Robert Habeck:Das moralische Einmaleins in Berlin

Robert Habeck: Ex-Staatssekretär Patrick Graichen und Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Ex-Staatssekretär Patrick Graichen und Wirtschaftsminister Robert Habeck.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Habecks Energie-Staatssekretär Patrick Graichen zieht Konsequenzen aus der Trauzeugenaffäre und tritt zurück. Was bedeutet das für den Minister und die Grünen?

"Und jetzt: Zurück an die Arbeit" vom 19. Mai und "Ganz normaler Filz" vom 2. Mai:

Entlassung überfällig

Die Entlassung von Staatssekretär Graichen war überfällig. Der Vorwurf der Vetternwirtschaft ist gravierend. Das Geflecht der Grünen mit NGOs, Klima- und Umweltschutzorganisationen ist schwer durchschaubar und bedarf einer gründlichen politischen Aufklärung. Die "Graichens" in dieser Republik sind mitschuldig an dem erodierenden Staatsvertrauen vieler Bürger. Anstatt strafrechtliche Tatbestände zu prüfen, schickt man Habecks Staatssekretär auf Kosten des Steuerzahlers in vorzeitigen Ruhestand. Viel mehr kann man den arbeitenden Bürger nicht vor den Kopf stoßen.

Ich verstehe Medien nicht, die dem ideologisch fundamentalistischen Teil der Grünen, allen voran Baerbock, Lang, Hofreiter, Schulze und Trittin eisern die Stange halten, statt sich als Anwalt der Normalbürger zu betätigen. Habecks Heizungsgesetz ist ein Aberwitz und muss verhindert werden. Habeck ist innerhalb seiner Partei selbst ein Getriebener. Im Grunde ist er ein Realpolitiker mit einem Gespür für pragmatische Politik zum Wohle der Mehrheit der Bürger und bei den Grünen fehl am Platz. In seiner Funktion als Wirtschaftsminister hat uns Habeck energietechnisch gut durch den langen Winter gebracht. Das verdient Anerkennung.

Alfred Kastner, Weiden

Persönliche Verquickung

Für politisch relevante Positionen in den Spitzen der Berliner Ministerien und Bundesinstitutionen kommen nicht viele einschlägig qualifizierte Personen infrage. Es ist nicht auszuschließen, dass solche Personen sich auch privat nahestehen. Und dass im engeren Umfeld des ersten grünen Wirtschaftsministers etliche Personalentscheidungen so gefallen sind, wie es im Sinne grüner Programmatik opportun erschien, ist in sich keineswegs verwerflich.

Wahrscheinlich wäre auch die Wahl des neuen Dena-Geschäftsführers vertretbar gewesen. Umso bedauerlicher, dass Staatssekretär Patrick Graichen anscheinend das Gespür für persönliche Verquickungen gefehlt hat, mit denen er sich angreifbar machen konnte. Trauzeuge des höchsten Beamten gewesen zu sein, darf natürlich kein Karrierehindernis sein. Durch Herrn Graichens Ungeschicklichkeit ist es jetzt leider so. Die Glaubwürdigkeit des Auswahlverfahrens ist nur wiederherzustellen, wenn bei der nun anstehenden Überprüfung nicht dasselbe Ergebnis herauskommt.

Axel Lehmann, München

Warum sagt es ihm keiner?

Fast zeitgleich zur Causa Graichen versuchte Verkehrsminister Wissing, die frei gewordene Stelle des Geschäftsführers der Autobahn GmbH mit einem altgedienten niedersächsischen Parteifreund zu besetzen. Ohne Berufungsverfahren. Der zuständige Aufsichtsrat verhinderte dies. Was zeigt, dass Vetternwirtschaft im politischen Berlin Alltag ist. Es kommt nur darauf an, es geschickt zu tarnen. Das hat Herr Graichen nicht getan.

Es ist einfach dumm, als Mitglied einer Findungskommission seinen Trauzeugen in ein hohes Amt hieven zu wollen. Wenn Herrn Graichen die Problematik seines Handelns nicht bewusst war, hätte nicht jemand aus dem politischen oder persönlichen Umfeld zu ihm sagen sollen: Patrick, du kannst nicht leitend in der Berufungskommission sitzen, die entscheidet, ob dein Freund und Trauzeuge Chef der Deutschen Energiekommission wird. Das geht nicht. Halt dich da offiziell raus. Ansonsten ist die mögliche Berufung untragbar. Das hat offensichtlich niemand getan. Warum nicht?

Weil sich die Grünen für die irdischen Vertreter der Göttin Umwelt halten? Moralisch höherstehend, dem Irdischen nicht verpflichtet. Und wundern sich dann, wenn die Irdischen sie in Erdfallen laufen lassen, in denen sie umkommen. Herr Graichen ist darin politisch gestorben. Seine Jäger waren die etablierten Parteien, die hämisch zusahen und ihren alltäglichen Lobbyismus unbeirrt weiterbetreiben. Bedeutend schlimmer als der Fall Graichen.

Josef Gegenfurtner, Schwabmünchen

Graichen ist ersetzbar

Die fachlichen Leistungen von Herrn Graichen im Rahmen der Energiewende können wenige Menschen beurteilen. Den Fehler von Herrn Graichen im Rahmen der Stellenvergabe an seinen Trauzeugen können alle erkennen. Tragischerweise gehört es zur Realität, dass menschliche Fehlbarkeit große, fachliche Leistungen verblassen lässt, weil Vertrauen eine höchst sensible Währung ist - insbesondere in der Wählergunst. Es ist schwierig zu vermitteln, dass ein Fachexperte, der am moralischen Einmaleins versagt, gehalten werden soll.

In einer Zeit, in der die parteipolitische Profilierung wichtiger ist als die Lösung der existenzbedrohenden Klimakrise, wichtiger als die angemessene Berücksichtigung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und wichtiger als die Befolgung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz, müssen die Grünen ihr Profil der moralischen Verlässlichkeit schützen. Wahlen werden von Emotionen beeinflusst. Was nützt es dem Klimaschutz, wenn die Grünen im Sumpf der Vetternwirtschaft versinken und ihnen die Wähler abhandenkommen? Herr Graichen ist ersetzbar - die Grünen sind es nicht.

Anette Nierhoff, Castrop-Rauxel

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