Gewalt gegen Frauen:Deutschland hat ein Problem

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Während einer Demonstration am internationalen Tag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen weist eine Demonstration mit ihrem Plakat auf die Ursachen hin. (Foto: Leonie Asendorpf/dpa)

Die Gewalt gegen Frauen ist ein wachsendes Problem in Deutschland: Im Jahr 2023 wurde fast jeden Tag ein Mädchen oder eine Frau in Deutschland getötet.

„Offenbar nicht so wichtig“ vom 22. November:

Schockierende Zahlen

Man kann es nicht glauben, wenn wir erfahren, im vergangenen Jahr wurden 360 Frauen getötet, es starben also fast jeden Tag eine Frau in Deutschland mit häuslicher Gewalt. Bislang war von jedem zweiten Tag die Rede. Ein Grund für den drastischen Anstieg der Todeszahlen ist die Frage, ob es sich hier um Taten handelt, die geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtet sind? Werden hier Frauen täglich getötet, nur weil sie Frauen sind? „Das ist unerträglich – und verlangt konsequentes Handeln“, so Nancy Faeser. Doch nun soll ein „Gewalthilfegesetz“ folgen für Frauen. Damit will man ein bundesweites Hilfegesetz schaffen für Opfer geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt. So steht es im Gesetzentwurf. Die Länder sollen das Angebot für Schutz und Beratung ausbauen: ab 2030 soll ein Rechtsanspruch auf kostenfreie Frauenhausplätze bestehen.

Neben häuslicher und sexualisierter Gewalt sind Frauen auch immer öfter von Hass und Hetze im Internet betroffen. Solche Botschaften verteufelten Gleichberechtigung als Bedrohung und predigten klassische Rollenbilder. Laut BKA sei die Zahl der Gewaltdelikte, die sich gegen Frauen oder Mädchen richten, in allen untersuchten Bereichen gestiegen. So stieg die Zahl der weiblichen Opfer von häuslicher Gewalt, die Anzeige erstatteten, auf 180 715, wovon mehr als die Hälfte unter 18 Jahren waren, erklärte BKA-Vizepräsident Michael Kretschmer. Er warnte, dass besonders in Bereichen wie häuslicher und digitaler Gewalt viele Fälle nicht bei der Polizei angezeigt würden. Daher könne die Dunkelziffer deutlich höher sein. Das sollte die Politik in Berlin nun mit dem Gewalthilfegesetz auf einen sicheren Weg bringen.

Dirk Wanke, Kiel

Schicksal selbst in die Hand nehmen

Es macht wütend und gleichzeitig traurig, dass der Schutz von Frauen vor Gewalt kein dringendes Projekt der Bundesregierung mehr ist, ein zentrales schon gar nicht, wenn „Wichtigeres“ ansteht, die K-Frage zum Beispiel. Da weiß der Mann, worum und wofür er zu kämpfen hat: für seinen machtvollen Status und um die Wähler:innenstimmen. Neueste Statistiken zum Anstieg der Gewalt werden als alarmierend eingestuft und verschwinden sodann wieder im Orkus.

Ermutigend ist demgegenüber, dass Frauen ihr Schicksal selbst in die Hände nehmen, dass Frauen für Frauen Lösungen finden. So wurde etwa Anfang des Jahres auf Initiative und in Trägerschaft des Netzwerks der brandenburgischen Frauenhäuser e. V. KIKO geschaffen, eine Kontaktstelle für zivilgesellschaftliche Akteur:innen, die die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Brandenburg vorantreiben (die Istanbul-Konvention von 2011 ist ein völkerrechtlich bindendes Instrument, ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt mit Präventionsverpflichtungen, Anm. d. Red.). KIKO ist Anlaufstelle für alle Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Behörden, die sich aktiv gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen einsetzen, und bietet auf ihrer Website umfangreiche Materialien und aktuelle Informationen zur Gewaltbekämpfung und Gewaltprävention.

Dass die künftige Landesregierungskoalition aus SPD und BSW die Netzwerkarbeit weiterhin zu schätzen weiß und tatkräftig unterstützt, ist leider nicht ohne Weiteres voraussetzbar.

Katharina Möller, Bimbach

Wer nicht erwähnt wird

Parteipolitik wie auch öffentliches Bewusstsein überschätzen schon grundsätzlich die Abwehrmöglichkeiten von Frauen gegen Gewalt. Zumindest gewinnt jedes Mal diesen Eindruck, wer Berichte über Gewalt gegen Frauen liest. Dass zudem (fast) nie erwähnt wird, dass Frauen mit Behinderung nachweislich zwei- bis dreimal so häufig Opfer von (unter anderem häuslicher) Gewalt sind, lässt tief in mediale und gesellschaftliche Abgründe blicken. Alle Jahre wieder. Und schwarz sehen für eine politisch gewollte bunte, inklusive Zukunft in unserer Stadt und im Land.

Annette Gümbel-Rohrbach, München

Ein Moment der Solidarität

Münchener Innenstadt, 25. November, ein geschäftiger Montag. Eine junge Frau, vielleicht 18, klein und zart, sitzt bettelnd an die Hauswand gelehnt. Vor ihr aufgebaut vier junge Macho-Männer, die feixend und laut auf sie einreden. Wo sie denn herkomme … Sie versteht nicht, fühlt sich offensichtlich, am Boden sitzend, bedroht von so massiver Männerpower. Gerade will ich mich einmischen, da ist eine andere Passantin schneller. Sehr energisch weist sie die Typen zurecht – „Lasst sie in Ruhe!“ – und fordert sie zum Weitergehen auf. Was diese missmutig auch machen. So viel Gegenwind hatten sie nicht erwartet. Einige Frauen waren stehen geblieben. Ein berührender Moment der Solidarität.

Irene Christen, Moosach

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