Süddeutsche Zeitung

Göttinger Professorenstreit:Zukunftsfähige Uni-Struktur gesucht

Zu einem Vorstoß von Gelehrten, eine neue Uni-Leitung durch einen ,,Managertypen" zu verhindern, sind die Meinungen geteilt. Ein Gastdozent an der renommierten Berkeley-Uni hält die Bedenken der Göttinger für ,,aus der Zeit gefallen".

Zu "Schöne alte Welt" vom 9. September:

In dem Artikel zu den Vorgängen um die Präsidentenwahl in Göttingen zitiert Autor Jan-Martin Wiarda den Direktor des Deutschen Primatenzentrums Prof. Treue mit den Worten, die "Ordinarienuniversität" sei "zum Glück" vorbei. Dem kann ich mich anschließen. Worin die "klaren Vorstellungen", die Herr Treue dem ehemaligen President elect attestiert, bestehen, ist den Angehörigen unserer Universität nach wie vor unbekannt. Die Aussage, der Protest gegen die Wahl und das klandestine Wahlverfahren, das offenbar sogar juristisch anfechtbar gewesen wäre, habe einen "Manager" verhindern sollen, um alte Strukturen zu erhalten, greift daher auch viel zu kurz. Tatsächlich fehlen an unserer Universität Binnenstrukturen, moderne Steuerungsinstrumente und Mechanismen, die es erlauben, Hochschulentwicklung auf dem Niveau zu betreiben, das für uns angemessen wäre. Hier ist, vielleicht aufgrund der Stiftungskonstruktion, vielleicht auch nur aufgrund gewisser persönlicher Konstellationen, viel verschlafen worden. Die notwendige Reform ist allerdings eine sehr schwierige Aufgabe - Rückkopplung mit den Entwicklungsplänen der Fakultäten, Zusammenarbeit mit dem Hochschul-Controlling, Gewährleistung von Transparenz usw. sind hier - wissenschaftsadäquat! - in eine gute Balance zu bringen und erfordern großes Vertrauen innerhalb der Universität. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Findungskommission dieses Mal einen Präsidenten oder eine Präsidentin zur Wahl vorschlagen wird, der oder die diese Dinge endlich angehen kann.

Prof. Dr. Dorothea Bahns, Göttingen

Drittmittelakquise als Prostitution. Das Erfüllen von Managementvorgaben für ein paar Zulagen. Diese Worte in dem SZ-Artikel klingen hier wie aus der Zeit gefallen. Hier, das ist Berkeley, eine der besten Universitäten der Welt, Referenz in Forschungsstärke quer durch alle wissenschaftlichen Disziplinen. Im letzten Jahr wurden nur 15 Prozent aller Bewerber für ein Studium zugelassen, aber zu den Alumni zählen die Gründer von Apple, Ebay, Intel, Tesla und vieler anderer mehr.

Ob sich ein Professor hier als Prostituierter fühlt, weil er versucht, Drittmittel einzuwerben? Nein, wer hier Drittmittel einwirbt, der tut das, weil er es kann. Weil er fachlich so gut ist, dass seine Anträge gelesen werden, und weil er so interessante Forschungsprojekte hat, dass Geldgeber sie für förderungswürdig halten. Drittmittel, das ist hier ein Maßstab für Anerkennung und Exzellenz. Wer keine Drittmittel einwirbt, bei dem stellt sich die Frage, warum er niemanden außerhalb der Hochschule von seinen Projekten überzeugen kann.

Nur für Zulagen arbeitet hier niemand. Es ist die Wissenschaft, die die Menschen begeistert und antreibt. Die Generierung von Wissen und seine Weitergabe an die Studierenden, mit Respekt und auf Augenhöhe. Das wird besonders in den Vorlesungen deutlich. Ein Professor, Grundgehalt rund 290 000 US-Dollar, interessiert sich tatsächlich in den Kursen für die Meinung seiner Studierenden, es werden regelmäßig offene Gespräche geführt. Ein solches Arbeitsklima, geprägt von gegenseitigem Vertrauen und Respekt, auch für andere Meinungen, ist nicht nur ungemein befruchtend für alle, es führt auch dazu, dass sich die Professoren vor Anfragen der Studierenden, sie in ihrer Forschung zu unterstützen, nicht mehr retten können.

Mehr als die Hälfte aller Studierenden in Berkeley ist in Forschungsprojekte eingebunden. Das Ergebnis sind schon in frühen Jahren Lebensläufe, die einen für höhere Aufgaben empfehlen. Dafür zahlen die jungen Menschen aber auch einen hohen Preis; in materieller und immaterieller Hinsicht: in materieller Hinsicht hat ein Studierender, der Bachelor- und Masterabschluss hier erworben hat, an Studiengebühren, Beiträgen etc. rund 100 000 Dollar auf der Soll-Seite zu verbuchen. In immaterieller Hinsicht führt die hohe Leistungsbereitschaft zu einem hochkompetitiven Umfeld, das nicht jeder Studierende psychologisch problemlos verkraftet.

Prof. Dr. Daniel Graewe, Senior Visiting Scholar, Univ. of California, Berkeley/USA

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Quelle:
SZ vom 20.09.2019
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