Philosophie:Des Menschen Sehnsucht nach Glauben - oder nach Wissen

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Glaube und Hingabe: Katholischer Pilger auf Wallfahrt. Foto: Armin Weigel/DPA (Foto: Armin Weigel/dpa)

Im SZ-Interview spricht Philosoph Thomas Metzinger über das menschliche Bedürfnis nach Religion. SZ-Leser halten seine wissenschaftlichen Auslegungen für unzureichend.

Interview „Hilft der Glaube - oder führt er in die Irre?“ vom 22. Oktober:

Gott - oder gleichgültiges Chaos

Für mich ist Thomas Metzingers Gemengelage aus Sarkasmus und Überheblichkeit, wo das Wort „Gott“ „nicht mehr als ein Geräusch ist“ und wo Religion als ein „Wahnsystem“ abgetan wird, schwer erträglich. Freilich: Religion ist die Sehnsucht nach dem ganz Anderen. Leszek Kolakowski hat diese Suche nach Sinn in Worte gefasst: „Falls es keinen Gott gibt, dann müssen wir uns einem gleichgültigen Chaos stellen, das uns ebenso ziellos erzeugt hat, wie es uns schließlich vernichten wird; wir haben zu akzeptieren, dass alle menschlichen Hoffnungen und Ängste, alle ekstatischen Freuden und entsetzlichen Leiden, all die schöpferischen Qualen von Gelehrten, Künstlern, Heiligen und Technikern für immer spurlos verschwinden werden, verschlungen von dem unersättlichen, grenzenlosen Meer des Zufalls.“

Jakob Knab, Kaufbeuren

Religion fälschlich reduziert

Den religiösen Glauben als Selbsttäuschung zu diffamieren, ist wissenschaftlich falsch. Der Philosoph Thomas Metzinger begeht einen krassen Kategorienfehler, wenn er menschliche Religiosität auf eine Form der Weltwahrnehmung und -Interpretation reduziert. Es ist vielmehr eine vertrauende Haltung des Herzens, der die Wissenschaft nicht das Wasser reichen kann - genauso wie der Liebe.

Wie kümmerlich ist es, Religiosität, die seit Beginn der Zivilisation zum Menschen gehört wie Hunger, Durst und Sexualität als Illusion und Halluzination abzuwerten. Eine säkulare Spiritualität ist herzlos, irrational und jener Vorläufigkeit und Zerbrechlichkeit unterworfen, vor der gerade Agnostiker und Atheisten Angst haben. Erst die vertrauensvolle Bindung an eine transzendente Wirklichkeit macht frei und gelassen, schlägt tiefe Wurzeln und eröffnet unendliche Perspektiven. Menschlicher geht es nicht, als dankbar und voller Vertrauen wahrhaftig zu glauben.

Thomas Gottfried, Freising

Was Wissen schafft

Herr Metzinger glaubt zutiefst daran, dass es keinen Gott gibt. Er glaubt ebenfalls daran, dass das Gehirn das Bewusstsein erschafft. Die Wissenschaft hat dafür bisher keinerlei Beweis vorlegen können. Herr Metzinger begründet seine Kritik am Glauben mit ... Glauben. Seltsam. Es lebe die Wissenschaft!

Dr. Martin Beddig, Edertal

Sisyphus' Einsicht

Herr Metzinger provoziert in dem Interview religiöse Menschen in teilweise abwertender Weise und versperrt so für viele den Zugang zu manchen seiner hilfreichen Erkenntnisse. Eine andere Möglichkeit: Wir sollten vielleicht zunächst einmal als Basis für einen Gottesglauben jede Hoffnung auf das Jenseits und die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tode vergessen – und dennoch „das Göttliche“ an uns heranlassen.

Lassen Sie uns einfach „ja“ dazu sagen, dass wir uns als Menschen (ebenso wie jede andere Spezies) Illusionen hingeben, einfach deshalb, weil sie sich als nützlich für unseren Lebenstrieb und unser inneres Wachstum erweisen. Wir können das Göttliche dadurch spüren, wenn wir es als (nicht rational und nicht wissenschaftlich und nicht über Religionsmythen lösbares) Wunder begreifen, dass wir uns als Menschen erleben, dass wir einen Ausschnitt eines Universums wahrnehmen dürfen, dass uns bisweilen das Sonnenlicht Freude ins Herz zaubern kann, dass der Verlust eines Partners uns mit Leid erfüllen kann. Der Versuch, das innere Wachstum zu befördern, liegt im Wesen des Menschen: die Sorge vor „primitivem Hedonismus“ (Metzinger) ist also eher unbegründet.

Wenn Sisyphus als glücklich zu bezeichnen ist, dann deshalb, weil er eine Einsicht in seine Möglichkeiten und Grenzen besitzt, eine Einsicht in die Notwendigkeit besitzt, und weil er es akzeptiert hat, den Stein immer wieder den Berg hinaufzurollen, obwohl er nie am Gipfel ankommen wird. Wir müssen uns nur davor hüten, Gott in den Grenzen unserer Sprache zu definieren und ihm (über-)menschliche Eigenschaften wie Allmacht, Liebe, Gnade, Güte, Allwissenheit, Gerechtigkeit, Erlösung et cetera zuzuordnen. Dann ersparen wir uns den Missbrauch, mit dem religiöse Gemeinschaften uns leicht über das „Wort Gottes“ manipulieren und uns manchen vergifteten Trost spenden. Dann ersparen wir uns die Klimmzüge der Theodizee. Dann hat Gott (der Begriff ist auch ohne Definition eine zu weitgehende Konzession an die sprachliche Begrenztheit des Menschen) einen Platz in unserer säkularen, wenngleich das Metaphysische einschließenden Selbsterfahrung (als Teil einer neuen Bewusstseinskultur). Auch ein neues Bewusstsein muss das Geschenk und die Grenzen des „uns Gegebenen“ anerkennen und annehmen: Diese Demut beinhaltet eine wahrhaft nachhaltige Weltsicht. Das bedeutet für mich Religiosität.

Fritz Kalberlah, Freiburg

Und der Osterhase?

Etlichen Thesen von Prof. Metzinger stimme ich gerne zu. Allerdings geht er manchmal etwas hemdsärmelig vor. „Es gibt kein einziges überzeugendes Argument für die Existenz Gottes […]. Alle bekannten Gottesbeweise sind gescheitert…“ Ein Argument ist kein Beweis, und ob es überzeugt, betrifft eine andere Ebene als die der Wissenschaft. Der Osterhase als Analogie zu Gott? Ein Garten mit versteckten Ostereiern ist wohl doch etwas anderes als Kants bestirnter Himmel. Das Erhabene und Unverfügbare lässt sich auch nicht in eine „kohärente Definition“ zwängen, trotzdem bewegt es uns. Wenn Religionen Glaubenswahrheiten über ihren jeweiligen Gott propagieren, darf man getrost skeptisch sein. Aber man sollte das Kind nicht gleich mit dem Bade ausschütten.

Hermann Pütter, Neustadt

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