Eindruck mangelnder Geschlossenheit werden bei den Wählern nicht ohne Folgen bleiben, sodass der SPD wie so vielen anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa weitere Marginalisierung droht. Und wohl wieder wird die SPD mit erheblichen Selbstzweifeln in eine Koalitionsregierung einsteigen. Anstatt mit Tatkraft und Optimismus die Zukunft zu gestalten, um so die Wähler in künftigen Wahlen zu überzeugen. Robert Aigner, Landshut

Merkels Verantwortungslosigkeit

Altbundespräsident Richard von Weizsäcker erkannte: "Die Parteien machen sich den Staat zur Beute." Diese jetzige, dem Wähler nicht mehr vermittelbare Regierungsbildung, bestätigt in noch größerem Ausmaß sein Wissen, seine Erfahrung. Der wahre Skandal ist letztendlich Angela Merkels Verantwortungslosigkeit gegenüber uns, dem Souverän - nicht nur der Hin-und-her-Schulz. Aus Gründen ihres Machterhalts mutet sie uns eine Regierungsbildung mit der SPD zu. Eben dieser Partei attestierte sie bereits am Abend der Bundestagswahl "Regierungsunfähigkeit über Jahre hinaus". Für Unionsfraktionschef Volker Kauder sollte es "nach der Wahl 2017 nie mehr eine Groko" geben. Dies ist schlimmste Wankelmütigkeit im Sinn der eigenen Egos.

Merkel ist verpflichtet, Deutschlands Belangen erste Priorität einzuräumen, wie Bildung und Forschung, Soziales, Rente, Arbeit, Pflege, Finanzen, Steuern, Gesundheit. Denn nur ein gesundes, intelligentes Deutschland kann ein Garant für Europa sein. Brigitte Simon, München

Unverfrorenheit ganz oben

Bundestagswahl 2017: Seehofers CSU minus 10,5 Prozent, Merkels CDU minus acht Prozent, Schulz' SPD minus fünf Prozent. Woher nehmen die Verantwortlichen die Unverfrorenheit weiterzumachen? In meiner Jugend gebot es die Selbstachtung, nach solchen Niederlagen zurückzutreten. Wohin sind wir gekommen? Halten sich die Verantwortlichen für unersetzlich, die Jüngeren für unfähig, die Geschicke in die Hände zu nehmen? Seehofer hat seine häufigen Kehrtwendungen immer damit begründet, dass man auf die Meinung der Wähler achten müsse. Warum respektiert er die Wähler-Entscheidung bei der Bundestagswahl nicht? Während sich die ganze Welt über Donald Trumps Absicht, das Klima-Abkommen aufzukündigen, empört, streicht Merkel das Klimaziel, ihr bisher größtes Anliegen. Bei einer Analyse des äußerst dürftigen Ergebnisses der Sondierungsgespräche liegt der Schluss nahe, dass es den Verhandlungsführern nur um die Rettung ihrer Köpfe / Positionen ging. Wer wundert sich da noch über Politikverdrossenheit? Fred Th. Loos, Muhr am See

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